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Sich Antisemitismus aktiv entgegenstellen

Hätte die Tür der Synagoge nicht standgehalten, wäre es wohl zur schlimmsten antisemitischen Straftat der deutschen Nachkriegsgeschichte gekommen: Am höchsten jüdischen Feiertag, dem Ruhe- und Fastentag Jom Kippur, versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019, schwer bewaffnet die Synagoge von Halle zu stürmen und die in ihr versammelten Menschen zu ermorden. Doch die Tür war zu robust; trotz des Werfens von Brand- und Sprengsätzen gelang es dem Täter nicht, sie überwinden.

In seiner Wut über das Scheitern der Tat erschoss der Rechtsextremist zwei Passant*innen und verletzte zwei weitere Menschen. Er filmte dabei seine Tat und übertrug die Bilder live ins Internet. In dem Video äußerte er sich massiv jüd*innenfeindlich und bezog sich auf antisemitische Verschwörungstheorien. Mittlerweile ist Stephan B. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Juristisch ist die Tat aufgearbeitet - gesellschaftlich jedoch nicht. Denn das schreckliche Attentat von Halle war die Tat eines Einzelnen, mitnichten aber handelte Stephan B. als Einzeltäter.

Antisemitische Straftaten

Der Blick in aktuelle Statistiken und Medienberichte zeigt: Die Zahl von Angriffen und Vorfällen mit antisemitischem Hintergrund in Deutschland ist hoch. Im Jahr 2020 hat die Polizei so viele jüd*innenfeindliche Angriffe festgestellt - wie nie zuvor seit Beginn ihrer Zählung im Jahr 2001. Innerhalb eines Jahres wurden 2275 Straftaten gemeldetIm Schnitt macht das sechs antisemitische Delikte am Tag. Unter den 2275 Straftaten waren 55 Gewalttaten und 313 Propagandadelikte, wie mitunter das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Die übrigen Straftaten wurden unter „Sonstige“ geführt, gemeint sind u.a. Beleidigungen. 

Für die Amadeo-Antonio-Stiftung ist das Phänomen des Antisemitismus eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft.  

Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an

Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an. Bürgerin und Bürger unserer freiheitlich-liberalen Demokratie zu sein, bedeutet, sich jeder Form von Rassismus und Antisemitismus entgegen zu stellen. Wegschauen ist keine Option. Kein jüd*innenfeindlicher Satz darf unkommentiert bleiben, die Verwendung von „Jude“ als Schimpfwort darf nicht ignoriert werden. Der Kampf gegen Antisemitismus stellt eine Daueraufgabe an, er bleibt ein gesamtgesellschaftliches Problem.

„Antisemitismus – Geschichte und Aktualität“

Doch wie äußert sich Antisemitismus, warum erlebt er gerade jetzt eine erschreckende „Renaissance“ und wie kann er nachhaltig bekämpft werden? Diesen Fragen widmete sich das zweiteilige Online-Seminar „Antisemitismus – Geschichte und Aktualität“ der Bildungseinrichtung des Anne Frank Zentrum e.V. in Berlin am 18./ 25.02.21. Themen waren mitunter die Frage der Funktion von antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien, individuelle Erfahrungen, unterschiedliche Erscheinungsformen und Funktionen von Antisemitismus sowie Möglichkeiten des Handelns gegen Antisemitismus.

Unter Antisemitismus wird eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden verstanden, die sich als Abwertung, Diskriminierung, Unterdrückung, Feindschaft, Hass, bis hin zu Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens ausdrücken kann. Aufgrund physiognomischer Merkmale, wie das Tragen einer Kippa oder eines Davidsterns, die auf eine vermeintliche Zugehörigkeit zum Judentum schließen lassen, werden Betroffenen in verallgemeinernder Form bestimmte körperliche und charakteristische Merkmale attestiert. Antisemitismus reicht allerdings über die Feindschaft gegen konkrete Personen heraus; er kann sich gleichsam gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen richten. Zudem werden Erinnerungsstätten wie Gedenkstele, Friedhöfe und Stolpersteine beschmutzt oder gar zerstört. Eine weitere Ausprägung des Antisemitismus ist die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien sowie das Verharmlosen des Holocausts. Antisemitismus kann somit in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens stattfinden.

