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Wohnzimmer-Gespräch I: Politisch diskutieren in privatissimo

Sehr gerne bin ich der Einladung meiner GenossInnen Barbara Beguhl und Erich Mendroch am 12. Februar 2013 in ihr heimisches Wohnzimmer gefolgt. Hier saßen schon mehrere FreundInnen und Nachbarn, die mit Ausnahme einer Nachbarin keine SPD-Mitglieder sind. Sie alle waren gekommen, um der SPD-Direktkandidatin für Tempelhof-Schöneberg für die kommende Bundestagswahl „auf den Zahn zu fühlen“. Ich danke allen für einen anregenden und diskussionsreichen Abend.
Nach einer kurzen Vorstellung meiner Person und einiger meiner Aufgaben und der gesundheitspolitischen Initiativen als Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages wie die Rezeptfreiheit für die „Pille danach“ und Verhinderung der Abzocke von PatientInnen mittels selbst zu zahlender Individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) ging es munter los mit der Diskussion:

Pille danach
Der aktuelle Kölner Skandal - einer jungen vergewaltigten Frau wurde sowohl die ärztliche Untersuchung zur Beweissicherung als auch die von einer Ärztin verschriebene „Pille danach in zwei katholischen Krankenhäusern verweigert - bewegt die Gemüter. Die Diskussionsspanne reicht von der „Einmischung der katholischen Kirche in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frauen“ bis hin zur „Angst, dass die Hormonpräparate bei unkontrollierter Abgabe zu unerkannten gesundheitlichen Schäden“ führen könne. Die „Pille danach“ wird bereits in 78 Staaten rezeptfrei abgegeben. In keiner Studie ist sind gesundheitliche Schäden für die Frau oder ein Anstieg eines leichtfertigen Umgangs mit diesem auf Levonorgestrel-basierendem Notfallmedikament bekanntgeworden. Nicht jede Frage, wie zum Beispiel die nach Sanktionen für (katholische) Krankenhäuser, die sich weigern, Frauen die eine Schwangerschaft verhütende „Pille danach“ zu geben, lässt sich abschließend beantworten. In NRW findet derzeit eine diesbezügliche Auswertung aller Krankenhäuser statt. Es geht nicht nur darum, ob Vergewaltigungsopfer in ihrer Not alleine gelassen werden. Ein Zugang zur „Pille danach“ muss auch nach einer Verhütungspanne gegeben sein. Für mich geht es um das Recht einer jeden Frau, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wann sie schwanger werden möchte und wann nicht.
Im Antrag „Rezeptfreiheit von Notfallkontrazeptiva - Pille danach - gewährleisten“ fordern wir SozialdemokratInnen eine Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung, um die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass das Notfallkontrazeptiva („Pille danach“) mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht entlassen wird. Vor der Abgabe dieser „Pille danach“ hat eine Beratung in der Apotheke zu erfolgen. Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung bedürfen aber auch der Zustimmung des Bundesrates. Die rot-grünen Bundesländer haben eine Prüfung in Auftrag gegeben, im Bundestag findet am 27. Februar eine Anhörung zum Antrag statt - das hat es noch nicht gegeben.

In der Opposition Richtung und Werte deutlich machen
Gefragt wurde ich auch nach den Erfolgsaussichten meiner Initiative. Ich rechne nicht mit der Zustimmung von Schwarz-Gelb - und dennoch: Als Oppositionspolitikerin kann ich nicht vier Jahre nur Jammern und Lamentieren. Wer die Gesellschaft verändern will, muss seine Änderungswünsche kundtun und Initiativen ergreifen, muss Anträge, Kleine und Große Anfragen, Gesetzentwürfe stellen, damit Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen, welche Handlungskonzepte eine sozialdemokratisch geführte Regierung hat. Und ich will, dass wir nach den Wahlen am 22. September mit einer rot-grünen Mehrheit wieder regieren.

Bürgerversicherung stärkt soziale Gerechtigkeit
„Die SPD will die Bürgerversicherung - ist das eine Versicherung für alle?“ Ja, das ist sie. Wir wollen, dass die Patientinnen und Patienten wieder darauf vertrauen, dass nur die Krankheit und nicht die Versicherungskarte darüber entscheidet, wie die Therapie aussieht. Leider haben die unterschiedlichen Versicherungssysteme in Deutschland zu einem Zweiklassensystem der Gesundheitsversorgung geführt: Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung erleben, dass sie Schwierigkeiten haben, in angemessener Zeit einen Facharzttermin zu bekommen, Privatversicherte werden häufig „über“-diagnostiziert und „über“therapiert.
Ja, die SPD will eine Bürgerversicherung für alle! Wir SozialdemokratInnen wollen eine paritätische Beitragsfinanzierung zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen, wollen, dass durch die ÄrztInnen erbrachte Leistungen für gesetzlich und privat Versicherte gleich bezahlt werden. Wenn die Leistungen gleich viel wert sind, gibt es keinen Grund für eine ungleiche Behandlung, weder bei der Wartezeit noch bei der Therapie. Private Versicherungsunternehmen haben laut Bundesverfassungsgerichtsurteil Bestandsschutz, können also nicht einfach „aufgelöst“ werden. Während Privatversicherte sich während eines Jahres entscheiden können, ob sie bei ihrem privaten Versicherungsunternehmen bleiben oder in die Bürgerversicherung eintreten, treten Neuversicherte sofort in die Bürgerversicherung ein.
Die Gäste des „Wohnzimmer-Gespräches“ forderten den Zugang von Beihilfeberechtigten zur Bürgerversicherung. Im Moment haben Beamte und deren Angehörige keine (bezahlbare) Alternative zur Privatversicherung. Viele würden sich gerne die zu leistenden Vorauszahlung der Arztrechnungen zugunsten der Sachkostenabrechnung wie in der gesetzlichen Krankenversicherung ersparen. Sie haben keine wirklich freie Wahl. Das Beihilferecht unterliegt aber nicht der Kompetenz des Bundes. Für die anwesenden Beamte unter den TeilnehmerInnen müssen gemeinsame Regelungen mit den Ländern und Kommunen gefunden werden. Die Situation der Beihilfeberechtigten in der Sozialen Bürgerversicherung nehme ich als „Hausaufgabe“ mit in meinen politischen Alltag.

