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Gratulation! 150 Jahre Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband e.V.

Was will eine Bundesvorsitzende eines Frauenverbandes, der schon 150 Jahre Geschichte erlebt und gestaltet hat, erreichen? Sandra Cegla, Kriminalkommissarin a. D., beeindruckte das kulturelle Erbe des Verbandes. Deshalb stellte sie sich zur Wahl. Ein „150-jähriges Bestehen bedeutet ein politisches Schwergewicht. Ich möchte den Transfer von Historie in den Zeitgeist schaffen: Altes bewahren und damit in die Zukunft gehen.“

Eine Zeitreise durch die Gleichstellungspolitik beabsichtigten die Deutschen Staatsbürgerinnen und ihre Gäste unter dem Motto „Frauenverbände: - Gestern - Heute – Morgen“ auch auf ihrer 150-Jahr-Feier am 21. November 2015 im Louise-Schroeder-Saal im Roten Rathaus in Berlin.

Wie alles begann: Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins

Die zentrale Forderung des am 18. Oktober 1865 u.a. von der Schriftstellerin Louise Otto-Peters in Leipzig gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) war das Recht der Frauen auf gleiche Bildung sowie auf Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Dieses Datum markiert die Geburtsstunde der organisierten deutschen Frauenbewegung. Es galt der Grundsatz „alles für die Frauen durch die Frauen” - ein revolutionärer Leitsatz in einer Zeit, in der die Vorstände der Frauenvereine aus Männern bestanden. Und die Kritik ob des Ausschlusses von Männern erfolgte umgehend. Doch Louise Otto bestand auf diesem emanzipatorischen Grundsatz weiblicher Selbsthilfe. Dieser erste überregionale Frauenverein in Deutschland wurde zur Keimzelle einer sich rasch ausbreitenden Frauenvereinslandschaft, eine Verbandszeitschrift wurde herausgegeben, ab 1890 setzte ein starker Mitgliederzuwachs ein. Die Frauenfrage, die hier eine Frauenbildungsfrage war, nahm Fahrt auf. Ein zentrales Problem war die rasch ansteigende Frauenarmut, der der ADF durch eigenständige Erwerbsmöglichkeiten für Frauen entgegentreten wollte. Und so formulierte der ADF auch in seiner Satzung: "Wir erklären (...) die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, als eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts". Damit war zum ersten Mal in Deutschland ein Frauenverein entstanden, der sich für die Rechte von Frauen einsetzte.

Im März 1894 wurde ein neuer Dachverband, der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) gegründet, dem um 1913 etwa 500 000 Frauen angehörten. In der BDF-Tradition steht der heutige Deutsche Frauenrat. Nach 1918 erweiterte der ADF seine Aufgaben auf allgemeinpolitische Frauenarbeit und nannte sich ab 1920 Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband. 1933 löste sich der Verein selbst auf, um nicht mit nationalsozialistischen Verbänden "gleichgeschaltet" zu werden. Unter dem Namen Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband nahm er 1947 seine Vereinstätigkeit bis heute wieder auf. Sein Zweck und seine Ziele sind in der Satzung festgeschrieben.

Aus dem Nähkästchen plauderte Prof. Dr. Dr. Jutta Limbach: „Traut euch mehr zu!“

„Liebe Ladies“ begrüßte uns die mittlerweile 81-jährige Jutta Limbach, die wie immer witzig-spritzig Wahrheiten zur Gleichstellung zur Sprache brachte. Als ehemalige Professorin an der Freien Universität Berlin, als Berliner Justizsenatorin und als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes hat sie Karriereleiter bis wirklich an die Spitze erreicht. Dass die gesetzliche Frauenquote nun kommt, ist unbestreitbar ein Meilenstein. Trotz der Vorbildfunktion durch die nun ab 2016 geltende mindestens 30-prozentige Frauenquote in Aufsichtsräten existiert nach wie vor eine 22 prozentige Entgeltungleichheit für Frauen. „Quoten reichen alleine nicht aus, um alle Frauen zu fördern.“ Deshalb sind die anstehenden Gesetze von Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig auch so entscheidend. Gerade der gender pay gap und der daraus resultierende gender pension gap sei unerträglich.

Jutta Limbach hat sich während all ihrer Laufbahnen nie beirren lassen: Sie wollte und will die Stellung der Frauen in der Gesellschaft verbessern. Sie scheut auch vor schwesterlicher Mahnung nicht zurück: So sei es unabdingbar, sich solidarisch mit den Frauen zu zeigen, die unsere Haushalte reinigen. Sie verlangt die Einhaltung der ILO-Konvention 189. Diese fordert, dass „Hausangestellte“ als Arbeitnehmerinnen mit allen Rechten und Pflichten zu betrachten sind.

Frauen wie Männer entscheiden sich in einer Demokratie, wie sie leben wollen. Von den Frauen erhofft sie sich eine größere Friedenssehnsucht und eine größere Gewaltverachtung. Sie setzt auch auf einen Wandel im Verhältnis von Frauen und Macht. Politische Macht sei in einer Demokratie die Voraussetzung dafür, tatsächlich auch etwas gestalten zu können. Ihre Meinung: Während Männer häufig ein erotisches Verhältnis zu Macht hätten, sei das der Frauen zu oft neurotisch.

