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Die Pflegeversicherung zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Für eine Sozialdemokratin fühlt es sich ungewohnt an, im Fraktionssaal der CDU/CSU an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen. Und dann noch an einer, zu der die Stiftung Marktwirtschaft eingeladen hat. Schon in der Einladung wird der unterschiedliche politische Blick deutlich: „Kann der angedachte neue Pflegevorsorgefonds ein vielversprechender und ausbaufähiger Einstieg in eine gerechtere intergenerative Lastenverteilung sein oder bleibt er nur ein wirkungsloser Tropfen auf dem heißen Stein? Und welche Erwartungen kann die Gesellschaft an die Eigenverantwortung des Einzelnen haben, sich gegen die finanziellen Folgen von Pflegebedürftigkeit im Alter abzusichern?“.

Prof. Dr. Michael Eilfort, Vorstand Stiftung Marktwirtschaft, verwies in seiner Einführung auf demographiebedingte Trends, die unsere Gesellschaft verändern. Wir SozialdemokratInnen halten die Neuregelungen des Pflegezeitgesetzes für einen großartigen Erfolg. Denn damit wird eine 10tägige mit Lohnersatzleistungen verbundene Auszeit zur Organisation einer akuten Pflegesituation eingeführt. Hingegen verwies hingegen auf den „Druck auf die Arbeitskommen“ und mahnte an, dass „keine neuen Belastungen für die Wirtschaft“ entstehen dürften.

Unter dem Titel „Herausforderung Pflege - Die Reformstrategie der Bundesregierung“ erläuterte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Eckdaten des Pflegestärkungsgesetzes 1. Er informierte über die zahlreichen Leistungsverbesserungen für die Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen. Auf die letzten Änderungspunkte dieses gesellschaftlich so wichtigen Gesetzes hatten wir Gesundheits- und PflegepolitikerInnen uns am Freitag zuvor verständigt. Diese sind in die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit eingeflossen. Er verwies auf den noch in dieser Legislaturperiode zu verabschiedenden neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungsverfahren sowie auf das für 2015 geplante Pflegeberufegesetz und die damit verbundene generalistische  Pflegeausbildung. Hermann Gröhe machte aber auch sehr deutlich, dass er wie seine ganze Fraktion hinter der von Finanzminister Schäuble propagierten „Schwarzen Null“ stehe. Er sei der finanzpolitischen Gesamtverantwortung mit der Zustimmung zur weiteren Absenkung des Steueranteils zur Deckung der sogenannten versicherungsfremden Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung durch das Finanzministerium nachgekommen. Ein Kompromiss aus dem Koalitionsvertrag.

Veränderungsbereitschaft des Gesundheitswesens angemahnt

Gut gefallen haben mir die Ausführungen von Prof. Dr. Renate Stemmer, Katholische Hochschule Mainz, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaften e.V. Sie beklagte in ihrem Vortrag „Die Zukunft der Pflege - Herausforderungen, Szenarien, Reformkonzepte“ den viel zu häufig fehlenden Blick auf´s Ganze. Notwendig sei die Herstellung einer „Veränderungsbereitschaft des Gesundheitswesens“. Groß sind die regionalen Unterschiede hinsichtlich des ambulanten und stationären Pflegebedarfs und viel zu hoch sind mittlerweile die Vakanztage bei der Neubesetzung von Stellen: Bundesweit würden Stellen in der Gesundheits- und Krankenpflege 114 Tage und in der Altenhilfe 118 Tage unbesetzt bleiben. Als Ursachen dafür identifizierte sie Unzufriedenheit mit dem ausgeübten Beruf, Burn-Out aber auch ein genereller Attraktivitätsverlust bzw. eine abnehmende Ausbildungsbereitschaft.

Ihrer Meinung nach ist die „pflegerische Langzeitversorgung flächendeckend gefährdet“ - darauf weist auch das jüngste Gutachten „Bedarfsgerechte Versorgung - Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche“ des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hin.