Antisemitismus als pauschale Menschenfeindlichkeit 

Die im Rahmen des Seminars aktiv in die Diskussion miteinbezogenen Teilnehmenden waren sich einig: Antisemitismus stellt eine Art der pauschalen Menschenfeindlichkeit dar, die einer rassistischen Ideologie folgt, spaltet und gegeneinander aufhetzt und somit eine maßgebliche Bedrohung für unsere freiheitliche Lebensweise und demokratische Gesellschaft darstellt. Als Bürgerinnen und Bürger stehen wir in der Verantwortung, gegen jegliche Form von Antisemitismus einzutreten. 

Um Antisemitismus nachhaltig zu reduzieren, bedarf es einer umfassenden Klärung über dessen Ursprünge, aber auch Funktionen. Denn nur, wenn man ihn in seiner Breite versteht, kann es gelingen, Maßnahmen zu entwickeln, und erfolgreich gegen ihn vorzugehen.  

Tradierte antisemitische Stereotype 

Hass auf Jüdinnen und Juden existiert schon sehr lange. Bereits im Mittelalter kam es zu grausamen Verfolgungen von Menschen jüdischen Glaubens. Während der Pestepidemie wurden sie als vermeintliche „Brunnenvergifter“ für die Entstehung der Seuche verantwortlich gemacht. Auf diese Weise wurde die Legitimation für ihre Vertreibung geschaffen. Seit je ist der falsche Vorwurf der Brunnenvergiftung eines der beliebtesten antisemitischen Stereotype.  

In der Zeit der Aufklärung etablierte sich die Bezeichnung des jüdischen „Parasiten“. Dahinter steht die Vorstellung, Jüdinnen und Juden der Diaspora wären zu eigener Staatsbildung unfähig und würden daher Staaten und Gesellschaften „parasitär“ befallen und ausnutzen. Dieses Stereotyp tritt oft verbunden mit dem Vorwurf des „geldgierigen jüdischen Wucherers“ auf, was wiederum eng mit der Verschwörungstheorie eines „Weltjudentum“ verknüpft ist. In der Zeit des Nationalsozialismus diente es zur Legitimation der Judenverfolgung bis hin zum Holocaust.  

Gemein haben diese verschiedenen Ausprägungen von Verschwörungstheorien, dass sie Menschen jüdischen Glaubens die Schuld an bestimmten negativen ökonomischen und gesellschaftlichen Ereignissen zuschreiben. Jüd*innenfeindlichkeit dient somit einigen Menschen als eine Form der Welterklärung, die für komplexe Fragen vermeintlich einfache Antworten gibt. Auch heutzutage halten sich Vorurteile wie „Jüd*innen haben zu viel Macht in der Weltpolitik“ oder seien „hinterlistig“. 

Antisemitische Politik von rechts  

Durch das Agieren der rechtspopulistischen und ausländer*innenfeindlichen Partei AfD ist zudem die Hemmschwelle für antisemitische Aussagen und mitunter auch Taten gesenkt wurden. Wenn führende Politiker*innen dieser Partei eine „Wende in der Erinnerungspolitik um 180 Grad“ fordern, das Holocaust-Mahnmal als „Mahnmal der Schande“ beschimpfen und die NS-Zeit als „Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichnen, erleben wir eine erschreckende und teils geschichtsrevisionistische Diskursverschiebung. 

Antisemitische Verschwörungserzählungen, u.a. bezüglich der CoVId-19-Pandemie

Insbesondere im Verlauf der CoVId-19-Pandemie haben antisemitische Verschwörungserzählungen eine neue Brisanz erreicht, verbreitet mitunter durch die internationale Bewegung „QAnon“. Ihre Anhänger*innen sind von der Existenz einer mächtigen satanistischen Elite überzeugt - bestehend aus Politikern der amerikanischen Partei der Demokraten, den Medien, Banken und ranghohen Persönlichkeiten jüdischen Glaubens - die Kinder in unterirdischen Gefängnissen einsperrt und foltert. Laut stark wird gegen eine vermeintliche Weltverschwörung von Jüd*innen und Demokrat*innen vorgegangen. 

