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Europarat: “Fact-Finding Visit” zum inklusiven Wahlrecht in Österreich – Für meinen Bericht “Die politischen Rechte von Menschen mit Behinderung: eine demokratische Herausforderung“

Das allgemeine, freie und geheime Wahlrecht muss auch für alle Menschen mit Behinderungen gelten. Dafür setze ich mich ein: Als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) bereite ich derzeit meinen Bericht „The political rights of persons with disabilities: a democratic issue“ vor. Mein Ziel ist es, PolitikerInnen als auch Zivilgesellschaft dazu zu bringen, sich dafür einzusetzen, dass alle BürgerInnen in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates ihr aktives und passives Wahlrecht ausüben können - auch alle Menschen mit Behinderungen.

Obwohl das Wahlrecht zu den politischen Grundrechten gehört, sind in Deutschland derzeit rund 84.500 StaatsbürgerInnen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das geht aus dem jüngst erschienenen Forschungsbericht „Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen“ hervor, der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegeben wurde. Dabei besagt unser Grundgesetz im Artikel 38 Absatz zwei eindeutig: „Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat.” Die Wahlberechtigung und Wahlhandlung einer jeden einzelnen  StaatsbürgerIn ist eine der tragenden Säulen unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie. Ich stimme Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, zu: Sie hält den gesetzlich festgelegten Wahlrechtsausschluss (§ 13 Bundeswahlgesetz: Ausschluss vom Wahlrecht) für eine “nicht hinnehmbare Diskriminierung“. Daher fordert sie die umgehende Abschaffung des Wahlrechtsausschlusses für die zumeist unter Betreuungsrecht stehenden Menschen mit Behinderung(en). Es gehört zum Wesen der Demokratie, die Wahlhandlung einer jeden Person zu akzeptieren. Auch die BRK-Allianz, ein Zusammenschluss von 78 verschiedenen Behindertenverbänden will die Abschaffung des Wahlrechtsausschlusses. Gesehen wird das Problem der ggf. gegebenen Nicht-Wahlfähigkeit. Es müsse aber andere Wege geben, als den grundsätzlichen Ausschluss.

Die UN-Behindertenrechtskonvention legt ausdrücklich fest, dass die Schlüsselkonzepte Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion gerade auch für Menschen mit Behinderungen gelten, nämlich für Personen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“. Packen wir diese Aufgabe auch intensiv an!

Aktivitäten für den Bericht

Um einen Überblick zur Situation zu erhalten, habe ich einen Fragebogen an die 47 Mitgliedsstaaten des Europarates sowie den nichteuropäischen Beobachterstaaten gesandt. Gefragt habe ich unter anderem nach der rechtlichen Situation des Wahlrechts für Menschen mit Behinderung, der Zahl und Funktion der MinisterInnen bzw. der ParlamentarierInnen mit Behinderung, nach konkreten Maßnahmen zur Ausgestaltung von Partizipation von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen und politischen Leben, nach speziellen Kampagnen zur Erhöhung des Zugangs zu Informationen während des Wahlkampfes, nach Formen der Barrierefreiheit beim Wahlakt (u.a. Schablonen für Blinde) in den Wahllokalen bzw. dem Zugang zu diesen selbst.

Der Rückfluss war erfreulicherweise sehr hoch: 42 Staaten haben geantwortet und Auskunft über die aktuelle Situation gegeben.

Während der letzten Europaratssitzung (10.-14. Oktober 2016) fand im Unterausschuss Behinderung und Inklusion - zugeordnet dem Ausschuss für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung - eine Öffentliche Anhörung zur Themenstellung Rechtsfähigkeit und das Recht zu wählen statt. Als Experten waren geladen Milan Šveřepa, Director of the NGO Inclusion Europe, und Alfredo Ferrante, Chairperson of the Council of Europe Ad Hoc Committee on the Rights of Persons with DisabilitiesBeide verwiesen auf die unterschiedlichen Gegebenheiten zum Betreuungsrecht in den Staates des Europarates. Ferrante stellte den Evaluationsbericht des Ministerrates zum abgelaufenen „Evaluation report on the implementation of the Council of Europe Action Plan to promote the rights and full participation of people with disabilities in society: Improving the quality of life of people with disabilities in Europe 2006-2015“ vor. Sowohl Šveřepa als auch Ferrante sprechen sich für eine Stärkung und den Ausbau der politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen aus. Dazu gehört auch die Trennung von Rechtsfähigkeit und Wahlrecht. Ich fand die Ausführungen sehr überzeugend und mache mir diese Haltung, die im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht, zu eigen.

Am 31. Oktober 2016 nahm ich an der internationalen Konferenz zum Thema “Unser Recht auf Partizipation - Förderung der Partizipation von Menschen mit Behinderungen im politischen und öffentlichen Leben” teil. Diese Tagung wurde organisiert vom OSZE/ODIHR. Das ODIHR ist die Menschenrechtsinstitution der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die OSZE ist eine zwischenstaatliche Organisation, die für Stabilität, Prosperität und Demokratie in ihren 57 Teilnehmerstaaten arbeitet.

Fact-Finding Visit in Österreich - Warum habe ich Österreich besucht?

Österreich gehört zu den Staaten, die das Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen, insbesondere auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bzw. Menschen mit Lernschwierigkeiten bedingungslos anerkennen. Niemand wird von der Wahl ausgeschlossen ist.

