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Zweiter Sommerbrief

Mich treibt der Transplantations-Skandal an den Universitätskliniken in Göttingen und Regensburg um. Deutlich ist, dass es schärferer Kontrollen im gesamten Prozess der Organspende bedarf. Wir werden diesen Skandal und die daraus notwendigerweise zu ziehenden Konsequenzen in den nächsten Sitzungen des Gesundheitsausschusses diskutieren.

Der Skandal überdeckt, dass zum 1. August die ersten Neuregelungen des „Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes“ (Drs. 17/9773)  in Kraft getreten sind. Mit diesen neuen gesetzlichen Regelungen sollen die technisch-organisatorischen Prozesse bei der Organspende und -transplantation verbessert werden; u.a.:

  • Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden, müssen in Zukunft eine/n Transplantationsbeauftragte/n bestellen, die bzw. der eine Organspende in der Klinik organisiert und überwacht, die Arbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) koordiniert und die psychologisch schwierigen Gespräche mit den Angehörigen der verstorbenen Spender führt.
  • Verbessert werden sollen die Kontrollmechanismen bei einer Organspende. Eine bei der Bundesärztekammer angesiedelte Prüfungskommission soll die Abläufe des Organspende-Prozesses (von der Feststellung des Hirntods eines Spenders über die Vermittlung durch die DSO bis hin zur Implantation des Organs) genau überprüfen. Sowohl die Entnahmekrankenhäuser als auch die Transplantationszentren sind gesetzlich verpflichtet, der Prüfungskommission alle entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Landesbehörden werden eingeschaltet, sobald Verstöße gegen das Transplantationsgesetz vorliegen.
  • Die Situation der LebendspenderInnen ist verbessert worden, sie haben gegenüber der Krankenkasse des Organempfängers umfassende Ansprüche. Sie erhalten im Falle der Arbeitsunfähigkeit auch Lohnfortzahlung, die von der Krankenkasse des Organempfängers übernommen wird. Sollten wider Erwarten für die SpenderIn gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit der Organübertragung auftreten, steht dafür die gesetzliche Unfallversicherung ein.
  • Personenbezogene Daten dürfen durch die ÄrztInnen zu Forschungszwecken weitergeleitet werden.

Erst am 1. November tritt die sogenannte Entscheidungslösung, nach der sich jede BürgerIn für oder gegen eine Organspende entscheiden kann, in Kraft. Ab dann werden die Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Bereitschaft zur postmortalen Organspende befragt. Sie werden aufgefordert, ihre Entscheidung zu dokumentieren, anfänglich auf dem Organspendeausweis und später dann auf der Elektronischen Gesundheitskarte.

Wir brauchen mehr Staat im Bereich der Organspende

Ob diese Neuregelungen angesichts des Skandals an den Universitätskliniken in Göttingen und Regensburg ausreichen, muss einer Überprüfung unterzogen werden. Unter Umständen bedarf es weiterer gesetzlicher Maßnahmen. Auf jeden Fall brauchen wir meiner Meinung nach „mehr Staat“ in diesem durch private Stiftungen organisiertem Feld. Nur so kann das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung in ein gerechtes und transparentes Verteilsystem der Organe zurückgewonnen werden. Die Transplantationsmedizin gehört zum medizinischen Fortschritt - und auf eine gerechte Teilhabe an diesem hat jede und jeder einen Anspruch.

Die Kriterien für eine Vergabe von Spenderorganen sind durch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer eindeutig geregelt - aber zu lange blieb die Fälschung von PatientInnendaten und die Manipulationen der Reihenfolge auf der Warteliste unbemerkt, um noch darauf vertrauen zu können. Das System der Selbstkontrolle der ÄrztInnen hat versagt.

Bis jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei Leiter der Transplantationsmedizin in den jeweiligen Unikliniken. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht noch zu weiteren Ermittlungen kommt. Nicht nur, dass diese gegen Recht und Gesetz und gegen ärztliche Standesregeln verstoßen haben, sie haben auch das Vertrauen in die Ärzteschaft grob missbraucht - in erster Linie das der PatientInnen, die in Wahrheit vorne auf der Liste standen und dringend einer Transplantation bedurft hätten. Dringlichkeit heißt, die PatientInnen versterben mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten drei Monaten, wenn sie das benötigte Organ nicht erhalten.

Und trotzdem: Bitte füllen Sie einen Organspendeausweis aus!

Seit einigen Tagen erhalte ich Schreiben mit dem Inhalt, warum ich mich trotz des Skandals „kritiklos“ weiterhin für eine Steigerung der Spendenbereitschaft in der Bevölkerung einsetzen würde. Die Transplantationsmedizin gehört zum medizinischen Fortschritt und dieser hat allen zu dienen. Bürgerinnen und Bürger haben jedes Recht von der Politik und den gewählten PolitikerInnen zu erwarten, dass Rahmenbedingungen für ein transparentes und faires System der Organverteilung existieren, dass lebensrettende Organe gerecht ausschließlich nach Dringlichkeit zugeteilt werden. Dafür trage ich als Gesundheitspolitikerin Verantwortung.

Auch VolksvertreterInnen ziehen Erfahrungen aus ihrem privatem Leben. Als Angehörige kenne ich die Situation aus zwei Blickrichtungen: Einer meiner Brüder hatte Leukämie. Selbstverständlich hätte er die notwendige Knochenmarktransplantation gerne so schnell wie möglich vornehmen lassen. Aus der ersten Klinik ist er unverrichteterweise zurückgekehrt mit der Aussage, es gäbe PatientInnen mit höherer Dringlichkeit. Die Transplantation hat zu einem späteren Zeitpunkt in einer anderen Klinik stattgefunden. Ob sein Tod 2 1/4 Jahre nach der Diagnose vermeidbar gewesen wäre, wenn die Transplantation früher erfolgt wäre, darüber kann nur spekuliert werden. Und das ist müßig. Wir alle hatten das Kriterium „Dringlichkeit“ respektiert - im Vertrauen auf die Ärzteschaft. Nach einem Unfall wurde bei meinem Schwager der Hirntod festgestellt. Er selbst hatte im Rahmen einer Patientenverfügung verfügt, Organspender werden zu wollen. So hat er dazu beigetragen, Leben zu retten, die Lebensqualität Dritter zu steigern. Auch in den Momenten größter Trauer durchaus ein Trost.

Nehmen Sie Kontakt mit mir auf

Derzeit sterben jeden Tag drei Menschen, weil sie auf ein Spenderorgan warten. Ich finde, es lohnt sich im Sinne eines gerechten Gesundheitswesens für eine Erhöhung der Spendenbereitschaft zu werben. Trotz meiner klaren Position: Bitte zögern Sie nicht, sich mit mir in Verbindung zu setzen, auch wenn sie anderer Meinung sind.