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Mechthild Rawert im Gespräch

Gespräch mit der Abgeordneten für den Wahlkreis 081: Berlin-Tempelhof-Schöneberg, Mechthild Rawert (SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag), am Freitag, den 7. März 2014:

Wann fingen Sie an sich für Politik zu interessieren?

Politik ist ja nicht „nur“ Partei-Politik. Politisches Agieren ist letztendlich sich einzumischen, sich stark machen, mitmachen zu wollen bei der Gestaltung von Gesellschaft. Der ursprüngliche Drive kam gar nicht mal aus mir selbst heraus, sondern wurde mir von meiner Mutter eingepflanzt. Sie hat es nicht durchgehen lassen, dass ihre Kinder - außer Schule und Mithilfe auf dem elterlichen Bauernhof - gar nichts machen, sich nicht engagieren. Zu meiner Zeit zu Hause gab es in Coesfeld-Flamschen nur die Katholische Landjugendbewegung. Also war diese katholische Landjugendbewegung das erste Feld meines Engagements. Anschließend war ich noch in einigen anderen katholischen Gruppierungen, der Jungen Gemeinde, der KSJ.

Was haben Sie nach Ihrer Schulzeit in Münster studiert?

In Münster habe ich Diplom-Sozialpädagogik studiert und später in Berlin dann noch Diplom-Pädagogik.
Wie kamen Sie dann letztendlich auf die Idee, in den Bundestag zu gehen oder generell in die Politik?
Zwischen dem Beginn meines sehr engagierten politischen Engagements und der ersten Überlegung, ein Mandat anzustreben, und dann wiederum bis zum Zeitpunkt, das Mandat der Bundestagsabgeordneten tatsächlich inne zu haben, liegt ein sehr langer Weg von über 20 Jahren.
Als ich 1981 für mein Anerkennungsjahr nach Berlin gekommen bin, habe ich in der Sozialpädagogischen Fortbildungsstätte Haus am Rupenhorn gearbeitet. Die MitarbeiterInnen waren sowohl fachpolitisch als auch gewerkschaftlich sehr stark engagiert. Die meisten waren auch SPD-Mitglieder. Schon 1981 bin ich dann als erstes ÖTV-Gewerkschaftsmitglied geworden.
Erst 1987 wurde ich Mitglied der SPD. Dahinter steckte in keinster Weise der Gedanke, jemals Mandatsträgerin werden zu wollen. Ich wollte mich ehrenamtlich in der SPD engagieren, damit unsere Gesellschaft gerechter und besser wird. Schnell wurde ich ASF-Kreisvorsitzende, später dann auch die Berliner Landesvorsitzende der ASF, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Mitte der 90er habe ich einmal - aber vergebens - für das Abgeordnetenhaus von Berlin kandidiert. Bei der nächsten Wahl für´s Abgeordnetenhaus habe auch ich unterstützt, dass in „meinem“ Wahlkreis Migration und Vielfalt ein weibliches Gesicht erhält. Und diese Entscheidung war die richtige. Ich war also lange partei- bzw. gesellschaftspolitisch aktiv, immer ehrenamtlich. Ich hatte ja meinen Beruf, hatte meine Arbeit.

Warum haben Sie sich dann für die SPD als Partei entschieden?

Ich bin ja katholisch erzogen und mich haben deshalb die Werte Freiheit, Gleichheit, Solidarität stark angesprochen. Überzeugt hat mich auch der gesellschaftspolitische Kampf um soziale Gerechtigkeit. Ein weiterer Grund war auch, dass ich hier in Berlin in einer sozialdemokratisch geprägtem Umgebung gearbeitet und gelebt habe. Dennoch habe ich zur damaligen Zeit abgewogen, ob ich in die SPD eintrete oder zu den Grünen gehe. ich hatte dann aber den Eindruck, dass die mir bekannten SPD-Mitglieder sehr viel tatkräftiger waren. Während die SPDlerInnen aktionsorientiert was machten, haben viele damalige Grünen-FreundInnen ehr darüber geredet, dass sie die Welt verbessern wollten. Und ich bin ja durchaus auch ein pragmatischer Mensch, ich wollte wirklich etwas tun.