Dieses aktive und passive Wahlrecht gilt

  • für die allgemeinen, freien und geheimen Wahlen auf kommunaler, Länder-, Bundes- und Europaebene,
  • aber auch für die PersonalvertreterInnenwahlen,
  • für die Behindertenvertrauenspersonen.
  • Für die Wahlen zu den Arbeiter- bzw. den Wirtschaftskammern.

Wählen dürfen auch die 60.000 Personen in Österreich, denen aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung ein Sachwalter zur Seite gestellt wurde. Besachwaltet werden in Österreich Menschen, die Geschäfte "nicht ohne Nachteil für sich selbst" besorgen können, wie es im österreichischen Amtsdeutsch heißt. Trotzdem bleibt mensch in Österreich - im Gegensatz zu 16 anderen EU-Staaten (auch Deutschland) - im Wahlregister aufgeführt. Sie sind also wahlberechtigt. Der Grad der Behinderung spielt, außer in Fällen einer "Totalbetreuung" (etwa bei KomapatientInnen), keine Rolle. Gesundheitliche Aspekte sind kein Wahlausschließungsgrund.

Vorbildlich ist meiner Meinung nach, dass die Österreichische Gebärdensprache in der österreichischen Bundesverfassung (Art. 8 Abs 3 BV-G1) als eigenständige Sprache anerkannt ist.

Österreichisches Politikum: Menschen mit Behinderungen üben das aktive und passive Wahlrecht auch bei der Bundespräsidentenwahl aus

Zum Zeitpunkt meines Besuches am 23./24. Oktober 2016 war die Aufregung anlässlich der Wiederholung der Bundespräsidentenwahl – jetzt am 4. Dezember – noch groß. Das ist nicht verwunderlich, dominiert dieses Thema doch bereits monatelang einen Großteil der medialen innenpolitischen Debatte. Zwar hat das Gericht die aktuelle Infragestellung der subtilen Unterstellung der Unfähigkeit zur richtigen Anwendung des Wahlrechts bei SeniorInnen mit altersbedingten Beeinträchtigungen als auch bei Menschen mit Behinderungen verworfen. Diesem Vorwurf müsse mit Transparenz und Aufklärung entgegen treten.

Das BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben - greift die augenblickliche Situation in dem sehr lesenswerten Artikel „Das Recht zu wählen und die Pflicht, dies zu unterstützen“ auf. Die aktuelle Debatte zur Bundespräsidentschaftswahl zeige deutlich, dass der auf Grundlage der UN-BRK geforderte notwendige Perspektivwechsel noch nicht weit verbreitet ist. „Es ist nicht die Frage, ob jemand seinen Namen aussprechen kann oder formale Bildung besitzt. Entscheidend ist der persönliche Entschluss des Menschen mit Beeinträchtigung, sein Wahlrecht ausüben zu wollen. Und dieser Entschluss ist durch die in der UN-BRK vorgesehenen Maßnahmen zu unterstützen.“

Menschen mit Behinderung dürfen wählen - also muss ihre Teilnahme an der Wahl auch gesichert sein

Um Menschen mit Behinderung einen möglichst barrierefreien Zugang zu ermöglichen, gab es 2007 eine umfassende Wahlreform:

  • Für gehörlose Personen werden Videos in österreichischer Gebärdensprache gestaltet.
  • Für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt es eine Wahlhilfe in einer "Leicht Lesen"-Version.
  • Jeder ab 16 Jahren erhält eine Wahlkarte mit der Aufforderung zur Wahl.
  • Wahllokale müssen ihren Standort "nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten" behindertengerecht einrichten, die Standorte der barrierefrei zugänglichen Wahllokale sind rechtzeitig vor der Wahl offiziell bekannt zu geben.
  • Für blinde und sehbehinderte Personen stehen in jedem Wahllokal Stimmzettel-Schablonen zur Verfügung. Blinde und sehbehinderte Personen können natürlich einen Rehabilitations- oder Blindenführhund bis in die Wahlzelle mitnehmen.
  • Die Stimmabgabe kann vor Ort, in einem dann aber gesondert zu beantragten dritten barrierefreien Wahllokal, kann per Briefwahl oder aber mittels „fliegender Wahlbehörde“ stattfinden. Diese differenzierten Wahlformen sind ein auch von vielen älteren Personen genutzter Dienst und besteht aus einem vierköpfigen Komitee, das am Tag der Wahl zu der einzelnen Person fährt, um vor Ort die Wahlstimme entgegen zu nehmen.

Kritisch ist ggf. herauszustellen, dass bei beeinträchtigten Menschen, die in Begleitung zur Wahlurne gehen, die anwesende Kommission entscheidet, ob die Begleitperson berechtigt ist, bei der Stimmabgabe zu helfen.

Wen habe ich getroffen und aufschlussreiche Gespräche führen können?

Ich bedanke mich bei Elodie Fischer, Mitarbeiterin des Ausschusses für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung des Europarates, und Georg Magerl, Sekretär der österreichischen PACE-Delegation, für die effiziente Vorbereitung und Begleitung.