Das altbekannte Schema ist demnach erkennbar: Eine Krise, aktuell die Pandemie, führt zu Unsicherheit und verängstigt. Verschwörungstheorien greifen diese negativen Gefühle auf und liefern simple Antworten bzw. alternative Erklärungsmuster. Im Laufe dieses Prozesses suchen sie vermeintlich Schuldige, um diesen die Verantwortung für die jeweilige Krise zuzuschreiben. Hier werden mitunter auf alte, den Menschen bereits bekannte, Feindbilder zurückgegriffen (hier: eine angebliche jüdische Allmacht). Deshalb sind diese Feindbilder sehr beliebt und lassen sich tendenziell weit verbreiten. Vertreter*innen der QAnon-Bewegung sehen demnach „die jüdische Minderheit“ als verantwortlich für die Pandemie. 

„Krisenzeiten waren schon immer Hochzeiten des Judenhasses“, meint auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. Dies erklärt, warum gerade im Rahmen der CoVID-19-Pandemie, die für uns alle eine nie dagewesene Situation darstellt, und bei vielen ein Gefühl des Kontrollverlustes bewirkte, geschichtlichen Kontinuitäten erkennbar sind und antisemitische Verschwörungstheorien neu aufflammen. Die Unsicherheit der Menschen und der Wunsch nach einer haltgebenden Struktur, einer plausiblen Erklärung, fungiert als Nährboden.

Antisemitismus mit Wissen und Aufklärung nachhaltig bekämpfen

An dieser Stelle kann Mensch ansetzen, um das Phänomen des Antisemitismus nachhaltig und effektiv zu bekämpfen. Denn Vorurteile und Stereotype entstehen oft aus Unwissenheit und sind zurückzuführen auf mangelnde Erfahrung. 

Das Judentum wird in Deutschland oft nur in Verbindung mit den Jahren der nationalsozialistischen Verfolgung 1933 bis 1945 gebracht, so auch im Schulunterricht. Wissen über die Religion des Judentums im Allgemeinen spielt eine untergeordnete Rolle. Damit werden ausgerechnet jene zwölf Jahre in den Blick genommen, in denen kein normales jüdisches Leben mehr stattfinden konnte und die europäischen Jüdinnen und Juden fast vollkommen ausgerottet wurden. Das Wissen über und die Erinnerung an die Schoah sind immens wichtig. Doch sie müssen verbunden werden mit Kenntnissen über die jüdische Geschichte, die in Deutschland nachweislich seit dem Jahr 321 besteht, über jüdische Religion und Kultur und die jüdische Gegenwart. Nur dann lässt sich ermessen, woran wir heute anknüpfen können, um Wissen zu erweitern und Kenntnisse auszubauen und auf dieser Basis das Entstehen von Vorurteilen zu unterbinden.

1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland 

Der Verein „321 - 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.“ organisiert im diesjährigen Jubiläumsjahr tausende Veranstaltungen. 2021 steht Deutschland in besonderem Fokus, denn im diesem Jahr werden Jüdinnen und Juden nachweislich seit 1700 Jahren auf dem Territorium des heutigen Deutschlands leben: Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt, welches festlegte, dass jüdische Menschen städtische Ämter bekleiden dürfen. Somit belegt das Edikt eindeutig, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike wichtiger integrativer Bestandteil der europäischen Kultur sind. Anlässlich des Jubiläumsjahres richtet der Verein bundesweit tausende Veranstaltungen aus. 

Mehr Aufklärung über jüdisches Leben

Es geht darum, die positiven Dinge des Judentums – jüdische Feiertage, jüdische Traditionen und Werte, jüdisches Leben – sichtbar und erlebbar zu machen und den Menschen zu vermitteln, dass jüdisches Leben etwas Selbstverständliches im (deutschen) Alltag ist. Auf diese Weise, so die Hoffnung, würden Vorurteile zum Judentum ein Stück weit aufgelöst und negative Klischees unterbunden werden. Stereotype könnten aufgebrochen werden und somit langfristig dem erstarkenden Antisemitismus entgegen gesetzt werden.