Nur wer zur Übertreibung neige, würde das 20. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Frauen bezeichnen. Aber es könne auch nicht geleugnet werden, dass die Rechtsgleichheit von Frau und Mann seit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 weit vorangekommen ist. Jutta Limbach resümiert anhand ihrer eigenen Ahnenreihe einige Rechtsfortschritte: „Im Gegensatz zu meiner Urgroßmutter Pauline Staegemann darf ich politische Veranstaltungen besuchen, darf wählen und gewählt werden. Im Gegensatz zu meiner Großmutter Elfriede Ryneck durfte ich die Universität besuchen, Professorin und Richterin werden. Im Gegensatz zu meiner Mutter habe ich das Recht erwerbstätig zu sein und muss mir im Falle ehelichen Streits nicht von meinem Mann sagen lassen, wo es lang geht. Im Gegensatz zu mir hatte meine Tochter das Recht, bei der Hochzeit ihren Mädchennahmen zu behalten und dann Erziehungsurlaub in Anspruch zu nehmen.“

Bis zur tatsächlichen Gleichstellung ist noch viel zu tun. Zukunftsfragen sind zum eine die Weiterentwicklung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes und die Aufhebung des anachronistischen Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings.

Sind Frauenverbände noch zeitgemäß?

Der Frage, ob Frauenverbände noch zeitgemäß sind, wurde in einer Podiumsdiskussion diskutiert. Moderiert von Dr. Helga Lukoschat, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF Berlin). Neben mir nahmen an der Diskussionsrunde Sandra Cegla, Bundesvorsitzende Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband e.V., Dagmar König, Stadträtin Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, Dr. Anja Nordmann, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Frauenrates, teil.

Viele der „traditionellen“ Frauenverbände befassen sich derzeit mit dem Thema ihrer eigenen Verbandsentwicklung. Zu wenig neue und vor allem jüngere Mitglieder, der Wandel der Kommunikationsformen durch sozialen Medien, Zunahme neuer Vereinbarkeits-Herausforderungen und vor allem der Zweifel junger Frauen an der Sinnhaftigkeit von Frauenverbänden. „Wir sind längst gleichgestellt!“ - so die Haltung der meisten jungen Frauen. Trotz der egalitären Rechtsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte ist Diskriminierung gegenüber Frauen nicht verschwunden. Sie geschieht nur verdeckter.

Einen modernen Frauenverband kennzeichnet meines Erachtens:

  • eine klare Profilbildung und Darlegung der eigenen Zielstellungen
  • eine strategische Handlungsfähigkeit, unter anderem auch zur Vernetzung
  • die Darlegung von Erfolgen
  • parteiisch sein
  • eine Lebensphasenorientierung, um Frauen in ihrem jeweiligen Lebensumfeld anzusprechen
  • Personen, die mit „Gesicht und Stimme“ für die Ziele des Vereins eintreten
  • Kompetenz im Umgang mit den sozialen Medien
  • die Wahrnehmung von Deutschland als Einwanderungsland
  • eine hauptamtliche Stelle, die die Arbeit der ehrenamtlichen Mitglieder koordiniert
  • ein offensives Lobbying.

In der Diskussion wurde auf weitere Momente hingewiesen:

  • auf die Notwendigkeit einer internationalen Frauen- und Gleichstellungsarbeit
  • auf die Tatsache, dass gerade junge Menschen die normative Zweigeschlechtlichkeit in Frage stellen.

Viele Selbstvergewisserungen im Hinblick auf die Zukunft stehen uns wohl noch bevor, bevor wir - historisch betrachtet - wieder von einer großen Schlagkraft der Frauenverbände reden können.

„Von wegen lila Latzhosen“

Humorvoll erläuterte Ulrike Hauffe einen ungewöhnlichen Evaluationsprozess der eigenen Behördenarbeit. Als Landesbeauftragte für Frauen in Bremen leitet die Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF). Um insbesondere junge Frauen anzusprechen und um einen „Realitäts-Check“ der eigenen Arbeit zu machen, wurde ein Beirat mit 16-30jährigen gegründet.

Die aktuelle 17. Shell Jugendstudie zeigt auf, dass der Kinderwunsch zurückgeht. Erklärt wird dieses mit der Sorge um die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Ulrike Hauffe sagt dazu, dass junge Frauen trotz aller gleichen Gleichheitswünsche der jungen Männer und Frauen ahnen, dass sie von ihren Partnern bei der Kindererziehung im Stich gelassen würden. Deshalb würden sie sich nicht mehr auf die Vereinbarkeit, sondern auf den Beruf und Karriere konzentrieren. Außerdem habe die Studie festgestellt, dass der Kinderwunsch bei männlichen Jugendlichen stärker zurückgegangen ist als bei weiblichen Jugendlichen. Was junge Frauen total aufregen würde, sei diskriminierende Werbung - der Verkauf jedweder Objekte mit dem Körper von vermeintlich sexy Frauen.

Eine Erfahrung ist: Jüngere Frauen sind aktionsorientierter - dieser Aspekt ist bei der Ansprache unbedingt zu berücksichtigen. Junge Frauen würden sich sehr darüber ärgern, wenn alt hergebrachte Traditionen dazu dienen, sie von einer Teilhabe auszuschließen. Als ein Beispiel nannte Hauffe die Schaffermahlzeit - das älteste sich alljährlich wiederholende Brudermahl der Welt und das zentrale gesellschaftliche Aushängeschild Bremens. Vielfältiges frauenpolitische Kritik und Aktionen haben dieses Jahr bewirkt, dass die 471. Schaffermahlzeit nun nicht mehr frauenfrei ist. 2015 werden Frauen erstmalig zum Schaffermahl eingeladen.

Junge Frauen erwarten einen energischen Kampf gegen Entgeltgleichheit. Außerdem: Wer junge Frauen erreichen will, muss sich in den sozialen Medien bewegen.

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