Hauptmenü

Die Pflege braucht Zukunft - Der Pflegeberuf hat Zukunft

Die demografische Entwicklung prägt und verändert unsere Gesellschaft. Die Zahl pflegebedürftiger Menschen wächst stetig und wird vor dem Hintergrund einer Gesellschaft des langen Lebens voraussichtlich auch künftig weiter steigen. Pflegebedürftigkeit wird also für immer mehr Menschen zum Teil ihres Alltags - ob nun als Pflegeempfangende, als pflegende Angehörige, Enkel oder Freund*innen von Menschen, die gepflegt werden oder als beruflich in der Pflege tätige Person.

Das Handlungsfeld Pflege und die damit einhergehende Sicherstellung von Pflegequalität und Patient*innensicherheit ist eine hochpolitische Herausforderung auf allen föderalen Ebenen. „Die Pflege“ wird in den kommenden Jahren wachsen und sich verändern. Schon heute sind Veränderungen in den differenzierten Versorgungsanforderungen offensichtlich. Auch der Wissenschafts-, Versorgungs- und Arbeitsbereich Pflege steht vor innovativen Herausforderungen, u.a. der Digitalisierung. Eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe ist aber vor allem die Stärkung der professionellen Pflege, durch die Sicherung der Fachkräftebasis in der Pflege.

Verantwortung für die Bewältigung dieser zentralen gesellschaftspolitischen Herausforderung tragen wir alle - in teils sehr unterschiedlichen Akteur*innenrollen mit zumeist durchaus verschiedenen Interessen: als Arbeitgeber*innen, als Gewerkschaften, als Berufsverbände, als Sozial- und Wohlfahrtsverbände, als Kassen und staatliche föderale Ebenen (Kostenträger*innen), als Leistungserbringer*innen oder als betroffene Person und Familie – und nicht zuletzt als Politik bzw. einzelne Politiker*in.

Der Pflegeberuf hat Zukunft: attraktiv - durchlässig - modern - qualitätsgesichert

Um über den aktuellen Stand der politischen Beratungen zur Pflegeberufereform zu informieren, habe ich am 30. Mai 2017 die Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Der Pflegeberuf hat Zukunft: attraktiv - durchlässig - modern - qualitätsgesichert“ organisiert. Ich bedanke mich herzlich, dass wir erneut in der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin-Tempelhof tagen durften. Das zahlreiche Publikum war wie immer bunt. Die einzelnen Personen kamen aus Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, von staatlichen, gemeinnützigen und privaten Schulen für Gesundheitsberufe, von der Initiative Pflegekammer sowie von Gewerkschaften und Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, von Krankenkassen und Pflegeinitiativen wie z.B. „Pflege in Bewegung“, dem MdK, vom Deutschen Frauenrat und von Hochschulen. Es fehlten auch nicht die sozialdemokratischen Genoss*innen und Journalist*innen.

Als Referent*innen waren dabei meine Kollegin im Gesundheitsausschuss und zuständige Berichterstatterin für Gesundheitsberufe der SPD-Bundestagsfraktion, Bettina Müller. Sie ist von Beruf gelernte Krankenschwester und Anwältin. Bettina Müller ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und vertritt den in Hessen liegenden Wahlkreis Main-Kinzig/Wetterau II/Schotten.

Weitere Impulsgeber*innen und aktive Gesprächspartner*innen waren Franziska Rahmel, Christine Vogler und Rainer Karius. Franziska Rahmel ist seit dem 1. November 2016 die Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) Nordost. Im DBfK ist Frau Rahmel als Beirätin für die Registrierungsstelle beruflich Pflegender schon seit Jahren aktiv. Kennengelernt haben wir uns in der Tertianum-Residenz in Schöneberg, dessen Direktorin sie war. Langjährig kenne ich auch Christine Vogler, die Vorsitzende des Landespflegerates Berlin-Brandenburg, der Landesarbeitsgemeinschaft der Pflegeberufsverbände und Pflegeorganisationen in den Ländern Berlin und Brandenburg. Frau Vogler leitet die Gesundheits- und Krankenpflegeschule der Wannsee Schule e.V., an der verschiedene Gesundheitsberufe ausgebildet werden. Christine Vogler ist ebenso wie Rainer Karius, Leiter der Schule für Gesundheitsberufe am St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof, Mitglied des Vorstandes des Berliner Landesverbandes BLGS, Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe, dem 32 Mitgliedorganisationen angehören. Am St. Joseph erlernen derzeit 150 junge Menschen einen Pflegeberuf.