Sie sind ja für den Wahlkreis Berlin-Tempelhof-Schöneberg zuständig, aber was haben Sie jetzt genau im Bezirk Reinickendorf zu tun?
Reinickendorf ist mein Betreuungswahlkreis. Wir haben in Berlin zwölf Bundestagswahlkreise, die relativ identisch mit den Grenzen der Bezirke sind. Wir haben acht sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete, die in ihren eigenen Wahlkreisen sehr aktiv sind. Die übrigen vier Wahlkreise haben wir uns aufgeteilt, so hat jeder Bezirk eine sozialdemokratische Betreuung. Und Reinickendorf wird jetzt von meinem Kollegen Klaus Mindrup und mir betreut.

Was machen Sie dann genau in Reinickendorf als „Betreuungsabgeordnete“?

Auch für die ReinickendorferInnen organisiere ich Veranstaltungen, lade zu Bundespresseamtsfahrten ein, versuche für Abteilungssitzungen oder Sommerfeste Zeit zu finden. Ich pflege auch den regelmäßigen Kontakt mit dem dortigen SPD-Vorstand.

Nehmen Sie an irgendwelchen Ausschüssen teil und wenn ja an welchen?
Ich bin ordentliches Mitglied des Ausschuss für Gesundheit. Da bin ich speziell für den Bereich der Pflege, für Frauengesundheit, für HIV/Aids, zuständige Berichterstatterin. Zusätzlich bin ich jetzt stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Was das jetzt genau für meinen politischen Alltag heißen wird, kann ich noch nicht genau sagen. Ich fahre Anfang April das erste Mal nach Straßburg. Da werde ich dann für eine Sitzungswoche bleiben. In der Parlamentarisches Versammlung des Europarates bin ich Mitglied des Ausschusses für Gleichstellung und Anti-Diskriminierung.

Haben Sie irgendwelche Vorbilder (Politische Personen, historische Persönlichkeiten, etc.)?

Mal so aus dem persönlichen Leben heraus, würde ich glatt sagen: meine verstorbene Mutter. Sieben Kinder groß zu kriegen, zu gucken, dass aus allen „was wird“, außerdem einen Betrieb - nichts anderes ist ein Bauernhof erst zusammen mit meinem Vater und dann alleine - zu leiten, ist eine taffe Leistung.
Ich bewundere die vielen Frauen der ersten Frauenbewegung, die sich für Frauenrechte stark gemacht haben. Zum Internationalen Frauentages fällt mir eine Frau wie Clara Zetkin ein. Ich finde auch viele der heute jungen Frauen sehr couragiert und ideenreich.

Was machen Sie am liebsten und was machen Sie nicht so gerne in dem Politiker-Alltag?
Es gibt wie in jedem anderen Beruf auch, Tage, wo du erst mal nicht so gerne an den Verlauf denkst. Das ist aber sehr stimmungsabhängig. Es passiert auch mal, dass ich gegen Ende von zwei Sitzungswochen ein wenig erschöpft bin. Grundsätzlich mache ich alles gerne und mein politischer Alltag, der ja sehr abwechslungsreich ist, macht mir Spaß.

Was war Ihre schwerste politische Abstimmung hier im Deutschen Bundestag?
Eine der schwersten Entscheidungen war die Abstimmung 2012 zur Beschneidung. Da trafen zwei Grundrechte aufeinander und wenn das passiert, muss eins von beiden ein wenig zurückgestellt werden. Das ist nicht leicht. Ich bin mir auch sicher, dass das ganze Thema mit der Schaffung von mehr Rechtssicherheit gesellschaftspolitisch noch nicht zu Ende ist und wir es in einigen Jahren erneut diskutieren werden.