Abgeordnete des österreichischen Nationalrates

Getroffen habe ich Abgeordnete des österreichischen Nationalrates: den ÖVP-Abgeordneten Dr. Franz-Joseph Huainigg und die ehemalige Abgeordnete Theresia Haidlmayer von den Grünen. Beide sind selbst von Behinderung betroffen und sind bzw. waren BehindertensprecherInnen ihrer Fraktionen. Sie berichteten mir von ihrem Weg in die Politik, von dem Prozedere der Aufstellung auf (un-)sicheren Listenplätzen, dem österreichischem Wahlrechtssystem der “Vorzugsstimmen” und ihren Erfahrungen als Abgeordnete. So ist das Parlamentsgebäude nicht barrierefrei und die politischen Beteiligung und Repräsentation von Menschen mit Behinderung in ihren jeweiligen Parteien sind nicht ausreichend.

Die Befürwortung von Quoten für Menschen mit Behinderung auf den Wahllisten fiel unterschiedlich intensiv aus. Einigkeit bestand aber darin, dass Menschen mit Behinderungen ohne eine bewusste parteipolitische Förderung den Sprung ins Parlament wohl nicht schaffen werden. Noch sei es sehr wichtig, dass die BehindertensprecherInnen einer Fraktion PolitikerInnen sein sollten, die als Selbstbetroffene dieses Politikfeld repräsentieren können. Nur so werde sich das Bewusstsein in absehbarer Zeit ändern.

Es müsse mehr unternehmen werden im Feld der Politik, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt partizipieren können, so auch die Haltung von Johann Hechtl (SPÖ/SOC) und Eduard Köck (ÖVP/EPP). Sie sind beide Berichterstatter in Ausschüssen bzw. in PACE. Der politische Wettbewerb um die „Vorzugsstimmen“ werde durchaus innerhalb einer Partie aggressiv geführt. Hier hänge es auch von der finanziellen Stärke der BewerberInnen bzw. ihrer UnterstützerInnen ab.

Hinsichtlich des passiven Wahlrechts wird aber auch gesagt: „Jeder Beruf braucht gewisse Voraussetzungen.“ - Was damit wohl gemeint ist?

Über das Wahlrecht hinaus wurde debattiert über

  • die Vielfalt unter den Menschen mit Behinderungen – leider kämpfe aber immer noch jede Gruppe für sich alleine. Der Zusammenschluss zu einer Behinderten-Bürgerrechtsbewegung sei noch nicht gelungen.
  • das Aufgabenspektrum der persönlichen AssistentInnen, z.B. beim Absaugen: Hier gebe es einen Konflikt zwischen der Pflegegewerkschaft und dem Sozialministerium. Mit der neuen „Gesamte Rechtsvorschrift für Gesundheits- und Krankenpflegegesetz“ sei nun eine Lösung dergestalt hinzubekommen, dass diese persönlichen AssistentInnen durch Fachkräfte der Gesundheits- und Krankenpflege geschult werden und dann einen Auftrag zur Delegation erhalten.
  • die Hoffnung, dass das Parlament im Rahmen eines dreijährigen Umbaus barrierefrei gestaltet werde - für jede Form der Behinderung.
  • die Tatsache, dass es zu wenige Medien gäbe, die das Thema Wählen in verständlicher Form darstellen. Zu loben sei die Website www.rechtleicht.at
  • das Ärgernis, dass zum Beispiel bei Anhörungen noch immer verstärkt der ÖAR Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs und nicht SLIÖ - Dachverband der österreichischen Selbstbestimmt-Leben-Bewegung angehört würde. Es gäbe gravierende Unterschiede zwischen den traditionellen und den neuen Verbänden, im letzteren seien zumeist auch die jüngeren Leute aktiv.
  • den durch die SPÖ auf den Weg gebrachten Verein "Jugend am Werk" mit seinen zwei gemeinnützige GmbHs: die "Jugend am Werk Berufsausbildung für Jugendliche GmbH" sowie die "Jugend am Werk Begleitung von Menschen mit Behinderung GmbH". Im Vordergrund steht die Begleitung zur Selbstständigkeit als Grundlage für ein unabhängiges und erfülltes Leben.
  • politische Instrumente zum Abbau von Barrierefreiheit und stärkeren Zugänglichkeit zu allen Lebensbereichen: Ein positives Beispiel sei die DemokratieWEBstatt, die auch gezielt Demokratieschulungen für Erwachsene mit Behinderungen anbieten.

 Agentur der Europäischen Union für Grundrechte

Sehr aufschlussreich war auch das Gespräch mit MitarbeiterInnen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), einer der spezialisierten Agenturen der Europäischen Union. Die FRA hilft sicherzustellen, dass die Grundrechte der Menschen in der EU geschützt werden. Die Grundrechte setzen Mindeststandards um sicherzustellen, dass Menschen würdevoll behandelt und nicht diskriminiert werden, sei es unter anderem aufgrund von Alters, einer Behinderung, der ethnischen Herkunft, des Rechts auf den Schutz der personenbezogenen Daten oder des Rechts auf Zugang zur Justiz. Die FRA sammelt Informationen über die Grundrechtesituation in der gesamten EU, gibt Empfehlungen zur Verbesserung, führt Schulungen zu bewährten Praktiken auf, die einzelne Mitgliedstaaten eingeführt haben, um u.a. Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Fakt sei: Die rechtlichen und gesellschaftlichen Barrieren für die in der EU lebenden rund 80 Millionen Menschen mit einer Behinderung unterscheiden sich in den EU-Staaten ziemlich. Auf folgende vier Säulen müsse in jedem EU-Land besonderer Wert gelegt werden:

  • Gesetzliche Regelungen
  • Regelungen des Zugangs, u.a. zu politischen Informationen
  • Möglichkeiten der Partizipation in den Parteien und im Wahlprozess selbst, in Politik und Gesellschaft - Rolle der politischen Bildung
  • Bewusstseinsbildung - Rolle des Schulwesens und des Empowerments.

