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Shoa-Gedenken in der evangelischen Kirche Zum Heilsbronnen in Schöneberg

Erinnerung braucht einen Ort! Erinnerungsorte können Stolpersteine, Gedenktafeln, Backsteinmauern mit Opfernamen, mahnende Schilder an Laternenmasten oder die Ausstellungsinstallation 'Wir waren Nachbarn' im Rathaus Schöneberg sein. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg weist eine Vielzahl von Erinnerungsorten auf.

Über 120 Gäste waren in der Kirche Zum Heilsbronnen erschienen, um einem besonderen Aspekt der Shoa, die Rettung jüdischer Kinder durch Kindertransporte ins Ausland, zu folgen.

Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz beging Mechthild Rawert am 25. Januar 2015 die jährliche Gedenkfeier 'Erinnerung braucht einen Ort' in der Schöneberger evangelischen Kirche Zum Heilsbronnen. In seinen Begrüßungsworten ging Pfarrer Florian Kunz auf diese eindringliche Kraft von Erinnerungsorten ein. Mechthild Rawert erinnerte in ihrer Begrüßungsansprache (siehe Anhang), daran, dass auch die Kirche Zum Heilsbronnen Zuflucht und Versteck für jüdische MitbürgerInnen war dank des Einsatzes von Pfarrer Theodor Burkhardt und seiner Frau, die das verfolgte Ehepaar Max und Karoline Krakauer vor der Nazi-Verfolgung versteckten.

Die Rettung jüdischer Kinder durch die Kindertransporte nach England, Holland, Belgien, Schweden, Frankreich und der Schweiz stand im Mittelpunkt der Gedenkfeier. Die Schauspielerin Julia Blankenburg rezitierte einfühlsam das sehnsuchtsvolle  Gedicht „Meine geliebten Mädels!“ einer inhaftierten Mutter an ihre zwei geretteten Töchter in England sowie die Postkarte der kleinen Ilse aus Schweden an ihre jüdischen Eltern in Deutschland, die mit dem Vermerk 'Empfänger abgereist ohne Angabe der Adresse' an Ilse zurückkam.

Angesichts der brennenden Synagogen am 9. November 1938 wurde den Jüdinnen und Juden überdeutlich klar, dass aus ihrer alltäglichen Erniedrigung und Entwürdigung tödliche Gefahr geworden war. Wer konnte, ging. Wer nicht konnte, wollte wenigstens die Kinder retten. Mit dem Überlebensangebot, Kinder im Alter von 3  bis 17 Jahren, allerdings ohne Eltern, aufzunehmen, stand England an der Spitze und nahm 10 000 Kinder auf.

Symbolisch für diese Kinderschicksale stand in der Ansprache die Biografie von Helmut Kallmann, aufgewachsen in Schöneberg, der mit 17 Jahren von seinen Eltern zum rettenden Zug nach England gebracht wurde. Seine Eltern und seine Schwester wurden deportiert. Erst nach dem Krieg, erfuhr Helmut Kallmann, der inzwischen in Kanada, hochgeehrt als Musikwissenschaftler, eine Heimat gefunden hatte, vom Mord an seiner Familie, an Arthur, Fanny und seiner Schwester Eva.

Während der Vorbereitung auf die Gedenkfeier überraschte die Mail (siehe Anhang)  aus Großbritannien von Peter Paisley, einem Klassenkameraden von Helmut Kallmanns von 1928 bis 1932. Auch Herbert Peter Paisley vormals Herbert Peiser, ist ein Überlebender des Holocausts. Seine Eltern haben ihn bereits Anfang 1935 nach Belgien geschickt. Durch den Krieg wurde er mit vielen anderen nach Südfrankreich deportiert, musste durch vier Internierungslager „eins immer schlechter als das letzte“, bis ihm 1942 die Flucht gelang. Als Belgier landete er im März 1943 in Schottland, kam erneut in ein Internierungslager, wurde britischer Soldat. Nach dem Krieg heiratete er eine englische Frau, hat drei Söhne und lebt nun mit 93 Jahren im Westen Englands. Peter Paislay,  vormals Herbert Peiser, ist einer der ca. 150 ehemaligen Schönebergerinnen und Schöneberger, deren Lebenslauf in der "Wir waren Nachbarn" Ausstellung im Schöneberger Rathaus erscheint. Aus Schöneberg senden Peter Paislay die besten Grüße.

Der sich an die Gedenkfeier anschließende Gang von der Kirche zu den Stolpersteinen der Familie Kallmann wurde zu einem Gedenkgang durch das Bayerische Viertel. Vorbei an den Schildern des Denkmals 'Orte des Erinnerns', die an Laternenmasten angebracht sind, vorbei an der Schule, die Eva und Helmut Kallmann besucht hatten, vorbei an der Gedenktafel an der ehemaligen Schule Werner-Siemens-Gymnasium, die wegen der zu hohen Anzahl jüdischer Schülerinnen und Schüler 1935 geschlossen wurde, wanderten die Teilnehmenden zur Geisbergstraße 41. Aus diesem Haus heraus wurde die Familie Kallmann deportiert. Seit 2011 liegen hier drei Stolpersteine zum Andenken an Arthur, Fanny und Eva Kallmann.

An diesem Erinnerungsort hielt Mechthild Rawert ihre Gedenkrede (siehe Anhang). Diese schließt alle Opfergruppen des nationalsozialistischen Terrors ein und endete in einer Schweigeminute.

Dankbar waren die Zuhörenden, als Frau Lisa Bechner von der Initiative 'Berliner Kinderdenkmal. Kindertransporte nach England 1938-39' weitere Details zur Geschichte der Familie Kallmann erzählen konnte. Ein jeder spürte: Jedes Opfer hat ein Gesicht. Jede Frau, jeder Mann, jedes Mädchen, jeder Junge hat eine Biographie - hatte ein brutal beendetes Leben.

Rosenübersät und mahnend lagen die Stolpersteine da, als sich die Gästeschar zurück zum Kirchencafe Zum Heilsbronnen begab. Ich danke den Ehrenamtlichen des Cafes für Ihre Bewirtung. Bei Kaffee, Tee und Kuchen gab es viele Gelegenheiten zum Gedankenaustausch untereinander und zu Gesprächen mit Mechthild Rawert.

AnhangGröße
150127_Erinnerung braucht einen Ort_Begruessungsrede.pdf221.89 KB
150125Erinnerung braucht einen Ort_Mail Mr. Paisley.pdf178.44 KB
150125Erinnerung braucht einen Ort_Gedenkrede.pdf215.04 KB
150125Erinnerung braucht einen Ort_Gedenkrede_Familie Kallmann.pdf203.85 KB
Mr. Paisley+Blick+zurück+batang.pdf1.14 MB