Hauptmenü

Den Reformstau abbauen - Pflege ist eine gesamtstaatliche Aufgabe

(Erschienen in der Berliner Stimme, 24.5.2014, S. 11, Nr. 10, 64. Jahrgang)

20 Jahre Pflegeversicherung haben sich bewährt. Dennoch bestehen strukturelle Reformnotwendigkeiten sowohl auf der Leistungs- als auch auf der Finanzierungsseite. Pflege ist eine der wichtigsten sozialpolitischen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft. Pflege war im Interesse der Pflegebedürftigen, der pflegenden Angehörigen und der Pflegefachkräfte in unserem Wahl- und Regierungsprogramm ein prominentes Thema. Der Bereich „Gesundheit und Pflege“ wurde hart verhandelt. Der Koalitionsvertrag macht deutlich: Pflege ist ein großer Arbeitsschwerpunkt dieser Regierung.

Vor 20 Jahren, am 26. Mai 1994, wurde das „Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit“ (Pflege-Versicherungsgesetz) im Bundesgesetzblatt verkündet. Das Teilleistungssystem Pflege als fünfte Säule der Sozialversicherung hat zur besseren Absicherung des Lebensrisiko Pflege geführt, hat Pflegebedürftigkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert. Um dieser Aufgabe auch in Zukunft nachzukommen, muss die Soziale Pflegeversicherung reformiert werden: Vor allem muss der an körperlichen Einschränkungen orientierte Begriff der Pflegebedürftigkeit geändert werden.

Nicht jeder ältere oder hochbetagte Mensch ist bzw. wird pflegebedürftig. Geschätzt wird, dass die Zahl der Pflegebedürftigen mit körperlichen, kognitiven oder psychischen Einschränkungen von derzeit 2,5 Millionen Menschen auf 3,5 Millionen Menschen im Jahr 2030 ansteigt. Politik muss hier aktive Vorsorge treiben: Eine gute und menschenwürdige Pflege muss für alle bezahlbar sein. Die Beschäftigten in der Pflege sind gut zu bezahlen. Pflegende Angehörige sind besser zu unterstützen.

Gesetzesvorhaben der Koalition
Im Koalitionsvertrag haben wir im Interesse der Pflegebedürftigen, der pflegenden Angehörigen und der Pflegefachkräfte ein umfangreiches Paket einzelner Gesetzesvorhaben vereinbart, u.a.: (1)  Die Reform der Sozialen Pflegeversicherung (Sozialgesetzbuch XI, SGB XI) in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst werden Leistungsverbesserungen erfolgen und ein Pflegevorsorgefonds eingeführt, dann der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff gesetzlich definiert. (2)  Ein neues Pflegeberufegesetz für eine gemeinsame „generalistische Ausbildung“ anstelle der augenblicklichen einzelnen Ausbildungen in der Kinder- bzw. Kranken- und Gesundheits- sowie der Altenpflege. Außerdem soll niemand mehr für seine Ausbildung Schulgeld zahlen müssen wie es in der Altenhilfe noch gängig ist. (3) Eine noch qualifiziertere wohnortnahe Pflegeberatung. (4) Eine Entlastung von Menschen in Pflegeberufen u.a. durch Personalmindeststandards. (5) Die Schaffung neuer Rechtsansprüche für ArbeitnehmerInnen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Eingeführt wird eine gesetzlich geregelte zehntägige bezahlte Auszeit für pflegende Angehörige analog dem Kinderkrankengeld.

Reform der Sozialen Pflegeversicherung

Auftakt der gesetzgeberischen Arbeit zur Verbesserung der Pflege ist der Anfang April vom Bundesministerium für Gesundheit ins Beteiligungsverfahren gegebene Referentenentwurf für den "Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Leistungsausweitung für Pflegebedürftige, Pflegevorsorgefonds (5. SGB XI - ÄndG)". Am 29. April fand hierzu im Ministerium eine Verbändeanhörung statt. Der entsprechende Gesetzentwurf wird am 21. Mai vom Kabinett verabschiedet und geht anschließend umgehend ins parlamentarische Verfahren. Der Gesundheitsausschuss und der Deutsche Bundestag will darüber noch vor der Sommerpause beschließen.

Die Reform der Pflegeversicherung ist als mehrstufiges Verfahren geplant: Die erste Stufe soll am 01. Januar 2015 in Kraft treten. Zur Finanzierung wird der Beitragssatz um 0,3 Prozent erhöht. Von den Mehreinnahmen stehen rund 2,4 Milliarden Euro  für Leistungsverbesserungen und -ausweitungen zur Verfügung und 1,2 Milliarden Euro fließen in einen neu zu schaffenden Pflegevorsorgefonds. Letzteres ist ein von der CDU/CSU gewolltes Vorhaben.

Zur Verbesserung der Situation der Pflegebedürftigen und Entlastung der pflegenden Angehörigen und der Beschäftigen in der häuslichen Pflege gehören unter anderem:  

  • In der häuslichen Pflege können die Angebote der Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie der Tages- und Nachtpflege flexibler genutzt werden, bestehende Betreuungsleistungen in der ambulanten Pflege werden ausgebaut und neue Entlastungsangeboten u.a. durch Hilfen zur Weiterführung des Haushalts eingeführt.
  • In stationären Pflegeeinrichtungen wird es zusätzliche Betreuungskräfte geben, die für alle - nicht nur für an Demenz erkrankte Menschen - zur Verfügung stehen.
  • Ausgebaut und erhöht werden die Zuschüsse für Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen und die Antragsvoraussetzungen bei der Anschubfinanzierung für ambulant betreute Wohnformen werden vereinfacht.
  • Die Leistungsbeiträge werden dynamisiert, somit eine bessere Bezahlung ermöglicht.


Zwei weitere Gesetzesvorhaben sind angekündigt:

  • Für ArbeitnehmerInnen, die die Pflege für ihre Angehörigen organisieren, wird eine mit Lohnersatzleistung versehene Freistellung von 10 Tage eingeführt.
  • Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff wird nach einer Erprobungsphase in einer zweiten Stufe eingeführt. Um die damit verbundenen notwendigen Leistungsausweitungen insbesondere für Menschen mit kognitiven oder psychischen Einschränkungen zu finanzieren, wird der Beitragssatz um weitere 0,2 Prozentpunkte  (rund 2,4 Milliarden Euro Mehreinnahmen) erhöht.