Mehr Aufklärung über jüdisches Leben sei notwendig – so auch die Meinung der Teilnehmenden im Seminar des Anne Frank Zentrums in Berlin. Perspektivisch könnte mitunter die Präsenz und Lebendigkeit des Judentums verstärkt dargestellt werden – etwa auf öffentlichen Plätzen mit Hanukkah-Leuchtern. Wo es keine jüdischen Gemeinden mehr gibt, sollte die nichtjüdische Bevölkerung auf die vorhandenen Zeugnisse der jüdischen Kultur aufmerksam gemacht werden – mithilfe der jüdischen Gemeinden, aber auch etwa der Kultus- und Schulbehörden. Einige der Veranstaltungen in meiner Reihe „Erinnerung braucht einen Ort“ dienen auch diesem Zweck.

Antisemitismuskritische Bildungsarbeit initiieren und fördern

Langfristig spielen auch Schulen und die dort geleistete (antisemitismuskritische) Bildungsarbeit eine Rolle. Denn das Entstehen von Vorurteilen beginnt schon in Kindesjahren. Indem Kindern die Komplexität der jüdischen Geschichte vermittelt wird, können diese unterbunden werden. Auch Gespräche mit Vertreter*innen der jüdischen Gemeinde, oder der Besuch einer der zahlreichen Forschungsbibliotheken und Archive, die sich der Geschichte des Judentums widmen, können gewinnbringend sein. So beispielsweise die Dependance des Leo Baeck Institute (LBI) im Jüdischen Museum Berlin, welches zu den bedeutendsten Sammlungsstätten von Primärquellen und Forschungsmaterial zum jüdischen Leben Zentraleuropas in den Jahrhunderten vor dem Holocaust gehört.

(Fotos: Mechthild Rawert, MdB; Grafik: 321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.) 

Hätte die Tür der Synagoge nicht standgehalten, wäre es wohl zur schlimmsten antisemitischen Straftat der deutschen Nachkriegsgeschichte gekommen: Am höchsten jüdischen Feiertag, dem Ruhe- und Fastentag Jom Kippur, versuchte Stephan B. am 29.10.2019, schwer bewaffnet die Synagoge von Halle zu stürmen und die in ihr versammelten Menschen zu ermorden. Doch die Tür war zu robust; auch trotz des Werfens von Brand- und Sprengsätzen gelang es Stephan B. nicht, sie aufzuschießen. In seiner Wut über das Scheitern der Tat erschoss der Rechtsextremist zwei Passant*innen und verletzte zwei weitere. Stephan B. filmte seine Tat und übertrug die Bilder live ins Internet. In dem Video äußerte er sich massiv jüd*innenfeindlich und bezog sich auf antisemitische Verschwörungstheorien. Mittlerweile ist Stephan B. zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Juristisch ist das Urteil somit beendet- gesellschaftlich jedoch nicht. Denn das schreckliche Attentat von Halle war die Tat eines Einzelnen, mitnichten aber handelte Stephan B. als Einzeltäter.
Antisemitische Straftaten
Der Blick in aktuelle Statistiken und Medienberichte zeigt: Die Zahl von Angriffen und Vorfällen mit antisemitischen Hintergrund in Deutschland ist hoch. Im Jahr 2020 hat die Polizei so viele jüd*innenfeindliche Angriffe festgestellt wie nie zuvor seit Beginn ihrer Zählung im Jahr 2001: Innerhalb eines Jahres wurden 2275 Straftaten mit antisemitischen Hintergrund gemeldet
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/antisemitismus-in-deutschland-2275-judenfeindliche-straftaten-im-jahr-2020-a-647631df-fe75-4f4f-acd7-ee15a41f3ec5  