Auch Pflegebedürftige wollen ihre Autonomie behalten. Dabei komme der ambulanten Pflege eine prioritäre Bedeutung zu. Notwendig sind Anreize für die Stimulierung einer populationsorientierten Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der ambulanten Pflege. Damit soll es ambulanten Pflegediensten künftig möglich sein, die gesamte Breite und Vielfalt des jeweils regionalen Bedarfs, z.B. aufgrund des Anstiegs der Menschen mit komplexem Bedarf oder bei den alleinlebenden Pflegebedürftigen, zu beachten. Die stationäre pflegerische Langzeitversorgung in Heimen wird für einen Teil der Bevölkerung trotz voranschreitender Ambulantisierung auch künftig Bedeutung behalten. Angemahnt wird eine weitgreifende Strukturreform, die auf eine Stärkung der Teilhabe und Gemeinwesen-/Quartiersorientierung setzt. Als Grundlage für die Entwicklung regional differenzierter Strukturen bedarf es einer evidenzbasierten kommunalen Bedarfs- und Versorgungsplanung, die sich an der Morbiditätsstruktur der Bevölkerung orientiert. Die Förderung innovativer integrierter Versorgungsmodelle sollte auch bei der Vergabe der Mittel im Rahmen des geplanten Innovationsfonds gezielt berücksichtigt werden.

Im Einzelnen sei unter anderem zwingend notwendig:

  • eine Steigerung der pflegerischen Qualität und Nachhaltigkeit vor allem durch den Ausbau der pflegerischen Versorgungsforschung und einer pflegewissenschaftlichen Wirksamkeitsforschung,
  • eine Bekämpfung des in einigen Regionen bereits stark ausgeprägten Fachkräftemangels u.a. durch eine Ausweitung der Ausbildungskapazitäten, eine Reform der Pflegeausbildung und auch mehr Akademisierung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung der Pflegefachkräfte, eine stärkere Professionalisierung der Pflege ist erforderlich,
  • eine Intensivierung der Prävention vor und bei Pflegebedürftigkeit sowie eine intensivere Gesundheitsförderung im hohen Alter sowie ein Ausbau der Gesundheitsförderung pflegender Angehöriger,
  • der Ausbau ausreichender Informations- und Beratungsmöglichkeiten mit integrierten Beratungskonzepten über das SGB V, IX und XI - nur so könne eine auf Autonomieerhalt zielende Pflege auch gelingen,
  • ein weiterer Ausbau von Versorgungszentren und zugehenden mobilen Beratungsstrukturen gerade in ländlichen Regionen,
  • eine Intensivierung der Förderung der Solidar- und Hilfepotenziale von Familien, Wahlverwandten, Freunden, sozialen Netzwerken und informellen Hilfenetzen erforderlich.

Gestärkt werden müsse die „Eigenverantwortung“ - übersetzt heißt das: mehr privates Geld in private Vorsorgeversicherungen - so die Forderung von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen von Universität Freiburg und Vorstandsmitglied Stiftung Marktwirtschaft. Er referierte über „Die aktuelle Pflegereform - Vitalisierung oder finanzieller Sargnagel für die Soziale Pflegeversicherung?“ Seiner Meinung nach sei der auf Verlangen der Union im Koalitionsvertrag vereinbarte Pflegevorsorgefonds völlig unzureichend.  

Unter dem Motto „Ist die Pflegeversicherung für die Zukunft gerüstet?“ diskutierte ich auf der Podiumsdiskussion mit meinen für die Pflegepolitik zuständigen KollegInnen Erwin Rüddel, CDU, und Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen, sowie Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied des AWO Bundesverbandes e.V., und Dr. Volker Leienbach, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V.. In der Diskussion habe ich deutlich gemacht:

  • Die SPD hat dafür gesorgt, dass ein Tariflohn in der Pflege nicht als „unwirtschaftlich“ gilt und dass dieses Geld auch bei den Beschäftigten ankommt.
  • Die SPD steht nach wie vor zum Konzept der Sozialen Bürgerversicherung.
  • Beitrags- und damit auch Leistungssteigerungen im Gesundheitswesen und in der Pflege lediglich unter dem Aspekt steigende Lohnnebenkosten bzw. als „Belastung für die Wirtschaft“ zu diskutieren, greift viel zu kurz. Ende 2013 waren rund 5,2 Millionen Menschen und damit etwa jeder achte Beschäftigte in Deutschland im Gesundheitswesen tätig. Seit 2000 wuchs die Zahl der Arbeitsplätze um rund 950 000 Beschäftigte oder 22,6 %. Das ist ein dreimal so starker Anstieg wie in der Gesamtwirtschaft.
  • Wir SozialdemokratInnen stehen für die zügige Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes.