Hauptmenü

Christinnen, JüdInnen, Muslime und Muslimas beten gemeinsam für Akzeptanz und gegen Homo- und Transphobie

Am Vorabend des Berliner Christopher Street Day am 22. Juli 2016 wurde in der Evangelischen Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien anlässlich des Christopher Street Days/Gay Pride in Kooperation dem LSVD Berlin-Brandenburg und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld unter dem Motto „Du bist ein Gott, der mich sieht“ ein sehr berührender multireligiöser Gottesdienst gefeiert. Was war das Bedeutsame und Besondere? Erstmals wurde ein gemeinsamer Gottesdienst des Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte in Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD), dem jüdischen RabbinerInnenseminar Abraham-Geiger-Kolleg und dem Liberal-Islamischen Bund gefeiert.
Besondere Aktualität hatte der Gottesdienst auch aufgrund der rechtlichen und liturgischen Gleichstellung von homosexuellen Paaren in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Die Kollekte war je zur Hälfte für die Arbeit mit homosexuellen und transgeschlechtlichen Geflüchteten in Brandenburg und im Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) in Berlin-Schöneberg sowie für die Pflege des Denkmals für die erste Homosexuellenbewegung am Magnus-Hirschfeld-Ufer bestimmt.

„Der Gottesdienst zum CSD zielte darauf, dass Toleranz erschliessende Potential der drei Buchreligionen zur Geltung zu bringen. Damit wird deutlich, dass das religiöse Menschenbild Kraft zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung ermöglicht und alles von Gott Geschaffene geleibt ist. Die Religionsgemeinschaften, die im Bündnis gegen Homophobie beteiligt sind, nämlich die Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und die jüdische Gemeinde zu Berlin sowie muslimische Vereine setzen zusammen mit Verantwortungstragenden aus Politik und Gesellschaft und Kooperationspartnern durch ihre Teilnahme ein Zeichen.“ (www.marienkirche-berlin.de)

Bitte um Vergebung der Schuld der Kirchen an der Verfolgung von LGBTIs

Die Bitte um Vergebung der Schuld, die die Kirche an der Verfolgung von LGBTIs trägt, war ebenfalls Teil des Gottesdienstes. An der Gestaltung des CSD-Gottesdienstes beteiligten sich sehr viele Menschen aus dem religiösen und zivilem Leben, u.a.:

  • internationale Gäste wie Imam Ludovic-Mohamed Zahed aus Frankreich, Father Andrew Cain von der St. James Church in London, der gleichgeschlechtlich verheiratet ist, sowie die LGBT-Aktivisten Tom Canning aus Jerusalem und Bulat Baranteav aus Novosibirsk (Westsibirien),
  • VertreterInnen des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, und der Schwestern der Perpetuellen Indulgenz.
  • Staatssekretär Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei, verlas im Namen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) und des Senates von Berlin ein Grußwort.
  • Für die Bundestagsfraktionen wurde Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) und für die Kandidierenden zum Berliner Abgeordnetenhaus Dr. Jan Stöß (SPD) begrüßt.

Ein besonderer Dank geht an Superintendent Dr. Bertold Höcker, ohne dessen Einsatz dieser Gottesdienst nicht in der Pracht erstrahlte. 

Kanzelrede zur Abschaffung des § 175 Strafgesetzbuch

Die ehemalige Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), hielt die Predigt. Thema war die von Vielen seit langem geforderte Abschaffung des Paragraphen 175, StGB. Leutheusser-Schnarrenberger war 1994 Bundesjustizministerin, als der umstrittene Paragraf 175 im Rahmen der deutsch-deutschen Rechtsangleichung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Von den Preußen im 19. Jahrhundert eingeführt, kriminalisierte der Paragraf seitdem Schwulsein in Deutschland und stellte bis 1969 einvernehmlichen Sex unter erwachsenen Männern unter Strafe. Die Nazis hatten den § 175 drastisch verschärft. Während alle Urteile aus der Zeit vor 1945 längst aufgehoben sind, gelten die Urteile, die aufgrund des gleichen Paragrafens nach 1945 ergingen, bis heute. Für Frauen galt der Paragraf nicht. Allein zwischen 1949 und 1969 wurden in der alten Bundesrepublik schätzungsweise 50.000 Männer nach dem "175er" verurteilt. Aus heutiger Sicht sind diese Verurteilungen ein klarer Verstoß gegen die Menschenwürde und damit verfassungswidrig. 2010 gründete die damalige Bundesjustizministerin die Bundestiftung Magnus Hirschfeld (BMH). Diese befasse sich mit ihrem Zeitzeugenprojekt mit der Dokumentation der Lebensläufe der noch lebenden Opfer des §“ 175.

Hingewiesen wurde auf das Rechtsgutachten von Professor Dr. Martin Burg „Rehabilitierung der nach § 175 StGB verurteilten homosexuellen Männer: Auftrag, Optionen und verfassungsrechtlicher Rahmen“. Hier sind viele gute Argumente, die den damaligen Opfern heute endlich Genugtuung verschaffen können. Das Gutachten zeigt noch einmal auf, wie wichtig die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels deutscher Strafrechts-Rechtsprechung für unsere gesamte Gesellschaft ist.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat nun eine Initiative gestartet, um alle Urteile pauschal aufzuheben und auch Formen der kollektiven und individuellen finanziellen Entschädigung zu ermöglichen. Es sei eine Schande für unseren Rechtsstaat, dass zwar Homosexualität seit Langem legal ist, die Männer aber noch immer als vorbestraft gelten. Das ist eine Schande für unseren Rechtsstaat, und es ist überfällig, die Opfer des § 175 zu rehabilitieren. Den Betroffenen muss endlich Gerechtigkeit widerfahren - auch finanziell.

„Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt“ verabschiedet

Ich bin sehr froh, dass sich immer mehr Institutionen und Organisationen mit Homo- und Transphobie auseinandersetzen. So fand unter der Schirmfrauschaft von Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler auf Initiative des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg auch ein Runder Tisch von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu den Themen Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit statt. Die Veranstaltung stand unter der Schirmherrschaft von. Es nahmen Vertreterinnen  und Vertreter der Alt-Katholischen Kirche Berlin, der baptisten.schöneberg - Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Schöneberg (Baptisten), der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, des Liberal-Islamischen Bundes sowie des Rogate Klosters Sankt Michael zu Berlin teil. Ebenso beteiligte sich Imam Ludovic-Mohamed Zahed aus Frankreich an dem vertraulichen Austausch.

Bei dem Runden Tisch verständigte man sich unter anderem auf eine gemeinsame „Schöneberger Erklärung für Vielfalt und Respekt“ mit folgendem Wortlaut:

„Die am Runden Tisch beteiligten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind sich darin einig, dass niemand aufgrund seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität benachteiligt und diskriminiert werden darf. Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sind weder sündhaft noch krankhaft. Wir begrüßen die Vielfalt des Lebens. Keine Weltanschauungs- und Religionsfreiheit kann es rechtfertigen, dass Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender Rechte abgesprochen werden. Und dennoch findet diese Instrumentalisierung weltweit statt, so auch in Deutschland und dessen Bundeshauptstadt Berlin.

Es kann nicht dem Selbstverständnis von Gläubigen und Mitgliedern von Weltanschauungsgemeinschaften entsprechen, sich über die Abgrenzung zu und die Ausgrenzung von homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen zu definieren. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Partnerschaft. Kein Mensch darf dazu genötigt werden, sich zwischen seinem Glauben oder seiner Weltanschauung und seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität entscheiden zu müssen.

Wir appellieren gemeinsam in unserer Vielfalt und Unterschiedlichkeit an alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, sich für nicht-heterosexuelle Menschen zu öffnen und sie gleichberechtigt in allen Bereichen des religiösen und weltanschaulichen Lebens teilhaben zu lassen. Auch als Arbeitgeber sind die jeweiligen Gemeinschaften und die ihnen zugehörigen Einrichtungen aufgerufen, Angestellte ohne jede Vorbehalte oder Auflagen hinsichtlich ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität gleichwertig zu behandeln und zu beschäftigen. Mit gleicher Offenheit ist auch Ehrenamtlichen zu begegnen.“