Was glauben Sie, welchen Beruf Sie hätten, wenn Sie nicht Politikerin geworden wären?
Also ich hatte und habe einen Beruf. Ich bin Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin. Als solche habe ich ja auch viele Jahre gearbeitet, u.a. fünf Jahre beim Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Berlin, habe zehn Jahre lang in Berliner Servicegesellschaften in der Arbeitsmarktpolitik gearbeitet - mit einem Jahr Ortwechsel, da mein damaliger Arbeitgeber mich nach Brüssel entsandt hat. Außerdem war ich die erste Zentrale Frauenbeauftragte der Charité - Universitätsmedizin Berlin.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie noch genug Zeit für Ihr privates Leben haben?
Wenn ich ein bisschen mehr Zeit für mein privates Leben hätte, wär das ziemlich schön.

Wo sehen Sie aktuell sehr große Probleme in Deutschland?
Mich berührt derzeit der Wandel in der Ukraine sehr. Was auch immer dort geschieht, wird uns in Deutschland sehr prägen. Da haben wir Glück, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier einen sozialdemokratischen Außenminister haben, der sehr besonnen den Gedanken verfolgt, dass Diplomatie auch aktive Friedenspolitik ist.
Eine große Aufgabe in Deutschland ist die Verringerung der sozialen Spaltung, daher der Einsatz für einen Mindestlohn, für eine armutsfeste Rente, für das Programm der „Sozialen Stadt“. Als Gesundheitspolitikerin präge ich derzeitig die Diskussion zur Rezeptfreiheit der „Pille danach“ mit.

Sie setzen sich ja viel für Frauen und ihre Rechte ein. Wie sind Sie da drauf gekommen und wofür setzen Sie sich da genau ein?

Ich fand und finde es einfach ungerecht, dass die Mädchen sich in den Schulen stark machen und gute Noten und Abschlüsse bekommen, aber hinterher im Erwerbsleben nicht die Profiteurinnen ihrer Anstrengung sind. Das ist nicht leistungsgerecht. Und Leistungsgerechtigkeit wird ja viel propagiert. Ich finde es auch nicht gerecht, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade für die Frauen immer noch schwierig zu leben ist. Eine Ehe ist heute für die allermeisten keine Versorgungsstation mehr, immer weniger gilt „bis das der Tod uns scheidet“. Frauen müssen in die Lage versetzt werden, sich selbst und gegebenenfalls auch noch ihre Kinder zu finanzieren. Außerdem wollen junge Frauen doch das, was sie in der Schule oder in der Ausbildung lernen, auch anwenden, wollen Karriere machen, ein gutes Gehalt verdienen. Außerdem gibt es auch zunehmend mehr Männer, die sagen, dass sie nicht mehr alleine der Familienernährer sein wollen, sie wollen und können häufig die finanzielle Verantwortung für eine Familie auch nicht mehr alleine stellen. Sie wollen mehr Zeit mit ihren Kindern und ihrer Familie verbringen. Diesen Wünschen, diesen jungen Menschen fühle ich mich verpflichtet.

Sie waren ja bei der Tanz-Demo „One Billion Rising for Justice“ am Brandenburger Tor dabei. Glauben Sie, dass diese Demonstration was gebracht hat?
Ja, das glaube ich schon, zumal es ja eine weltweite Veranstaltung ist. Und ich vertraue darauf, dass Kinder, die von Anfang an damit groß werden, dass Gewalt an Frauen und Kindern verboten und auch kein Kavaliers-Delikt ist, lernen, laut und deutlich „nein“ zu Gewalt im späteren Leben zu sagen. So wächst ein neues gesellschaftspolitisches Bewusstsein.

Vielen Dank für das nette Gespräch.
Marie von Essen
Praktikantin bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages,
Referat ZT 4, Teilbereich Etagendienst