. Im Schnitt macht das sechs antisemitische Delikte am Tag. Unter den 2275 Straftaten waren 55 Gewalttaten und 313 Propagandadelikte, wie mitunter das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Die übrigen Straftaten wurden unter „Sonstige“ geführt, gemeint sind u.a. Beleidigungen. 
Für die Amadeo-Antonio-Stiftung ist das Phänomen des Antisemitismus 
ttps://www.amadeu-antonio-stiftung.de/antisemitismus/was-ist-antisemitismus/
eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft.  
Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an
Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an. Bürgerin und Bürger unserer freiheitlich-liberalen Demokratie zu sein, bedeutet, sich jeder Form von Rassismus und Antisemitismus entgegen zu stellen. Wegschauen ist keine Option. Kein jüd*innenfeindlicher Satz darf unkommentiert bleiben, die Verwendung von „Jude“ als Schimpfwort darf nicht ignoriert werden. Der Kampf gegen Antisemitismus stellt eine Daueraufgabe an, er bleibt ein gesamtgesellschaftliches Problem.
„Antisemitismus – Geschichte und Aktualität“
Doch wie äußert sich Antisemitismus, warum erlebt er gerade jetzt eine erschreckende „Renaissance“ und wie kann er nachhaltig bekämpft werden? Diesen Fragen widmete sich das zweiteilige Online-Seminar „Antisemitismus – Geschichte und Aktualität“ der Bildungseinrichtung des Anne Frank Zentrum e.V.
https://www.annefrank.de/




