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Inklusion - „Teilhabe - Jetzt erst Recht“: Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude

Unsere gesamte Gesellschaft muss einen Perspektivwechsel vollziehen: Menschen mit Behinderung wollen nicht mehr aus der Fürsorgeperspektive behandelt werden, sondern selbstbestimmt leben und an der Gesellschaft umfassend teilhaben. Das ist das erklärte Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) – das ist auch das erklärte Ziel der rund 5.000 Menschen mit und ohne Behinderungen, die am 7. November 2016 aus der ganzen Bundesrepublik zur Kundgebung „Teilhabe - jetzt erst Recht!“ angereist sind. Ich unterstütze dieses Engagement. Auch ich will, dass wir im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention moderne Teilhaberechte gesetzlich verankern. Wir brauchen das Bundesteilhabegesetz. Daher habe ich sehr gerne - stellvertretend für alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages - die Forderungen für ein gutes Bundesteilhabegesetz entgegengenommen.

Anlass der Demonstration war die nahezu zeitgleich stattfindende Öffentliche Anhörung der Sachverständigen und der Verbände zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) im Deutschen Bundestag. Aufgerufen zur Demonstration hatten drei Fachverbände für Menschen mit Behinderungen: Der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB), der Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen (Anthropoi BV) sowie der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP). Stattfanden zeitlich auch noch zwei weitere Demonstrationen rund um das Reichstagsgebäude statt, zu der zum einen der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und zum anderen die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. aufgerufen haben. Sie alle demonstrierten für die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung.

Inklusion bedeutet das Recht auf eigene Entscheidungen

Das gewachsene politische Selbstbewusstsein von Menschen mit Behinderungen ist auch im bunten und vielfältigen Programm und in den zahlreichen Beiträgen der VertreterInnen der Fachverbände, der SelbstvertreterInnen und der Angehörigen  deutlich geworden. Direkt aus der Öffentlichen Anhörung, - die als Aufzeichnung und per Wortprotokoll vorliegt - kommend, berichtete Michael Conty, Vorsitzender der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände im Beteiligungsprozess zum Bundesteilhabegesetz, den Fragen der ParlamentarierInnen und den Antworten der geladenen ExpertInnen. Trotz Betonung der positiven Aspekte des vorgelegten Bundesteilhabegesetzes haben die ExpertInnen zahlreiche Nachbesserungen verlangt. Immer wieder munter machend waren auch die Einlagen der Band „Inclusions“.

Sechs Kernforderungen der Fachverbände

Um das Ziel einer inklusiven Gesellschaft mit gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu realisieren, gibt es sechs gemeinsame Kernforderungen mit dem Titel „Teilhabe - jetzt erst Recht! Verschlechterungen verhindern!“ der Fachverbände zum Bundesteilhabegesetz: 

  1. Unterstützung gewährleisten - niemand darf aus dem System fallen
  2. Nicht in der Pflege verschieben, nicht von Pflegeleistungen ausschließen
  3. Keine Lücken bei Systemumstellung - bisherige Wohnstätten dürfen nicht gefährdet werden
  4. Leistungen bedarfsgerecht ausgestalten - faire Verhandlung der Unterstützungsleistungen
  5. Keine Verschlechterung der Versorgung mit den neuen Gesetzen
  6. Teilhabe am Arbeitsleben für Alle gewährleisten

Diese Forderungen wurden von den Geschäftsführern und Vorständen der drei Fachverbände verlesen und näher ausgeführt - stellvertretend für über 860 000 Menschen, die in Deutschland auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen sind. Sie alle brauchen und wollen auch zukünftig eine gute und individuell bedarfsgerechte Unterstützung. Eingefordert wird die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Diese gilt seit der Ratifizierung in Deutschland vor sieben Jahren und muss Maßstab für politisches Handeln sein. Zentrales an alle Menschen mit und ohne Behinderungen gerichtetes Anliegen ist eine inklusive Gesellschaft mit gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle. „Dem muss das Bundesteilhabegesetz genügen!“

Sich einmischen, sich stark machen für die eigenen Rechte

Nach einem herzlichen Willkommen in Berlin habe ich mich für das Starkmachen für die eigenen Rechte der vielen tausend Anwesenden bedankt. Deutlich zum Ausdruck gebracht habe ich auch, dass ich die aktive Einmischung der Betroffenen, der Menschen mit Behinderung in ihrer Vielfalt für ein gutes Bundesteilhabegesetz einmischen. Wann denn sonst, wenn nicht jetzt - das ist aktives politisches Agieren, das ist die aktive Wahrnehmung von BürgerInnenrechten. Deshalb ist es genau richtig, die Kundgebung neben den Büros der Abgeordneten im Paul-Löbe-Haus und neben dem Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages, und in Sichtweite des Bundeskanzleramts stattfinden zu lassen: Denn hier wird Politik für Menschen mit und ohne Behinderung gemacht. Und Politik lebt vom Engagement, vom aktiven Einmischen.

Als Berichterstatterin zur Sozialen Pflegeversicherung trage ich Mitverantwortung für die Ausgestaltung der Schnittstellen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung. Ich kämpfe dafür, dass sich die Ängste, in die Pflege „verschoben“ zu werden, nicht bewahrheiten. Ich bin durchaus guten Mutes, dass wir Abgeordnete im aktuellen parlamentarischen Beratungsprozess noch zu zahlreichen Regelungen kommen werden, mit denen auch die hier Demonstrierenden zufrieden sein werden. Ob alle Forderungen umgesetzt werden könnten, könne ich nicht versprechen. Aber ich verspreche: „Ich setze mich für diese Forderungen ein“. Ich will wie alle hier Anwesenden eine inklusive Gesellschaft.

Die Veranstalter sahen sich darin bestätigt, wie wichtig es ist, zu diesem zentralen Gesetzesvorhaben Impulse zu geben und dafür zu kämpfen, dass die Mängel am BTHG beseitigt werden und es für Menschen mit Behinderung ein gutes Gesetz wird.

Das BTHG ist ein sozialpolitischer Meilenstein

Das BTHG wird die Leistungen für Menschen mit Behinderung neu regeln. Bisher ist die Eingliederungshilfe durch die einzelnen Bundesländer und Kommunen geregelt - entsprechend unterschiedlich fallen die Regelungen aus. Mit dem BTHG werden wir die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herauslösen und ein modernes Teilhaberecht entwickeln. Mit dem BTHG schaffen wir bundesrechtliche Regelungen. Mit Fug und Recht kann daher von einer der wirklich großen sozialpolitischen Reformen dieser Legislatur gesprochen werden - auch wenn derzeit im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit noch heftig darum gerungen wird. Aber es zählt das parlamentarische Beratungsergebnis - erst dieses wird Gesetz. Das BTHG soll im Dezember 2016 vom Deutschen Bundestag - und da zustimmungspflichtig auch vom Bundesrat - verabschiedet werden.