Eine meiner GesprächspartnerInnen war Martha Stickings, Politologin und Soziologin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Rechte von Menschen mit Behinderung, Diskriminierung von Mitgliedern der LGBTTIQ-Community und Gender-Identität.

Sind Menschen mit Behinderungen an Politik interessiert? Sie seien genauso viel bzw. genauso wenig interessiert wie die übrige Bevölkerung. Für Menschen mit Behinderungen müssten noch stärkere Maßnahmen bei der politischen Ansprache bzw. bei den Zugängen geschaffen werden als ggf. bei nicht von Behinderung betroffenen NichtwählerInnen.

Wie weitreichend ist das inklusive Wahlrecht? Dieses beträfe alle Wahlen auf allen föderalen Ebenen, gelte aber auch für andere Wahlen

Ein Ergebnis auch ihrer Arbeit ist der von der FRA vorgelegte Grundrechte-Bericht 2016, der eine Zusammenfassung und Analyse der wichtigsten einschlägigen Entwicklungen, den erzielten Fortschritte als auch den nach wie vor bestehenden Hindernissen bietet.

Ihre Hinweise und Empfehlungen zur noch besseren Umsetzung des inklusiven Wahlrechts:

  • Grundsätzlich wird eine stärkere “strukturierte und systematische Konsultation und Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen” zu jedem Themenfeld auch bei der Förderung des aktiven und passiven Wahlrechts empfohlen - also “Nichts über uns ohne uns”. Dabei müssen diese Prozesse vollkommen barrierefrei sein, sodass alle Menschen mit Behinderungen, unabhängig von der Art ihrer Beeinträchtigung, daran teilnehmen können.
  • Es gibt keine homogene Gruppe Menschen mit Behinderungen. Hinsichtlich eines inklusiven Wahlrechts muss die Vielfalt der Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden, ansonsten profitieren die diversen Gruppen in ein unterschiedlichen Ausmaß von Regelungen und das führe zu neuen Ungerechtigkeiten.
  • Ermöglicht werden solle ein „Peer-Counselling“ sowohl im Vorfeld einer Wahl und ggf. auch in den Wahllokalen selbst.
  • Die privaten als auch die öffentlich-rechtlichen Medien müssen barrierefrei(er) auf das Wahlrecht verweisen - Gehörlosensprache, Untertitel, etc.
  • Zu klären ist, wie eine persönliche Assistenz bezahlt wird? Bei der Briefwahl, beim Gang ins Wahllokal,… .

Sie verwies auf das EU Projekt „My Opinion, My Vote (MOTE)“, welches Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen empowern will zu einer aktiven BürgerInnenschaft und zur Partizipation an politischen Wahlen.

Diskutiert haben wir auch das sich gerade im parlamentarischen Verfahren befindliche Erwachsenenschutzgesetz, welches das derzeitige Sachwalterrecht reformiert. Im Erwachsenenschutzgesetz - das österreichische „deutsche Betreuungsrecht“ - gilt der Grundsatz „Unterstützen statt entmündigen“. Im Mittelpunkt steht die Autonomie, Selbstbestimmung und Entscheidungshilfe für die Betroffenen. Deren Entscheidungsfähigkeit soll wesentlich gestärkt werden. Die Familien sollen stärker eingebunden werden, damit unnötige Besachwalterungen künftig vermieden werden können. Es wird nach derzeitiger Planung im Dezember im Parlament beschlossen und im Juli 2018 in Kraft treten.

Der neue Gesetzentwurf wurde von vielen GesprächspartnerInnen gelobt, da es die Vorgaben der UN-Behindertenrechtekonvention erfüllt und eine moderne rechtliche Grundlage, die jedem internationalen Vergleich standhält, schafft.

Erfolgen sollte ein Vergleich des österreichischen Erwachsenenschutzgesetzes und des deutschen Betreuungsrechts. Diese rechtlichen Strukturen sind sehr entscheidend für ein inklusives Wahlrecht.

Auf der Website „my handicap“ wird zwischen körperlicher, geistiger, psychischer und Sinnesbehinderung unterschieden. Für alle Betroffenen - unabhängig von der Form ihrer Behinderung - müssten die Zugänge zu jedem Lebens- und Arbeitsbereich verbessert werden.

Ich freue mich, Martha Stickings in Helsinki bei der OSZE/ODIHR-Tagung am 31. Oktober 2016 wiederzutreffen.