 in Berlin am 18./ 25.02.21. Themen waren mitunter die Frage der Funktion von antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien, individuelle Erfahrungen, unterschiedliche Erscheinungsformen und Funktionen von Antisemitismus sowie Möglichkeiten des Handelns gegen Antisemitismus.
Unter Antisemitismus wird eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden verstanden, die sich als Abwertung, Diskriminierung, Unterdrückung, Feindschaft, Hass, bis hin zu Verfolgung und Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens ausdrücken kann. Aufgrund physiognomischer Merkmale, wie das Tragen einer Kippa oder eines Davidsterns, die auf eine vermeintliche Zugehörigkeit zum Judentum schließen lassen, werden Betroffenen in verallgemeinernder Form bestimmte körperliche und charakteristische Merkmale attestiert. Antisemitismus reicht allerdings über die Feindschaft gegen konkrete Personen heraus; er kann sich gleichsam gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen richten. Zudem werden Erinnerungsstätten wie Gedenkstele, Friedhöfe und Stolpersteine beschmutzt oder gar zerstört. Eine weitere Ausprägung des Antisemitismus ist die Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien sowie das Verharmlosen des Holocausts. Antisemitismus kann somit in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens stattfinden.
Antisemitismus als pauschale Menschenfeindlichkeit 
Die im Rahmen des Seminars aktiv in die Diskussion miteinbezogenen Teilnehmenden waren sich einig: Antisemitismus stellt eine Art der pauschalen Menschenfeindlichkeit dar, die einer rassistischen Ideologie folgt, spaltet und gegeneinander aufhetzt und somit eine maßgebliche Bedrohung für unsere freiheitliche Lebensweise und demokratische Gesellschaft darstellt. Als Bürgerinnen und Bürger stehen wir in der Verantwortung, gegen jegliche Form von Antisemitismus einzutreten. 
Um Antisemitismus nachhaltig zu reduzieren, bedarf es einer umfassenden Klärung über dessen Ursprünge, aber auch Funktionen. Denn nur, wenn man ihn in seiner Breite versteht, kann es gelingen, Maßnahmen zu entwickeln, und erfolgreich gegen ihn vorzugehen.  
Tradierte antisemitische Stereotype 
Hass auf Jüdinnen und Juden existiert schon sehr lange. Bereits im Mittelalter kam es zu grausamen Verfolgungen von Menschen jüdischen Glaubens. Während der Pestepidemie wurden sie als vermeintliche „Brunnenvergifter“ für die Entstehung der Seuche verantwortlich gemacht. Auf diese Weise wurde die Legitimation für ihre Vertreibung geschaffen. Seit je ist der falsche Vorwurf der Brunnenvergiftung eines der beliebtesten antisemitischen Stereotype.  
In der Zeit der Aufklärung etablierte sich die Bezeichnung des jüdischen „Parasiten“. Dahinter steht die Vorstellung, Jüdinnen und Juden der Diaspora wären zu eigener Staatsbildung unfähig und würden daher Staaten und Gesellschaften „parasitär“ befallen und ausnutzen. Dieses Stereotyp tritt oft verbunden mit dem Vorwurf des „geldgierigen jüdischen Wucherers“ auf, was wiederum eng mit der Verschwörungstheorie eines „Weltjudentum“ verknüpft ist. In der Zeit des Nationalsozialismus diente es zur Legitimation der Judenverfolgung bis hin zum Holocaust.  
Gemein haben diese verschiedenen Ausprägungen von Verschwörungstheorien, dass sie Menschen jüdischen Glaubens die Schuld an bestimmten negativen ökonomischen und gesellschaftlichen Ereignissen zuschreiben. Jüd*innenfeindlichkeit dient somit einigen Menschen als eine Form der Welterklärung, die für komplexe Fragen vermeintlich einfache Antworten gibt. Auch heutzutage halten sich Vorurteile wie „Jüd*innen haben zu viel Macht in der Weltpolitik“ oder seien „hinterlistig“. 
Antisemitische Politik von rechts  
Durch das Agieren der rechtspopulistischen und ausländer*innenfeindlichen Partei AfD ist zudem die Hemmschwelle für antisemitische Aussagen und mitunter auch Taten gesenkt wurden. Wenn führende Politiker*innen dieser Partei eine „Wende in der Erinnerungspolitik um 180 Grad“
https://www.tagesspiegel.de/politik/hoecke-rede-im-wortlaut-gemuetszustand-eines-total-besiegten-volkes/19273518.html
fordern, das Holocaust-Mahnmal als „Mahnmal der Schande“
https://www.welt.de/politik/deutschland/article161286915/Was-Hoecke-mit-der-Denkmal-der-Schande-Rede-bezweckt.html
beschimpfen und die NS-Zeit als „Vogelschiss in der Geschichte“
https://www.dw.com/de/gauland-bezeichnet-ns-zeit-als-vogelschiss-in-der-geschichte/a-44054219
bezeichnen, erleben wir eine erschreckende und teils geschichtsrevisionistische Diskursverschiebung. 
Antisemitische Verschwörungserzählungen, u.a. bezüglich der CoVId-19 Pandemie
Insbesondere im Verlauf der CoVId-19 Pandemie haben antisemitische Verschwörungserzählungen eine neue Brisanz erreicht, verbreitet mitunter durch die internationale Bewegung „QAnon“. Ihre Anhänger*innen sind von der Existenz einer mächtigen satanistischen Elite überzeugt - bestehend aus Politikern der amerikanischen Partei der Demokraten, den Medien, Banken und ranghohen Persönlichkeiten jüdischen Glaubens - die Kinder in unterirdischen Gefängnissen einsperrt und foltert. Laut stark wird gegen eine vermeintliche Weltverschwörung von Jüd*innen und Demokrat*innen vorgegangen. 
