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„Auf ein Wort, Frau Rawert“: Menschenhandel und Prostitution dürfen nicht vermischt werden

Das alljährliche Frühstück in meiner Reihe „Auf ein Wort, Frau Rawert“ mit VertreterInnen der Queer-Community fand am 15. Mai im Projekt Hilfe für Jungs e.V. / subway in Berlin-Schöneberg statt. Zusätzlich zur intensiven Diskussion wurde wieder Networking gemacht und wie immer nehme ich einen bunten Strauß an politischen vor Ort-Erwartungen mit in den Deutschen Bundestag. Dabei ist mir sehr bewusst, dass die Rechte der LGBTTI-Community und damit verbundener aktiver Anti-Diskriminierungsarbeit in der GroKo nur unzureichend angegangen wird. Das muss enttäuschen. Auch ich bedauere es zutiefst, dass es uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bei den GroKo-Verhandlungen mit der CDU/CSU nicht gelungen ist, unser Wahlkampfversprechen „100% Gleichstellung - nur mit uns!“ einzulösen. Ich kann nur darum bitten, uns, mir zu glauben, dass die SPD nach wie vor zu 100 Prozent zu „100% Gleichstellung!“ steht.
Subway ist ein Projekt für Jungen und junge Männer, die anschaffen. Subway macht Straßensozialarbeit in der männlichen Prostitutionsszene. Hier finden seit 1994 Jungen und junge Männer Unterstützung, die von sexueller Ausbeutung und Gewalt bedroht oder betroffen sind.  Der Verein Hilfe für Jungs e.V. will die Rechte von Jungs auf ein Leben ohne sexuelle Gewalt stärken, ihre Gesundheit fördern und ihnen Chancen auf persönliche Entwicklung und Partizipation geben. Als Träger der Jugendarbeit nimmt das Projekt mit Info-Ständen am 15. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag im Berliner City Cube vom 03. bis 06. Juni teil, so Ralf Rötten, Diplom-Sozialpädagoge.


Vermischung von Menschenhandel und Prostitution ist kontraproduktiv
Die derzeit geführte Prostitutionsdebatte ist oft unsachlich und geht in die falsche Richtung, beklagten Jörg Steinert, Geschäftsführer und Pressesprecher beim Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V. und Ralf Rötten. So werden Menschenhandel und Prostitution in einem Atemzug genannt. Zwar ist das seit 2002 Prostitutionsgesetz nicht der Weisheit letzter Schluss, aber der Legalisierungsansatz ist der richtige Weg. Auch die Verengung der Prostitutionsdebatte auf Frauen als sexuelle Dienstleisterinnen spiegelt nicht die Realität wieder. Eine Freierbestrafung wie in Schweden würde zu einem Rückfall in die Illegalität und zu Prostitutionstourismus führen.
Im Vergleich zu weiblichen Prostituierten sind nur vergleichsweise wenige Männer bzw. Transsexuelle in diesem Gewerbe tätig. Für die meisten von ihnen ist Sexarbeit ein gelegentlicher Zuverdienst, die wenigsten finanzieren sich darüber ausschließlich über einen längeren Zeitraum hinweg.
Auch deshalb wird in der Queer-Community wenig über die beabsichtigten Änderungen des Prostitutionsgesetzes diskutiert. Das sei aber in Zeiten von going gender nicht angebracht, so auch Stephan Pröpper, Geschäftsführer des Vereins gleich und gleich. Prostitution und Menschenhandel gehöre auch hier intensiv diskutiert, fordert Ralf Rötten. Er verweist auf Handlungsbedarf, u.a. Regeln für durch das Internet vermittelte Kontakte, Ausbau von Kontrollmöglichkeiten der Bordelle durch Änderung des Gewerberechts. Außerdem darf niemand aus ökonomischen Gründen gezwungen sein, der Prostitution nachzugehen. Aber pauschal allen Prostituierten zu unterstellen, sie seien Opfer von Menschenhandel entspricht einfach nicht der Realität.
CDU/CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag eine „umfassende Überarbeitung“ des Prostituiertengesetzes angekündigt, um damit besser gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgehen zu können. Fakt ist, dass die Herangehensweise an diesen Themenkomplex sehr weit auseinanderliegen. Als Mitglied der AG Gesundheit gehöre ich aufgrund der sich in der Diskussion befindlichen verpflichtenden Gesundheitsuntersuchungen einem arbeitsgruppenübergreifenden Arbeitskreis der SPD-Bundestagsfraktion an. Ich bin dagegen. Unsere Grundhaltung ist, dass Menschenhandel und Prostitution zwei verschiedene Tatbestände sind. Zwang und Ausbeutung, Gewalt und Menschenhandel sind strafrechtlich zu verfolgen. Um Opfer von Menschenhandel zu schützen, darf bei einer Reform des Prostitutionsgesetzes nicht alles pauschal miteinander vermengt werden. Dieses schadet den Opfern mehr als dass es ihnen nützt.
Auch in meiner ersten Sitzung in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg Ende März wurde zu den Themen Menschenhandel und Prostitution äußerst kontrovers diskutiert. Auch hier habe ich deutlich gemacht, dass der Legalisierungsansatz richtig ist und die Vermischung von Menschenhandel und Prostitution kontraproduktiv ist. Leider ist diese nicht die Mehrheitsmeinung.


