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Politische Tagesfahrt im Barrierefreiheit-Praxistest

Am Freitag, den 22. Februar, fand meine zweite politische Tagesfahrt in diesem Jahr statt. Im Vorfeld dieser Fahrt sind die Mitglieder des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverbandes sowie einzelne RollstuhlfahrerInnen gezielt angesprochen worden. So wurde gerade diese Tour auch ein Praxistest für die Fähigkeit des Bundespresseamtes zur Organisation von barrierefreien BPA-Fahrten sowie für die Barrierefreiheit im politischen Berlin. Auf Inklusion bedachte Fahrten bedürfen nach wie vor noch intensiverer Vorbereitung. So weist das Verzeichnis des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer e.V. für Berlin nur 4 Busse aus, mit denen es RollstuhlfahrerInnen ermöglicht wird, eine Busfahrt barrierefrei zu erlebenAm frühen Morgen versammelte sich die Gruppe am Treffpunkt, dem Rathaus Tempelhof. Dort wartete bereits der rollstuhlgerechte Bus, der die Gruppe den ganzen Tag über von einem Programmpunkt zum Nächsten brachte. Erster Programmpunkt war der Besuch der Plenardebatte im Deutschen Bundestages. Den ersten „Barrierefreiheit-Praxistest“ musste dazu der Busfahrer machen. Aufgrund der erhöhten Sicherheitsanforderungen des Deutschen Bundestages sind auf dem Gehweg der Scheidemannstraße Poller gesetzt. Es war Millimeterarbeit des Busfahrers, den Bus so zu parken, dass die hydraulische Rollstuhlrampe auch dazwischen platzieren werden konnte.

Teilnahme an der Plenardebatte zum Verbraucherschutzbericht
Bevor die Gruppe ihre Plätze auf der Besuchertribüne einnehmen konnte, wurden meine Gäste wie alle BesucherInnen des Deutschen Bundestages einer Personen- und Gepäckkontrolle unterzogen. Den Beschäftigten beim Sicherheitscheck ist im Praxistest „Barrierefreiheit“ ein Lob auszusprechen. Sie stellten sich gut auf die Handicaps meiner BesucherInnen ein.
Debattiert wurde im Plenum der verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung sowie die Anträge der SPD-Fraktion „Verbraucherpolitik neu ausrichten - Verbraucherpolitische Strategie vorlegen“ (Drs. 17/8922)  und „Moderne verbraucherbezogene Forschung ausbauen - Tatsächliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf Verbraucher prüfen“ (Drs. 17/2343). SozialdemokratInnen warfen Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) Tatenlosigkeit vor. Es reiche nicht aus, Scheinmaßnahmen anzukündigen und danach wegzutauchen. Die TeilnehmerInnen erlebten einen heftigen Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition - was für sie durchaus spannend war. Verbraucherschutz ist zudem ein uns alle angehendes Thema und außerdem gut nachvollziehbar.

Diskussion
In der sich anschließenden einstündigen Diskussion mit mir lag es aufgrund der gerade gehörten Debatte nahe, sich auch über den aktuellen Pferdefleischskandal auszutauschen. Eine Erkenntnis: Lebensmittelskandale erfolgen in der Regel aus Profitgier. Eine andere: Wer als VerbraucherIn nur auf „billig“ setzt, muss damit rechnen, dass die Qualität leidet. Es ist Zeit für einen Qualitätswettbewerb anstelle eines reinen Preiswettbewerbs. Die SPD setzt sich schon seit langem für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel ein.
Nach den SPD-Plänen für eine soziale Bürgerversicherung im Gesundheitswesen und in der Pflege befragt, konnte ich unser Konzept sowohl auf der Finanzierungsebene als auch einige der dazugehörigen Steuerungselemente ausführen, u.a.: Wiedereinführung der paritätischen Versicherungsbeiträge für ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber, Behandlung nach Krankheit und nicht nach (gesetzlicher oder privater) Versicherungskarte durch gleiche Bezahlung bei der Leistungserbringung, neue Bedarfsplanung in den Bundesländern zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung, Abbau der Ungleichheit beim Zugang zum Gesundheitswesen.
Das Thema Organspende bewegt viele, ist aber – nicht nur wegen des Leber-Transplantations-Spendeskandal mit vielen Unsicherheiten verbunden. Wer seine Bereitschaft zur Organspende deutlich machen möchte, kann dieses durch Unterzeichnen eines Organspendeausweises sowie mittels Vorsorgevollmacht oder PatientInnenverfügung kund tun. Für mich ist diese Bereitschaft tätige Nächstenliebe. Keine Gedanken braucht mensch sich über die Tauglichkeit der Organe selber machen, Entscheidungen dieser Art können getrost den Fachleuten überlassen werden.
Die SPD wird bei ihrer Regierungsübernahme einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einführen. Es braucht dieses soziale Sicherungsnetz. Immer mehr ArbeitnehmerInnen werden nicht mehr auf der Grundlage von Tarifverträgen bezahlt. Wer Vollzeit arbeitet, muss davon auch leben können.  
Die gemeinsame Zeit verging wie im Fluge. Ein „Muss“ ist das gemeinsame Gruppenfoto und der Besuch der Kuppel. Anschließend ging es zum Mittagessen im „Berlin-Pavillon“.