Sie können den Verlauf und die Diskussion der Veranstaltung per Facebook-Live-Mitschnitt nachverfolgen: Teil I und Teil II.

Aufwertung bezahlter und unbezahlter Sorgearbeit

Als Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für die Soziale Pflegeversicherung bin ich häufig mit der Herausforderung der Aufwertung sozialer und gesundheitlicher Berufe befasst. Hier einen Wandel herbeizuführen ist gesellschaftspolitisch zwingend erforderlich:

  • zum einen um bestehende Ungerechtigkeiten bei der materiellen und immateriellen Bewertung von beruflichen Kompetenzen in den sorgenden Berufen zum Verschwinden zu bringen,
  • zum anderen um den politischen, Frauen diskriminierenden Kontext der bezahlten und unbezahlten Sorgearbeit aufzuzeigen. In beiden Sektoren leisten überwiegend Frauen aufgrund traditioneller Rollenbilder und strukturell falscher Anreize die Arbeit.

In meiner einführenden Rede habe ich auf zentrale Aussagen des Gutachtens für den Zweiten Gleichstellungsbericht „Erwerbs- und Sorgearbeit neu gestalten“ des BMFSFJ verwiesen. Roter Faden dieses Gutachtens ist, dass Erwerbs- und Sorgearbeit, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Erwerbsarbeit, Pflege, Kinderbetreuung und Hausarbeit zusammen gedacht werden müssen, wenn Gleichstellung erreicht werden soll. 

Noch haben wir das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern nicht erreicht. Frauen leisten täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Tätigkeit für andere als Männer: Mit der Erziehung von Kindern, mit der Pflege von Angehörigen, mit Ehrenämtern und Hausarbeit. Hierfür wurde eine neue Kennzahl entwickelt – der Gender Care Gap, der derzeit bei 52,4 Prozent liegt. Bisher bekannt sind der Gender Pay Gap (Lohn-Lücke) in Höhe von 21 Prozent und der Gender Pension Gap (Renten-Lücke) in Höhe von über 50 Prozent. Frauen erhalten pro Stunde und auch über den Lebensverlauf hinweg weniger Einkommen. Diese Lohn- und Sorge-Lücke macht die ungleichen Verwirklichungschancen von Frauen und Männern deutlich. Im Feld der Pflege sind davon insbesondere die Altenpfleger*innen betroffen.

Es bleibt also viel zu tun: Der Gender Care Gap zeigt, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass die Care-Arbeit nicht zum großen Teil allein von Frauen, sondern in allen Beziehungen partnerschaftlich erbracht werden soll. Die partnerschaftliche gleichberechtigt verteilte Erziehung, Betreuung und Pflege von Kindern und Pflegebedürftigen wird angestrebt. Nur der sozialdemokratische Politikwille des Ausbaus einer ganztägigen Bildungs- und Betreuungs-Infrastruktur von der Kita bis zum Studium oder die neue Vision von der Familienarbeitszeit mit dem Familiengeld, von der Kinderbetreuung bis zur Pflegetagesstätten führt zum Abbau dieser Ungleichheiten. Alle Menschen sollen jederzeit und unabhängig von ihrem Geschlecht die Möglichkeit haben, private Sorgearbeit zusammen mit Erwerbsarbeit zu leben.