Unabhängiger Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Ich danke auch Christina Wurzinger, Vorsitzende des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, und Tina Rametsteiner, Politische Referentin der ÖAR, Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs für unser Gespräch. Auch sie betonen, dass es formalrechtlich keine Unterscheidungen hinsichtlich des Wahlrechtes in Österreich gibt. Dennoch hapere es bei der Umsetzung:

  • Nicht jedes Wahllokal ist barrierefrei, nicht immer werde ohne Argumentation das Recht einer behinderten Person auf Mitnahme einer Person umgesetzt.
  • Es fehlt der gleichberechtigte Zugang zur politischen Bildung ebenso wie umfassende Wahlinfos.

Zur „Verwirklichung barrierefreien Wahlrechts“ lägen zahlreiche Stellungnahmen vor. Wichtig sei, viele öffentliche Sitzungen durchzuführen, die unter Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen erfolgen.

Dialog mit VertreterInnen staatlicher Einrichtungen

Gespräch mit dem Behindertenanwalt

Seit 1. Januar 2010 ist Dr. Erwin Buchinger Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen (Behindertenanwalt). Die Behindertenanwaltschaft unterstützt einzelne Menschen mit Behinderungen im Kampf gegen Diskriminierung und arbeitet eng mit den zivilgesellschaftlichen Kräften zusammen, damit die Akzeptanz für eine inklusive Gesellschaft steigt. Eines seiner wichtigsten Anliegen ist das „Recht auf Arbeit, Ausbildung, auf eine sozialrechtlich abgesicherte Beschäftigung für alle ArbeitnehmerInnen. Jeder Mensch mit Behinderungen, der sich aufgrund seiner Behinderung diskriminiert fühlt, kann sich an den Behindertenanwalt als Vertrauensperson wenden. Die meisten Schlichtungsverfahren beziehen sich auf die Bereiche Arbeit, Ämter und Behörden, Erziehung und Bildung, VerbraucherInnenschutz, Bauen und Wohnen, Verkehrsmittel.

Zum Thema „Wahlrecht, Wahlausübung bzw. politische Partizipation“ hat es bislang sehr wenige Beschwerden und damit auch kaum Schlichtungsverfahren gegeben.

  • Beschwert hätten sich blinde Menschen hinsichtlich mangelhafter Aufklärung über den Ort der Wahllokale, gefolgt von den Menschen mit körperlichen Einschränkungen wegen noch unzureichender Barrierefreiheit und Menschen mit intellektueller Behinderung, da die Parteien keine bzw. zu wenige Materialien in leichter Sprache mit Informationen zur Wahl aufgelegt hätten.  
  • Fakt sei, dass es kaum Daten dazu gibt, wie Menschen mit intellektuellen Behinderungen ihr Wahlrecht nutzen.
  • Parteien nähmen das Thema Barrierefreiheit und inklusives Wahlrecht nicht ernst genug, folglich werde es auch nicht systematisch angegangen. Behindertenpolitik werde als Teil von Soziales betrachtet und nicht als eine Mainstreampolitik.
  • Wahlrecht in Institutionen: Rund 70.000 WählerInnen wohnen in SeniorInnen- und Pflegeeinrichtungen, davon seien sicherlich mehr als Zweidrittel von altersbedingten Behinderungen betroffen. Diese seien die „treuesten WählerInnen“. Österreich debattiere gerade - angestoßen durch eine Klage der FPÖ -, ob das Wahlgeheimnis bei der Briefwahl, die so manches Mal in einer Einrichtung pauschal für alle gestellt werde, auch wirklich eingehalten werde. Viele der Wahlentscheidungen würden mit Hilfe der PflegerInnen getroffen. Diese müssten eigentlich besonders geschult werden. Leider interessierten sich aber auch SeniorInnenverbände dafür zu wenig.
  • Es gibt sehr große Behinderteneinrichtungen. Auch hier sei auf die Rechtmäßigkeit des Wahlvorganges zu achten. Auch hier könnten zivilgesellschaftliche AkteurInnen sich noch verstärkt einmischen.

Was kann mensch von Österreich lernen?

  • Kein Staat muss sich fürchten, wenn alle Menschen mit Behinderungen zur Wahl gehen.
  • Das formale Wahlrecht ist zu wenig, die Bewusstseinsbildung ist auf allen Ebenen zu stärken.
  • Die Herausforderung Partizipation ist stark verknüpft mit der Herausforderung De-Institutionalisierung.
  • Die Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen ist nicht nur ein sozialpolitisches, sondern auch ein gleichstellungspolitisches Thema.

Gespräch im Sozialministerium

Johann Döller, Abteilungsleiter im Sozialministerium Österreich, verweist darauf, dass die De-Institutionalisierung eine Aufgabe der Bundesländer sei. Diskutiert werde ein „Inklusionsfonds“, der einen Finanzausgleich zwischen den Regionen schaffen soll. Die Debatte kommt mir angesichts unserer Beratungen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) sehr bekannt vor.

Zur Umsetzung der Maßnahmen des Nationale Aktionsplan (NAP) Behinderung 2012- 2020 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention soll jetzt eine NAP-Zwischenbilanz zeigen, wie weit der Umsetzungsstand ist. Etliche zivilgesellschaftliche Kräfte sähen noch großen Aufholbedarf etwa bei der Inklusion in der Bildung und bei der Inklusion in den Arbeitsmarkt.

