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„Jugendliche gehören in den öffentlichen Raum, Jugendarbeit braucht eine stabile Finanzierung“ - Sommerfrühstück zum Thema Jugend


„Jugend wollen an der Gestaltung des öffentlichen Raums teilhaben. Jugend darf nicht weggedrängt werden. Ich freue mich, hier aktive JugendarbeiterInnen zu sehen, die dafür bereits seit langem eintreten“, so eröffnete Mechthild Rawert, Bundestagsabgeordnete für Tempelhof-Schöneberg, ihr Sommerfrühstück Jugend. Dieses ist eines von acht Sommerfrühstücken in ihrer schon traditionellen Reihe „Auf ein Wort Frau Rawert“, in dem die SPD-Politikerin nicht nur zum direkten Dialog aufruft sondern direkt dazu auffordert: „Ich möchte von Ihnen hören, welche Forderungen Sie an die Bundespolitik haben“.

Aus dem Sommerfrühstück Jugend war aus organisatorischen Gründen eine nachmittägliche Kaffeerunde geworden, die in den Räumlichkeiten von „Straße mit Dach“, einem Projekt von Gangway e.V., stattfand.
Ich danke dem Gangway Team Schöneberg herzlich für ihre Gastfreundschaft. Zusätzlich zu den StreetworkerInnen von Gangway e.V., Cem Pancar, Hüseyin Yoldaş, Dilan Özdemir und Steffi Rau waren als Vertreterinnen und Vertreter aus der Jugendarbeit anwesend: Valerie Lenck von Leben lernen e.V., die Betreutes Mädchenwohnen anbieten, Annemarie Kühnen-Hurlin, Bereichsleiterin für den Kinder- und Jugendbereich vom Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V., Roand Wylezol, Bildungsreferent vom Träger Alte Feuerwache e.V., Christiane Bornemann, fachliche Leiterin von Familienarbeit und Beratung e.V., sowie Gunter Fleischmann, Geschäftsführer von Jugendwohnen im Kiez e.V. Der Einladung gefolgt waren auch der Stadtrat für Jugend des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, Oliver Schworck, und die die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses in der BVV, Marijke Höppner.

Jugendarbeit und Mietenmarkt
Bei Kaffee, Tee und sehr speziellen und leckeren Muffins begann auch sofort der rege Austausch. Das Projekt „Straße mit Dach“ liegt in der Naumannstraße, nicht gerade da, wo die Jugendlichen sich sowieso aufhalten. Mariijke Höppner fragte daher gleich zu Beginn, ob das Projekt nicht „zu weit vom Schuss“ liegt, und ob das Angebot seit dem, auf Druck des Vermieters, notwendig gewordenen Auszugs aus der Dominicusstraße trotzdem noch von den Jugendlichen angenommen wird? Aus dieser speziellen Frage kristallisierte sich heraus, dass alle Projekte und Träger ein Mietenproblem haben.

Gangway hätte nicht nur gern zentraler gelegene Räumlichkeiten als Anlaufstelle für die Jugendlichen in Schöneberg, sie berichteten auch, dass sie große Schwierigkeiten haben, für ihre betreuten Jugendlichen bzw. für deren Familien angemessenen Wohnraum zu finden. Dies liegt auch an Diskriminierungen, denn ihr Klientel sind zumeist junge Männer mit Migrationshintergrund. Gunter Fleischmann von „Jugendwohnen im Kiez“, einer Einrichtung, die bereits seit 1990 die Gesellschaft „Neuraum GmBH“ betreibt, um Wohnraum für einkommensschwache junge Erwachsene zu akquirieren, stellte heraus, dass durch die Wohnaufwendungsverordnung nur 4,91 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche vom Jobcenter finanziert werden - nicht gerade marktgerecht für den Berliner Mietenmarkt. Damit sind keine Wohnungen für Jugendliche zu bekommen, die den Schritt vom betreuten Wohnen in eine eigene Wohnung machen sollen. Außerdem scheuen sich viele Vermieter mit den Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen einen Mietvertrag zu schließen. Grund ist das Vorurteil, dass mit den jungen Menschen Lärm, Drogen und Dreck einziehen. Valerie Lenck von „Leben lernen“, merkte an, dass dieses Vorurteil auch gegenüber jungen Frauen gelte. „Es handelt sich bei der Mietenproblematik um ein gesamtgesellschaftliches Problem.“ Für Lenck ist die soziale Durchmischung in den Wohnquartieren aber ein Qualitätskriterium für eine Soziale Stadt.