Erhalt einer Patientenquittung schon heute möglich
Nicht allen sind die eigenen Informations- und PatientInnenrechte bekannt. So haben gesetzlich Versicherte bereits seit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes 2003 das Recht, Auskunft über die in ambulanten Praxen bzw. Krankenhäusern erbrachten ärztlichen Leistungen zu erhalten. ÄrztInnen müssen auf Wunsch ihrer PatientInnen eine PatientInnenquittung über alle zu Lasten der Krankenkasse erbrachten Leistungen und deren vorläufige Kosten unterrichten. Transparenz ist also auch für gesetzlich Versicherte gegeben, kein Grund „neidisch“ auf Privatversicherte zu sein.

Krankenhausstrukturen im Wandel
Lebhaft war auch die Diskussion über Krankenhausstrukturen, insbesondere das Entlassmanagement. Der gesetzliche Auftrag für ein Entlassmanagement besteht bereits, die Ausführung in einzelnen Kliniken - auch das wurde deutlich - hapert noch. Der Austausch über das Entlassmanagement führte zum Punkt Fallpauschalen. Einzelne äußerten ihren Eindruck, dass die Wirtschaftlichkeit eines Hauses vor dem Patientenwohl stehe, dabei habe doch der Mensch und seine notwendige Behandlung und Pflege im Mittelpunkt zu stehen. Bewusst ist allen, dass das Patientenwohl eng mit dem Können und der Motivation, mit den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbunden ist. Erfahrungsberichte aus dem stationären Gesundheitssektor steuerte eine anwesende Hebamme bei. Niemand ist der Meinung, dass „Hilfskräfte“ den anspruchsvollen Beruf der PflegerInnen erledigen können. Diese und viele andere im Krankenhaus Tätige haben eine höhere Entlohnung verdient.

Gesetzlicher Mindestlohn auch Voraussetzung für „Gute Arbeit“
Nächstes Thema: der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn. Dieser wird von allen als Voraussetzung für „gute Arbeit“ im Interesse der Beschäftigten wahrgenommen. Schluss sein muss mit (Tarif-)Verträgen, die Lohngruppen beinhalteten, deren Höhe ArbeitsnehmerInnen von vornherein zu so genannten „Aufstockern“ bei den JobCentern machen. Wer (Vollzeit) arbeitet, muss davon auch leben können! Blankes Entsetzen rief mein Beispiel der vermieteten Friseurstühle hervor. Hierbei vermietet ein Friseur einen Friseurstuhl in seinem Geschäft an eine Friseurin oder einen Friseur, der dann auf eigene Rechnung arbeitet. Der Geschäftsinhaber erspart sich die Sozialversicherung und schmälert sein unternehmerisches Risiko. Und all dies, obgleich im Friseurhandwerk die Löhne sowieso nicht übermäßig hoch sind.

Minijobs eindämmen
Nicht fehlen durfte die Diskussion über Minijobs. Zu „Guter Arbeit“ passen Minijobs nicht. Die Erhöhung des mögliches Entgeltes von 400 Euro auf 450 Euro halte ich für einen arbeitsmarktpolitischen Sündenfall zu Lasten der Beschäftigten. Dreiviertel der MinijobberInnen sind Frauen. Ohne weitere Ansprache und Förderung ist ihr Weg in die Altersarmut häufig vorprogrammiert. Da ich vor dem „Wohnzimmer-Gespräch“ einer Einladung des Projektes Joboption gefolgt war, konnte ich gleich Broschüren zum Thema verteilen. Im Projekt Joboption werden den MinijobberInnen, die übrigens überwiegend Menschen mit Schul- und Berufsabschluss sind, als auch den ArbeitgeberInnen sozialversicherungspflichtige und qualifiziertere Möglichkeiten für Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb aufgezeigt. Den meisten Arbeitgebern sind die beruflichen Qualifikationen und Potentiale der MinijobberInnen nicht bekannt, diese sind nicht im Fokus der PersonalentscheiderInnen der Unternehmen. So werden Potentiale im Betrieb verschenkt.

Mein Dank an die GastgeberInnen
Nach über zwei Stunden intensiver Diskussion wurde das „Wohnzimmer-Gespräch“ beendet. Mir hat diese Diskussionsform großen Spaß gemacht und ich danke allen Beteiligten für den kurzweiligen Abend und den intensiven Austausch. Das nächste „Wohnzimmer-Gespräch“ findet in Friedenau statt.

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