Highlights der Zwischenbilanz seien:

  • Eine stärkere Bewusstseinsbildung für das selbstbestimmte Bild von Menschen mit Behinderungen, entwickelt worden sind entsprechende Guidelines.
  • Das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindliche Erwachsenenschutzgesetz, welches von Anfang an unter der Maxime „Nichts ohne uns über uns“ erstellt worden sei. Sprachlich würde hier der Begriff „die vertretende Person“ genutzt.

Gestärkt werde die Partizipation, niemand ist von der Wahl ausgeschlossen.

  • Durch diese Teilhabe am öffentlichen Leben steige das Selbstwertgefühl steige.
  • Grundsätzlich sei - aufgrund der NS-Zeit - eine Datenerhebung zur Ausübung des Wahlrechts bei Menschen mit Behinderungen schwierig. Es gebe hierzu keine Daten.
  • Den Parteien sei empfohlen, sich als „Gate-Keeper“ zu verstehen und die „Maxime „nichts über uns ohne uns“ in jede Konzeption einzubauen. Bei ihren öffentlichen medialen Auftritten müssten mehr Menschen mit Behinderungen vertreten sein.
  • Gefordert wird ein Wandel der österreichischen Parteienfinanzierung: Menschen mit Behinderungen gehören auf die vorderen aussichtsreichen Listenplätze. In ein neues Quotensystem seien behinderungsrelevante Tatbestände einzubauen.
  • Es müssen andere und neue Rollenbilder entwickelt werden - insbesondere für die kommunale Ebene.
  • Sehr positiv ist, dass die Gebärdensprache in der Verfassung verankert ist.
  • Es gäbe einen „Implementations Gap“. Möglichweise seien Clearing-Stellen hilfreich, um ggf. in gestufter Form zu klären, was der einzelne Mensch braucht, sei es im Hinblick auf gesetzgeberische Beratung oder aber sozialarbeiterische Hilfen.

Treffen mit VertreterInnen der Behindertenbewegung Österreichs

Albert Brandstätter von der Lebenshilfe Österreich

Hochpolitisch und sehr interessant war auch das Gespräch mit Albert Brandstätter, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich. Die Lebenshilfe Österreich ist eine Selbsthilfevereinigung sowie ein Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihrer Familien. “Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Ihr Leben, ihre Rechte, ihre Interessen beschäftigen uns, Tag für Tag.” Intention ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung und die mit hohem und komplexen Unterstützungsbedarf am Leben in der Gesellschaft.

Wie vulnerabel die von der Lebenshilfe vertretene Gruppe ist, hat gerade einmal wieder ein Politikum gezeigt. Die FPÖ, eine rechtspopulistische Partei in Österreich, tue derzeit alles, um die erneut verschobene, nun auf den 4. Dezember terminierte Bundespräsidentenwahl zu gewinnen. Um die Zahl der BriefwählerInnen zu reduzieren, hat die FPÖ diskriminierenderweise vorgeschlagen, Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung das Wahlrecht zu entziehen, da die Wahlentscheidung ja durch die UnterstützerInnen beeinflusst sein könne. Der Vorschlag, Menschen wieder von der Wahl auszuschließen, als auch der Generalverdacht gegen die Unterstützungspersonen empört die Lebenshilfe - sehr zu Recht, wie ich finde! So könne es sein, dass eine Unterstützungsperson entscheidet, einen Wahlzettel für eine beeinträchtigte Person nicht auszufüllen, zum Beispiel wenn sie nicht in der Lage ist, den Willen der Person zu erkennen. Hier bedarf es eines großen Lernprozesses sowohl der einzelnen Unterstützungsperson als auch in der Gesellschaft. Nur weil Missbrauch prinzipiell möglich ist, kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass er stattfindet. Dadurch darf den BürgerInnen, die von einer SachwalterIn unterstützt werden, nicht gleich das Wahlrecht abgesprochen werden.

„Das individuelle Bürgerrecht ist höher zu bewerten als die Missbrauchsvermutung.“ Das Wahlrecht für alle BürgerInnen sei ein in der Verfassung unveräußerliches Freiheitsrecht, das niemandem genommen werden darf. Die Umsetzung in der Praxis erfordere angemessene und sachgemäße Unterstützung, beispielsweise durch eine Begleitung in die Wahlkabine - sofern die WählerIn mit hoher körperlicher oder intellektueller Beeinträchtigung das wünscht. Das gilt auch für die sachgemäße Unterstützung beim Wahlvorgang mit Wahlkarten. Unterstützung / Begleitung / Assistenz ist für Personen mit Beeinträchtigungen im Alltag ebenso wichtig wie beim Wahlgang, bei der Ausübung eines demokratischen Prozesses.

Albert Brandstätter fordert:

  • den Aufbau von Unterstützungsfiguren für einen großen gesellschaftlichen Lernprozess,
  • auch die NGO´s müssten noch viel lernen,
  • es gäbe selbst noch ungeheuerlich viel zu lernen, u.a. bei der Erstellung von Positionspapieren,
  • den Ausbau von Trialogen: self advocacy, Selbstvertretung - Angehörigenbeiräte – GeschäftsführerInnenbeiräte: geschaffen werde müsse ein Kultur der kommunikativen Barrierefreiheit
  • mehr politische Bildung in den Schulen oder aber wie zum Beispiel die DemokratieWEBstatt.