SAHGE-Berufe zu Lebensberufen aufwerten

Vor allem die Berufe, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten - wie in der Pflege und im sozialen Bereich - werden zu gering bezahlt. Professionelle Sorgearbeit muss aufgewertet, besser anerkannt und entlohnt werden. Sorgearbeit findet in unterschiedlichen Berufen statt. Um sie auch begrifflich sichtbar zu machen, wurde die Abkürzung „SAHGE“ entwickelt:

Zu den SAHGE-Berufen gehören

  • SA: Soziale Arbeit
  • H: Haushaltsnahe Dienstleistungen
  • G: Gesundheit, Pflege
  • E: Erziehung

Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch sind diese von hoher Bedeutung, umfassen die SAHGE-Berufe doch aktuell einen Arbeitsmarktanteil von rund 18 Prozent und 80 Prozent der hier Beschäftigten sind weiblich. Charakteristisch für SAHGE-Berufe ist, dass die Anbieterstrukturen als auch die Arbeitsbedingungen und Einkommen innerhalb eines Berufsfeldes sehr unterschiedlich sind. Sie gehen oft einher mit prekären Beschäftigungsverhältnissen mit Niedriglohn, ungewollter Teilzeit, starken gesundheitlichen Belastungen und fehlenden Um- und Aufstiegsmöglichkeiten.

Natürlich fallen uns sofort Arbeitsbedingungen im breiten Feld der Pflege ein. Ein Faktor zur Aufwertung ist die Reform der Ausbildung der Pflegeberufe. Diese gilt es zügig zum Abschluss zu bringen. Voraussichtlich wird die abschließende 2./3. Lesung am 22. Juni 2017 stattfinden.

Das Pflegeberufereformgesetz - Zukunftschancen für alle

Bettina Müller erinnerte an den Entstehungsprozess des Gesetzes (vgl. unten), insbesondere daran, dass die SPD schon in vergangenen Legislaturen für Reformen in den Pflegeberufen gekämpft hat. Mit der 2003 erfolgten Ausbildungsreform der Altenpflege und der Gesundheits- und Krankenpflege entstand eine „kleine Generalistik“. Wir Sozialdemokrat*innen woll(t)en mit dieser Ausbildungsreform die Generalistik sprich ein neues Berufsfeld Pflege entwickeln, welches den geänderten Versorgungsstrukturen Rechnung trägt. Es gilt Pflege für die Zukunft fit zu machen. Leider haben starke Lobbygruppen massiven Einfluss ausgeübt, dazu zählen insbesondere die Arbeitgeber*innen aus dem Bereich der Altenpflege (AP) sowie Verbände der Kinderkrankenpflege (KiKra). Die CDU/CSU ist deshalb eingeknickt. Auch ambulante Pflegedienste äußerten Bedenken.

Es besteht politische Einstimmigkeit zwischen den Befürworter*innen der Generalistik, dass wenn es zum „AUS“ für das Pflegeberufereformgesetz kommt, das Thema Reform der Pflegeausbildung in den nächsten Jahren bzw. Legislaturen nicht mehr „angefasst“ wird, egal welche Parteien regieren. Dann hätten wir noch weitere zahlreiche verschwendete Jahre. Der nun zur Debatte stehende politische Kompromiss macht niemanden glücklich. Zumindest wird die Generalistik aber auf den Weg gebracht, auch wenn dieses nicht so geschieht, wie wir Sozialdemokrat*innen dieses über Jahre hinweg versucht haben durchzusetzen.

Warum treten wir Sozialdemokrat*innen für die Generalistik, für eine Pflegeausbildung ein, die Auszubildende zu umfassenden Kompetenzen befähigt?

  • Es gibt immer häufiger ein zunehmendes Zusammenwachsen der pflegerischen Versorgungssettings: zunehmend befinden sich geriatrische Patient*innen auf chirurgischen Stationen und umgekehrt, leiden hochbetagte Menschen auch in den Pflegeeinrichtungen an multimorbiden Erscheinungen, sind häufig auch noch dementiell erkrankte Menschen in Kliniken und Pflegeheimen, deshalb brauchen wir Pflegende mit umfassenden Kompetenzen.
  • Wir eine europäische Anerkennung aller pflegerischen Berufsabschlüsse anstreben.
  • Wir die horizontale und vertikale Durchlässigkeit des Systems stärken wollen - von der Pflegehelfer*in zur Akademiker*in mit Bachelor-Abschluss.
  • Wir wahrnehmen, dass in anderen Branchen stetig neue Berufsbilder kreiert werden, um diese zu modernisieren und den Bedarfen anzupassen - nirgendwo wird so auf alte „Muster“ bzw. Berufsbilder beharrt, wie in der Pflege.
  • Wir davon überzeugt sind, dass die Fachkräfte in der Pflege über Kompetenzen verfügen müssen, um Pflegeprozesse zu steuern und um interdisziplinär auf Augenhöhe im Interesse der Pflegebedürftigen zu kooperieren.