Besuch im Willy-Brandt-Haus
Erneut war der Busfahrer im „Praxistest Barrierefreiheit“ besonders gefragt: Die RollstuhlfahrerInnen hatten bemerkt, dass für sie das einfache Überqueren der Straße aufgrund nicht abgesenkter Bordsteinkanten unmöglich, sie den Bus nur mit einem sehr großen Umweg erreichen konnten. So musste der Bus umgesetzt werden, bevor das nächste Ziel - das Willy-Brandt-Haus - angesteuert werden konnte.

Im Willy-Brandt-Haus wurde die Gruppe von einem Referenten des Parteivorstands begrüßt. Aktuelle Aufgaben der WBH-MitarbeiterInnen ist die Erstellung von Zuarbeiten für das Regierungsprogramm, welches auf dem Bundesparteitag in Augsburg am 14. April - nach einer hoffentlich noch intensiven Diskussion in den Parteigliederungen - beschlossen werden soll. Kernthema ist die Sicherstellung von „Soziale Gerechtigkeit“, die Vermeidung einer immer größer werdenden Spaltung unserer Gesellschaft. Deshalb machen wir uns stark für höhere Investitionen in Bildung, für eine gerechte Solidarrente, für den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, einen Ausbau der Leistungen in der Pflegeversicherung, für bezahlbare Mieten, usw. Auch im Willy-Brandt-Haus verging die Zeit viel zu schnell, so dass nur noch ein kurzer Stopp vor der „Geschichtswand“ einlegt werden konnte, um sich die wichtigsten Etappen der SPD zu vergegenwärtigen.

Topografie des Terrors
Auf dem heutigen Gelände der „Topographie des Terrors”, neben dem Martin-Gropius-Bau und unweit des Potsdamer Platzes, befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Zentralen des nationalsozialistischen Terrors: das Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem „Hausgefängnis”, die Reichsführung-SS und während des Zweiten Weltkriegs auch das Reichssicherheitshauptamt. Den meisten TeilnehmerInnen war das 2010 eröffnete Dokumentationszentrum zu diesem Täterort unbekannt. Die Resonanz auf die Führung in kleinen Gruppen durch die ständige Ausstellung war eindeutig: Diese ist gut gemacht, das schwierige Thema von den MitarbeiterInnen der Topografie des Terrors gut vermittelt.

Gemeinsames Abendessen zum Abschluss der politischen Tagesfahrt
Guter Abschluss dieses Tages war das gemeinsame Abendessen. Die TeilnehmerInnen ließen das Erlebte Revue passieren. Vor der Rückfahrt zum Rathaus Tempelhof konnte ein wenig entspannt werden.
Meine Mitarbeiterin Manuela Harling, die die Tour den ganzen Tag über begleitet hatte, fuhr mit vielen Notizen zur Barrierefreiheit in dieser Stadt nach Hause. Ihr Resumee: Im Reichstagsgebäude, im öffentlichen Straßenland und in den Köpfen der Menschen muss noch viel zum Thema „Barrierefreiheit“ bewegt werden. Ziel bleibt aber eine inklusive Gesellschaft, in der niemand ausgegrenzt wird.