 „Es gehört zum Erwachsenenwerden, dass Jugendliche, dass junge Erwachsene ihr Elternhaus verlassen und sich ein selbständiges eigenes Leben als Erwachsene aufbauen. Dazu gehört auch der Einzug in eine eigene Wohnung oder eine Wohngemeinschaft. Dieser emanzipatorische Prozess im Leben einer jeden Person darf nicht nur für Reiche gelten“, betont Mechthild Rawert und fügt hinzu: „Will heißen, auch für Jugendliche, die im Rahmen der Jugendhilfe betreut werden, muss entsprechender Wohnraum zur Verfügung stehen und das nicht nur am Stadtrand!“ Damit greift Rawert Äußerungen der Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter auf, die berichteten, dass die wenigen Jugendlichen, die eine eigene Wohnung erhalten haben, nun zumeist nicht mehr im innerstädtischen Bereich wohnen, aber dennoch hier in der vertrauten Umgebung ihre Freizeit verbringen. „Wenn Jugendliche mit schwierigen Familienhintergründen durch die Jugendhilfe außerhalb des Elternhauses betreut werden, muss als letzter Schritt der Einzug in die eigene Wohnung und die selbstständige Haushaltsführung auch vollzogen werden können!“, diese Meinung vertritt auch Jugendstadtrat Schworck. Er will überprüfen, ob in dem von Stadtentwicklungssenator Michael Müller initiiertem 'Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten'  die Herausforderung „bezahlbarer Wohnraum für Jugendliche aus der Jugendhilfe“ auch ein klarer Bestandteil ist.

Schwarz-Gelb verweigert sich der Verteilungsgerechtigkeit

„Die CDU/CSU/FDP-geführte Bundesregierung hat seit ihrer Regierungsübernahme 2009 die Bundesmittel gerade dort stark gekürzt, die zu ‚mehr Gerechtigkeit‘ führen“, stellt Mechthild Rawert heraus und benennt Beispiele, die gerade den Berliner innerstädtischen Raum betreffen: z.B. das Programm Soziale Stadt, oder nachsorgende Bildungsprogramme wie das Programm „Schulverweigerer - Zweite Chance“. Sie fragt nach den Auswirkungen „vor Ort“ in Tempelhof-Schöneberg. Dazu führt Gunter Fleischmann aus, dass Schulverweigerung in allen Innenstadtbezirken ein großes Problem ist und das das deutsche Schulsystem keinen Platz bietet, um sich der Schulverweigerinnen und Schulverweigerern besonders anzunehmen. Die sozialpädagogischen Hilfen in den Schulen reichen nicht aus. Auf eine ErzieherInnenstelle kommen in Berlin 110 zu betreuende Schülerinnen und Schüler. Und: „Natürlich haben die Kürzungen deshalb negative Auswirkungen.“

Jugendliche und die Jugendhilfe braucht mehr politische Unterstützung
Kritisiert wurde insbesondere, dass es zwar immer wieder Initiativen „von unten“ gibt, diese aber von der Politik nicht unterstützt werden. „Und überhaupt steht die Jugendhilfe in einem viel zu schlechtem Licht. Der Fokus der Medien liegt auf den Kinderschutzfällen. Zudem erweckten die Medien immer wieder den Eindruck, die Träger bedienen sich nur selbst“,  beklagte Hüseyin Yoldaş, Streetworker bei Gangway e.V..  Er wünscht sich, dass auch seitens der Medien zunehmend mehr darauf verwiesen wird, dass Jugendliche privaten und auch öffentlichen Raum benötigen, um die eigenen jugendgemäßen Interessen auch leben zu können. Hier steht die „Erwachsenenwelt“ in der Pflicht.

Die in der Jugendarbeit Tätigen äußern unisono, dass sie viel zu viel Zeit dem Schreiben von Anträgen, dem Ausfüllen von Controlling Bögen, der Akquise von zusätzlichen Geldern etc. widmen müssen. Diese Zeit geht der direkten Arbeit mit den Jugendlichen verloren. Zudem wurde der dringende Wunsch nach einer besseren Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule geäußert.

„Wir wünschen uns mehr Anerkennung durch die Politik“  wird mehrfach geäußert. Eine Bundesministerin von der Leyen oder eine Bundesministerin Schröder, die sich für „mehr MAE-Kräfte in die Jugendarbeit“ aussprechen, aber ansonsten nicht zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen in der Jugendhilfe beitragen, sind nicht hilfreich. Jugendarbeit kann nur funktionieren, wenn gutes Personal vorhanden ist und die Gesetze, die im Bereich der Jugendarbeit erlassen werden, auch ausreichend finanziell unterfüttert werden.

Dazu gehört, dass das Personal für gute Arbeit auch gut bezahlt wird. Mechthild Rawert unterstützt die Forderung nach gutem Geld für gute Arbeit. „Dafür benötigt der Staat jedoch (Steuer-)Einnahmen. Damit die Kommunen, die die Jugendarbeit gewährleisten müssen, auch finanziell gut ausgestattet werden können, muss ein klarer politischer Wille erkennbar sein, gerade auch die Kommunen finanziell unterstützen zu wollen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben uns hierzu bereits deutlich auf unserem Bundesparteitag 2011 bekannt“, betonte Rawert.

Ganz generell - so die SPD-Politikerin - ist eine gesellschaftliche Debatte über die mangelnde Anerkennung in den sozialen Dienstleistungsberufen wichtig. Und: „Nicht nur die Jugendarbeit, auch andere soziale Arbeit braucht gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung.“

 

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