Die Änderungsanträge für das neue Pflegeberufegesetz sehen vor, dass alle Auszubildenden in den ersten zwei Jahren „generalistisch“ ausgebildet werden. Das dritte Jahr erfolgt in der Krankenpflege weiterhin generalistisch. Im zweiten Jahr können aber für das dritte Jahr auch die Spezialisierungen Altenpflege oder Kinderkrankenpflege gewählt werden. Mit den letztgenannten Schwerpunkten ist kein Pflegen über alle Versorgungssettings möglich, keine Durchlässigkeit gegeben. Die Ausbildungsspezialisierungen Altenpflege und Kinderkrankenpflege machen Beschäftigungen auch nur in diesen Bereichen möglich. Die Entscheidung über die Ausrichtung des 3. Jahres treffen die Auszubildenden selbst.

Nach zwei Jahren erfolgt eine Wissensabfrage – im Gesetz irritierenderweise Zwischenprüfung genannt. Diese soll insbesondere denen dienen, die glauben, dass sie die Berufsausbildung im 3. Jahr nicht schaffen. Sie würden ohne Abschluss abgehen. Die zweijährige Teilnahme an der Ausbildung ist nicht gleichzusetzen mit einer von Seiten der Länder zu verantwortenden Qualifikation als Pflegeassistent*in.

Auch wir Sozialdemokrat*innen begrüßen einige der Aspekte dieses Gesetzes:

  • die nun mögliche strukturierte Akademisierung
  • die Benennung von Vorbehaltstätigkeiten und dem damit einhergehende wissenschaftlich fundierten Qualitäts- und Kompetenzzuwachs
  • das erwartbar steigende Entgelt insbesondere für die generalistisch Ausgebildeten
  • die Sicherung der Praxisanleiter*innen.

Voraussichtlich wird das Gesetz zum 1. Januar 2020 in Kraft treten. Derzeitig bestehende Schulen haben für 10 Jahre Bestandschutz.

Wir begrüßen, dass sich der Deutsche Bundestag auch in den kommenden Legislaturen mit der Thematik beschäftigen muss, so in der kommenden Legislatur u.a. mit der von den Ministerien noch vorzulegenden Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, und in der übernächsten Legislatur mit der Evaluation hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens der Auszubildenden für die generalistische Ausbildung oder für die AP bzw. KiKra-Ausbildung. Fazit: Bei allen Mängeln dieses Gesetzes ist es dennoch besser, dieses zu verabschieden als sich dem Stillstand hinzugeben.

„Wir müssen alle Punkte platzieren, die wichtig sind, um Pflege aufzuwerten“

Auch Franziska Rahmel betont die Notwendigkeit der Aufwertung der Pflegeberufe, das Pflegeberufereformgesetz sei nur eine Facette dazu. Fakt sei, dass der pflegerische Alltag dadurch geprägt sei, dass zunehmend mehr Patient*innen / Bewohner*innen auf eine Fachkraft kämen und die einzelnen Pflegeempfangenden aufgrund ihrer Multimorbidität immer pflegeaufwendiger würden.  

Rahmel fordert dazu auf, alle Punkte zu platzieren, die zur Aufwertung der Pflege gehören. Dieses sind beispielsweise

  1. der Bedarf an mehr Fachpersonal
  2. neue Rollen, Potentiale und Möglichkeiten für professionell Pflegende
  3. und eine stärkere Selbstbestimmung der Pflege, u.a. durch die Pflegekammern.

Zu Erstens: Wir brauchen überall mehr Personal. Pflegesensitive Bereiche sind im Grunde längst alle Bereiche, in denen gepflegt wird. Einen Fachkräftemangel gebe es überall. Angesichts der zahlreich stattfindenden „Migration“ von Altenpflegepersonal müssen Verschiebebahnhöfe, muss ein kurzfristiges „Löcher stopfen“ vermieden werden. Es bedarf einer stärkeren Ausbildung von Menschen in Assistenzberufe.