Rehabilitation und Entschädigung der Opfer des § 175 StGB ist nötig
Das erlittene Unrecht der Menschen, die in der DDR bis 1957 und in der Bundesrepublik bis 1969 nach dem von den Nazis verschärften § 175 verurteilt wurden, weil sie schwul waren, darf nicht vergessen werden. Dafür macht sich Georg Härpfer von der Schwulenberatung Berlin stark. Der Paragraf 175 stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Beinahe unbekannt ist die Diskriminierung von Lesben, Trans* und Intersexuellen - selbst in der queeren Community. Schätzungen zufolge wurden etwa 50.000 Männer nach dem sogenannten „Schwulenparagrafen“ 175 verurteilt. Wer 1950 zwanzig war, ist heute 84. Noch heute warten die nicht mehr so zahlreich Lebenden auf eine Rehabilitierung und Entschädigung. Für viele ist eine Aufarbeitung dieser Geschichte der Bundesrepublik wichtig. Sie darf nicht aus dem geschichtlichen Gedächtnis verschwinden. Sie wollen für ihr erlittenes Unrecht Anerkennung finden.
Deswegen begrüße ich, dass die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ein „Archiv der anderen Erinnerungen“ initiiert hat und hierfür Interviews mit überwiegend schwulen aber auch lesbischen, trans* und intersexuellen Zeitzeugen durchführt und aufzeichnet. Die Rehabilitation ist mir ein wichtiges Anliegen, für das ich mich als Mitglied des Kuratoriums einsetze. Alle Betroffenen haben die Erwartung, dass ihnen Gerechtigkeit geschieht: Die Urteile sind schließlich bis heute nicht aufgehoben. Auch Petra Nowacki, stellvertretende Bundesvorsitzende und Kreisvorsitzende der AG Lesben und Schwule in der SPD Tempelhof- Schöneberg - kurz: Schwusos - betonte, dass es einer kollektiven bzw. bei Wunsch auch individuellen Rehabilitation und Entschädigung bedarf.


Flüchtlinge und Diskriminierung
Über Flüchtlinge, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden, berichtet Jennifer Petzen, seit März Geschäftsführerin der Lesbenberatung Berlin e.V.. Diese erfahren auch hier in Berlin Gewalt und Mehrfachdiskriminierung. So gibt es Fälle, wo queere Flüchtlinge in Flüchtlingsheimen sowohl von anderen Flüchtlingen als auch von den Beschäftigten diskriminiert werden. Dieses sei umso schwerwiegender, weil sie zumeist wegen ihrer sexuellen Identität aus ihren Heimatländern geflohen seien. Auszubauen sei das Recht auf Asyl. Vielen drohten in ihren Herkunftsländern bei homosexuellen Handlungen Haftstrafen, ggf. sogar die Todesstrafe. Petzen forderte, dass Transidentität in allen Bereichen grundsätzlich stärker mitgedacht werden muss. Sie nannte als konkretes Beispiel eine Transfrau, die nicht in einem Frauenhaus aufgenommen wurde.
Schwerpunkt der Arbeit der Lesbenberatung ist Antidiskriminierung, Empowerment und Gesundheitsberatung. Petra Nowacki machte darauf aufmerksam, dass die Debatte über die Kürzungen bei der Lesbenberatung im letzten Jahr zeigen, dass auch in der Queer-Community gilt: „Frauenprojekte“ sind oft stärker in ihrer Existenz gefährdet als „Männerprojekte“.


Mehr Rechte für Trans- und Intersexuelle
Weitere Diskussionspunkte in der Frühstücksrunde waren die Reform des Transsexuellengesetzes und mehr Anerkennung und Rechte für intersexuelle Menschen. Dafür werde ich mich im Deutschen Bundestag einsetzen. Petra Nowacki wies darauf hin, dass die Umbenennung der Schwusos in Queer-Sozis den Gedanken differenter Geschlechtsidentitäten stärker Rechnung tragen soll. So gibt es im neuen erweiterten Landesvorstand der Queer-Sozis Berlin drei Transsexuelle. Berlin ist auch hier Vorreiter.
Herzlichen Dank gebührt dem Gastgeber Ralf Rötten und meiner Mitarbeiterin Özlem Topuz für die wunderbare Organisation des Frühstücks.

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140515 Vorlage Queer.pdf81.42 KB