Treffen mit SelbstvertreterInnen der Behindertenbewegung Österreichs

Lukas Huber, Vorstandsmitglied und Generalsekretär des Österreichischen Gehörlosenbundes (ÖGLB) ist gehörlos und kam mit seiner Gebärdendolmetscherin. Im Mittelpunkt standen sowohl das Wahlrecht als auch grundsätzlich die Notwendigkeit der Verbesserung der politischen Partizipation.

Der ÖGLD ist die Interessenvertretung der Gehörlosengemeinschaft in Österreich und setzt sich seit über 100 Jahren für den Abbau von Hürden ein, denen sich gehörlose Menschen einer hörenden Welt gegenüber ausgesetzt sehen. Mittlerweile gibt es in sechs Bundesländern und in Wien Gehörlosenverbände. Hier vertreten gehörlose Menschen ihre Interessen selbst. „Nicht das Nicht-Hören ist das Problem, sondern die Barrieren.“

Seit dem 1. September 2005 ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in der Verfassung verankert. Das war ein wichtiger Schritt in Richtung inklusive Gesellschaft. Die Anerkennung der ÖGS sollte darauf abzielen, nicht nur Rechte der österreichischen Gebärdensprachminderheit zu gewährleisten, sondern auch Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der ÖGS abzubauen und ein positives Bewusstsein zu entwickeln. Einiges Positive sei daraus für die österreichische Gebärdensprachgemeinschaft gefolgt:

  • Gehörlosen Menschen wird teilweise ihr Recht auf Verwendung der ÖGS in Behörden und Ämtern eingeräumt,
  • mehrere Unternehmen hätten ihr Personal in grundlegende Gebärden schulen lassen,
  • im Parlament und in immer mehr Landtagen werden Reden der Abgeordneten in die ÖGS gedolmetscht,
  • es gibt einen verbesserten Zugang zu Kommunikationstechnologien, z.B. werde der Telefonvermittlungsservice mit ÖGS-Dolmetschung vom Ministerium gefördert oder und einige Programme in einigen Medien haben eine ÖGS-Dolmetschung.
  • Das österreichische Parlament bezahlt bei der Übertragung seiner Sitzungen die GebärdensprachendolmetscherInnen.
  • Klar sei mittlerweile auch, dass vor Gericht gedolmetscht werde.

Dennoch seien gehörlose Menschen als Sprachminderheit in ihren Grundrechten beeinträchtigt, weil z.B. kein Rechtsanspruch auf Dolmetschung für Gebärdensprache besteht.

Im Bildungsbereich sind Kernforderungen des ÖGLB nach wie vor nicht umgesetzt:

  • So das Recht auf bilingualen Unterricht bzw. inklusive Bildung und die Anerkennung der ÖGS als Förder- und Unterrichtssprache - so seien die Lehrkräfte in Schulen häufig nicht gebärdensprachkompetent.
  • Die gebärdensprachige Minderheit im Bildungsbereich hätte noch nicht die gleichen linguistischen und kulturellen Rechte, wie sie Angehörigen von Volksgruppen, welche eine gesprochene Sprache verwenden, bereits zustehen.

Der österreichischen Gebärdensprachgemeinschaft fehlten noch Minderheitsregelungen wie das Recht auf Existenz, Recht auf spezifischen Diskriminierungsschutz und Gleichbehandlung. Diese dürften auch nicht nur auf individual-rechtlicher Basis sondern müssten auch auf kollektiv-rechtlicher Basis erfolgen, da es sich um eine Sprachgemeinschaft handelt. Mehr Berücksichtigung finden müssten auch die Belange von gehörlosen, hochgradig schwerhörigen und taubblinden Menschen als Mitglieder der Gebärdensprachgemeinschaft. Gefordert wird ein Beirat zur Beratung der Bundesregierung und der Bundesministerien in Angelegenheiten der ÖGS.

Als BürgerInnen seien etliche der gehörlosen Menschen sehr frustriert:

  • Es gäbe kaum gehörlose Menschen in politischen Funktionen und Mandaten. Hier seien insbesondere die Parteien aufgefordert, Abhilfe zu schaffen.
  • Die Medien brächten auch für sie nutzbare Informationen viel zu wenig.
  • Viele der „Hohen Häuser“ auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen seien nicht barrierefrei.
  • Es fehle an politischer Bildungsangeboten - insbesondere auch in den Schulen -, obwohl der Nachfrage in der Zielgruppe groß sei.
  • Berufstätige Gehörlose müssten sich für ehrenamtliche Tätigkeiten, für Kontakte mit PolitikerInnen häufig Urlaub nehmen, da nicht zu jeder Tages- und Abendzeit eine GebärdensprachdolmetscherIn dabei sei.

Ausbildung zur Gebärdensprachdolmetscherin

Derzeit gibt es 3 Wege zur Berufserlangung. Aber nur die Universität Graz bietet eine kostenfreie universitäre Ausbildung zur Gebärdensprachdolmetscherin an. Für andere Ausbildungsstätten müsste privat gezahlt werden und das Angebot in Linz stehe nur den Landeskindern Oberösterreichs offen.

Kommunikationsprobleme erschweren den Weg in die Politik

Sich mit PolitikerInnen zu unterhalten sei schwierig – auch auf facebook. Kaum jemand biete etwas in leichter Sprache oder in Gebärdensprache an. Deshalb sei der Weg für gehörlose Menschen in die Politik kaum machbar – für eine inklusive Gesellschaft aber erforderlich.