Zu Zweitens: Die professionelle Pflege braucht neue Rollen. Fakt sei, die professionell Pflegenden haben mehr Potentiale und Möglichkeiten als sie selber denken.

So findet in Brandenburg derzeit das Modellprojekt „school nurse“ statt: Zehn Pflegefachkräfte wurden zu „Schulgesundheitsfachkräfte“ qualifiziert und kümmern sich nun an zwanzig Modellschulen ab Februar 2017 bis Oktober 2018 um rund 7.180 Schüler*innen. Sie kooperieren dabei mit dem Kinder- und Jugendgesundheitsdienst der Gesundheitsämter in 6 Landkreisen und 3 kreisfreien Städten. Vorrangiges Ziel ist die fachliche Zusammenarbeit bezogen auf schulrelevante Gesundheitsbedarfe der Kinder: Unterstützung in der Betreuung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit schulrelevanten Gesundheitsstörungen, chronischen körperlichen und psychischen Erkrankungen bzw. Behinderungen, Mitwirkung bei der nachgehenden Gesundheitsfürsorge, Unterstützung in der Umsetzung bedarfsbezogener Maßnahmen in der Prävention und Gesundheitsförderung, Unterstützung der KJGDs bei der Beratung der Schule zu Maßnahmen des Gesundheitsschutzes. Projektträger ist die Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Potsdam.

Weiterhin verwies Franziska Rahmel auch auf § 63 (3c) SGB V. Hierbei geht es um die noch immer ausstehenden Klärungen zur Delegation und Substitution der Übertragung von Heilkunde auf Pflegefachkräfte.

Zu Drittens: Die Pflege hat sich in den letzten Jahren bereits stark professionalisiert und sie muss diesen Prozess weiter voranzutreiben. Dazu gehören die in anderen Ländern (z.B. in Großbritannien, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal, USA, Kanada und Australien) längst erfolgreich agierenden Pflegekammern. Pflege braucht eine starke Stimme, Pflege darf nicht länger fremdbestimmt bleiben. Sie muss sich auch gegenüber den anderen verkammerten Berufsgruppen im Gesundheitswesen emanzipieren. Nur eine unabhängige, institutionalisierte Selbstverwaltung, die mit allen Rechten und Pflichten einer eigenverantwortlichen Berufskammer ausgestattet ist, kann die Herausforderungen der Zukunft meistern. In einer Pflegekammer sind alle Pflegefachkräfte vertreten. So können die Interessen der Berufsgruppe gebündelt und kommuniziert werden. Nur die Pflege selbst kann mit ihrer Fachkompetenz eigene berufliche Inhalte und Handlungsfelder in einer Berufsordnung definieren oder Standards für eine kontinuierliche Weiterbildung festlegen.  

„Die Pflegeberufereform führt zu einem Bildungschaos in der Pflege“

Scharf kritisiert Christine Vogler aus pflegeberuflicher Bildungssicht den politischen Kompromiss zum Pflegeberufereformgesetz. Der „Alternativvorschlag“ sei berufspolitisch rückständig und pädagogisch unsinnig. Statt die Pflegeausbildung an den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen auszurichten und bedarfsgerecht weiterzuentwickeln, werde die traditionelle Dreiteilung des Pflegeberufs fortgeführt, obwohl dies europäische Mindeststandards unterlaufe. Die angestrebte „Zwischenprüfung“ nach 20 Monaten erachteten aus den Schulen kommende Bildungsexpert*innen als „absolut unsinnig“. Es würden Chancen vertan, die die angemessene pflegerische Versorgung der Bevölkerung immer stärker gefährden. Die halbherzige Einführung eines teil-generalistischen Ausbildungswegs, die Vertiefung in Generalistik und Trennung nach zwei Jahren Ausbildung in AP und Kikra verunsichere Lehrende und Lernende und führe in eine Sackgasse. Die Sackgasse mache sich u.a. in der geringeren Selbständigkeit, in deutlich weniger Vorbehaltstätigkeiten als bei generalistischer Ausbildung und bei der Beschränkung der Arbeitsorte deutlich. Ein großes Problem sei auch das Fehlen der Durchlässigkeit. Kritisiert wird auch, dass den Schulen bei völlig unsicherem Nutzen ein erheblicher Mehraufwand zur Umsetzung eines aus fachlicher und pädagogischer Sicht dilettantischen Konzepts aufgebürdet wird.