Das altbekannte Schema ist demnach erkennbar: Eine Krise (hier: die CoVID-19 Pandemie) führt zu Unsicherheit und verängstigt. Verschwörungstheorien greifen diese negativen Gefühle auf und liefern simple Antworten bzw. alternative Erklärungsmuster. Im Laufe dieses Prozesses suchen sie vermeintlich Schuldige, um diesen die Verantwortung für die jeweilige Krise zuzuschreiben. Hier werden mitunter auf alte, den Menschen bereits bekannte, Feindbilder zurückgegriffen (hier: eine angebliche jüdische Allmacht). Deshalb sind diese Feindbilder sehr beliebt und lassen sich tendenziell weit verbreiten. Vertreter*innen der QAnon-Bewegung sehen demnach „die jüdische Minderheit“ als verantwortlich für die Pandemie. 
„Krisenzeiten waren schon immer Hochzeiten des Judenhasses“
https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/corona-antisemitismus-101.html
, meint auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch. Dies erklärt, warum gerade im Rahmen der CoVID-19 Pandemie, die für uns alle eine nie dagewesene Situation darstellt, und bei vielen ein Gefühl des Kontrollverlustes bewirkte, geschichtlichen Kontinuitäten erkennbar sind und antisemitische Verschwörungstheorien neu aufflammen. Die Unsicherheit der Menschen und der Wunsch nach einer haltgebenden Struktur, einer plausiblen Erklärung, fungiert als Nährboden.
Antisemitismus mit Wissen und Aufklärung nachhaltig bekämpfen
An dieser Stelle kann Mensch ansetzen, um das Phänomen des Antisemitismus nachhaltig und effektiv zu bekämpfen. Denn Vorurteile und Stereotype entstehen oft aus Unwissenheit und sind zurückzuführen auf mangelnde Erfahrung. 
Das Judentum wird in Deutschland oft nur in Verbindung mit den Jahren der nationalsozialistischen Verfolgung 1933 bis 1945 gebracht, so auch im Schulunterricht. Wissen über die Religion des Judentums im Allgemeinen spielt eine untergeordnete Rolle. Damit werden ausgerechnet jene zwölf Jahre in den Blick genommen, in denen kein normales jüdisches Leben mehr stattfinden konnte und die europäischen Jüdinnen und Juden fast vollkommen ausgerottet wurden. Das Wissen über und die Erinnerung an die Schoah sind immens wichtig. Doch sie müssen verbunden werden mit Kenntnissen über die jüdische Geschichte, die in Deutschland nachweislich seit dem Jahr 321 besteht, über jüdische Religion und Kultur und die jüdische Gegenwart. Nur dann lässt sich ermessen, woran wir heute anknüpfen können, um Wissen zu erweitern und Kenntnisse auszubauen und auf dieser Basis das Entstehen von Vorurteilen zu unterbinden.
321 - 2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland e.V. 
Der Verein „321 - 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.“ 
https://2021jlid.de/
organisiert im diesjährigen Jubiläumsjahr tausende Veranstaltungen. 2021 steht Deutschland in besonderem Fokus, denn im diesem Jahr werden Jüdinnen und Juden nachweislich seit 1700 Jahren auf dem Territorium des heutigen Deutschlands leben: Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Edikt, welches festlegte, dass jüdische Menschen städtische Ämter bekleiden dürfen. Somit belegt das Edikt eindeutig, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike wichtiger integrativer Bestandteil der europäischen Kultur sind. Anlässlich des Jubiläumsjahres richtet der Verein bundesweit tausende Veranstaltungen aus. 
Mehr Aufklärung über jüdisches Leben
Es geht darum, die positiven Dinge des Judentums – jüdische Feiertage, jüdische Traditionen und Werte, jüdisches Leben – sichtbar und erlebbar zu machen und den Menschen zu vermitteln, dass jüdisches Leben etwas Selbstverständliches im (deutschen) Alltag ist. Auf diese Weise, so die Hoffnung, würden Vorurteile zum Judentum ein Stück weit aufgelöst und negative Klischees unterbunden werden. Stereotype könnten aufgebrochen werden und somit langfristig dem erstarkenden Antisemitismus entgegen gesetzt werden.
Mehr Aufklärung über jüdisches Leben sei notwendig – so auch die Meinung der Teilnehmenden im Seminar des Anne Frank Zentrums in Berlin. Perspektivisch könnte mitunter die Präsenz und Lebendigkeit des Judentums verstärkt dargestellt werden – etwa auf öffentlichen Plätzen mit Hanukkah-Leuchtern. Wo es keine jüdischen Gemeinden mehr gibt, sollte die nichtjüdische Bevölkerung auf die vorhandenen Zeugnisse der jüdischen Kultur aufmerksam gemacht werden – mithilfe der jüdischen Gemeinden, aber auch etwa der Kultus- und Schulbehörden. Einige der Veranstaltungen in meiner Reihe „Erinnerung braucht einen Ort“ 
https://youtu.be/Fv3gi0LT__Y
dienen auch diesem Zweck.
Antisemitismuskritische Bildungsarbeit initiieren und fördern
Langfristig spielen auch Schulen und die dort geleistete (antisemitismuskritische) Bildungsarbeit eine Rolle. Denn das Entstehen von Vorurteilen beginnt schon in Kindesjahren. Indem Kindern die Komplexität der jüdischen Geschichte vermittelt wird, können diese unterbunden werden. Auch Gespräche mit Vertreter*innen der jüdischen Gemeinde, oder der Besuch einer der zahlreichen Forschungsbibliotheken und Archive, die sich der Geschichte des Judentums widmen, können gewinnbringend sein. So beispielsweise auch in der Berliner Dependance im Jüdischen Museum im Bezirk Mitte des Leo Baeck Institut New York/ Berlin, welches zu den bedeutendsten Sammlungsstätten von Primärquellen und Forschungsmaterial zum jüdischen Leben Zentraleuropas in den Jahrhunderten vor dem Holocaust gehört.