Wolfgang Nowak, Wissenschaftler und Behindertenvertrauensperson an der Universität Wien, und ist blind. Er studierte Philosophie, Rechts- und Politikwissenschaft und arbeitet an der Universität Wien unter anderem als deren gewählte Behindertenvertrauensperson für das allgemeine und Universitätspersonal. Nowak ist auch Vorsitzender der Uniability - Arbeitsgemeinschaft zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen an Österreichs Universitäten und Hochschulen.

Eine Dauerbaustelle bei der Herstellung von Barrierefreiheit liegt in der Aussonderung behinderter Menschen aus dem Schulsystem, aus dem Bildungswesen. Wenn Menschen nie in Ihrem Leben mit behinderten Menschen in Berührung kommen, dann hätten sie eine „Behinderung“, da sie nicht lernten mit Personen mit Handicaps umzugehen.

Laut Mikrozensus aus dem Jahr 2007 haben 20,5% der österreichischen Bevölkerung irgendeine Form von dauerhafter Beeinträchtigung – trotzdem tue die Politik in weiten Teilen nicht genug zur Verbesserung der Lebenslagen dieser Menschen. Daran habe auch die UN-Behindertenrechtskonvention noch nicht ausreichend genug ändern können. Sogar die bauliche Barrierefreiheit existiere noch nicht, es gäbe leider keinen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch.

 Treffen mit der Wissenschaftlerin Dr. Ursula Naue , Staatenberichterstatterin für Österreich

Sehr lebhaft und interessant war auch die Begegnung mit Dr. Ursula Naue, Senior Lecturer am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien mit den Forschungsschwerpunkten Behinderung und Behindertenpolitik, Politik der Demenz und des Alterns. Sie ist stellvertretendes Mitglied in der Wiener Monitoringstelle für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und österreichische Kontaktperson für ANED (Academic Network of European Disability Experts), dem Akademischen Netzwerk Europäischer BehinderungsforscherInnen.

Die Kernfrage lautete: Haben alle ÖsterreicherInnen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts die gleichen Chancen?

  • Es gibt in Österreich ein inklusives Wahlrecht. Das aktive Wahlrecht könne per Briefwahl, im Wahllokal, im pro Wahlsprengel existierenden gänzlich mobilitätsfreien Wahllokal, und mittels „mobiler Wahllokale“ eine Stimmabgabe erfolgen. Ausgebaut werden sollten aber Schulungsprogramme für alle WahlhelferInnen, in denen über besondere Interessen von Menschen mit Behinderungen dezidiert informiert werde.
  • Menschen mit Behinderungen sind in politischen und öffentlichen Funktionen und Mandaten deutlich unterrepräsentiert. Die politische Teilhabe von Menschen in Behinderungen müsse barrierefreier gestaltet und ausgebaut werden.
  • Innerhalb der Parteien erfahren Menschen mit Behinderungen zu wenig politische Unterstützung. Hier fehle es an entsprechender Bewusstseinsbildung und an der dezidierten  Aufforderung, Menschen mit Behinderungen nicht zu diskriminieren - sowohl bei der Aufstellung zu politischen Funktionen und Mandaten als auch unter anderem bereits hinsichtlich der von ihnen gewählten Räumlichkeiten bei Parteiveranstaltungen.
  • Zu häufig werden auch öffentliche Veranstaltungen seitens staatlicher und politischer Gremien in barrierefreien Räumlichkeiten abgehalten.
  • Kritisiert wird die mediale Information für Menschen mit Behinderungen. In den öffentlichen und privaten Medien wird zu wenig „zielgruppenspezifisch“ über politische Positionen, über die Inhalte der verschiedenen Parteien berichtet: Es gäbe zu wenige Programme mit Gebärdensprache, in einer leichten Sprache, und mit Untertiteln.
  • Menschen mit Behinderungen seien auch nicht in den entsprechenden Beiräten von Funk und Fernsehen vertreten. Auch dieser Mangel führe dazu, dass das Bild von selbstbestimmten Menschen mit Behinderungen, die Rechte haben, zu wenig vermittelt würde.

Es gäbe aber auch „gute Beispiele - Best Practice“:

  • So habe sich die „Demokratiewerkstatt“, die ursprünglich zur Erziehung zu Demokratiebewusstsein bei Kindern zwischen 8-15 Jahren eingerichtet wurde, aktiv darum gekümmert, dass auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bei den Nationalratswahlen (Bundestagswahl) über die Parteien und ihre Programme informiert werden. 
  • Auf der Website RECHTleicht.at wird Politik leicht verständlich dargestellt – auch in Gebärdensprache. Dies sei eine Form der Zugänglichkeit zur Politik.
  • In einigen Bundesländern und Kommunen gibt es gezielte Veranstaltungen von PolitikerInnen mit Menschen mit Behinderungen.

Ein Hindernis bei der Durchsetzung einheitlicher Standards, wie sie der Staatenbericht (hier in der Leicht-Lese-Version) fordert, sei so manches Mal der Föderalismus. 

AnhangGröße
Replies to the questionnaire on the political rights of persons with disabilities (2).pdf1.16 MB
Fragenkatalog für Fact Finding Visit in Wien.pdf25.66 KB