Die Beibehaltung der Formulierungen zu den vorbehaltenen Tätigkeiten und die reguläre Etablierung hochschulischer Bildungswege werden begrüßt. Oberstes Ziel einer qualitätsorientierten Pflegeausbildung müsse eine drei Jahre dauernde gemeinsame Grundausbildung für Pflegefachkräfte sein. Die generalistische Ausrichtung spiegle sich in den NANDA Pflegediagnosen wider, sie sei auch die Voraussetzung, sich in einer standardisierten Pflegefachsprache kompetent zu bewegen.

Pflegende seien „Diagnostiker“. Dort wo Pflegende keine Pflegediagnosen verwenden, existiere die Unsichtbarkeit der Rolle der Pflegenden in Gesundheitsinstitutionen weiterhin. „Der diagnostische Prozess der Pflege unterscheidet sich vom diagnostischen Prozess der Medizin insofern, dass es möglich ist, die Person oder Personen, die im Mittelpunkt der pflegerischen Behandlung sehen, als Partner der Pflegenden eng in das Assessment und den diagnostischen Prozess einbezogen werden sollten. Dies ist darin begründet, dass der Fokus der pflegerischen Behandlung mit Erreichen des Wohlbefindens und Selbstverwirklichung einer Person liegt. Die Erfahrungen und Reaktionen von Menschen auf Gesundheitsprobleme und Lebensprozesse haben für sie spezielle Bedeutungen und diese werden mit der Hilfe von Pflegenden bestimmt. Es wird ebenso angenommen, … dass Menschen sich selbst durch ihr eigenes Verhalten gesund machen. Um die Gesundheit betreffende Verhaltensänderungen zu erreichen, bestimmen Pflegende und Menschen zusammen die genauesten Diagnosen, die das Potenzial haben, die pflegerische Behandlung zum Erreichen von positiven Gesundheitsoutcomes zu leiten.“ (NANDA International, Pflegediagnosen: Definitionen & Klassifikationen, 2009 -2011).

„Was kommt auf uns als Schulen zu?“

Was kommt auf seine und die anderen Schulen zu? Diese Frage beschäftigte Rainer Karius, Schulleiter der Schule für Gesundheitsberufe am Tempelhofer St. Joseph Krankenhaus. Welche Kompetenzen und welche Definitionen sollten denn nun verwendet werden. Er sieht die Gefahr, dass in der Bildungslandschaft Pflege jede* unter Begrifflichkeiten etwas anderes verstehe. Er schließt sich der Kritikpunkte seiner Vorrednerin an und benennt selber noch folgende Probleme:

  • Wie und wo werden die Kooperationspartner*innen für die praktische Ausbildung von den Trägern, die nun die Gesamtverantwortung tragen, „gefunden“?
  • Wie erfolgt nach sechs Jahren die Evaluation? Wer zählt, wie wird gezählt, wer zählt mit und an welchen Orten?

Der vorgelegte „Alternativvorschlag“ werde zu einer De-Strukturiertheit der Pflegeausbildung. Die berufliche Beratung der Bewerber*innen für eine Ausbildung werde schwieriger werden.

Anregungen aus der Diskussion

Die rege und intensive Diskussion machte deutlich, dass eine umfassende Generalistik stark befürwortet wird und sich alle weitere Informationen wünschen. Es wird verstanden, dass wir SPD-Politiker*innen auch einen ungeliebten Kompromiss unsere Stimme am 22. Juni geben werden.

Als Anregungen wird verwiesen auf folgende noch zu prüfende Punkte:

  1. Können eine vorgeschaltete Assistenzausbildung und nachgeschaltete Fort- und Weiterbildungsangebote in Form von bundeseinheitlichen Regelungen das „Bildungschaos“ in der Pflege regulieren?
  2. Erfolgt bei der nach sechs Jahren durchzuführenden Evaluation nicht eine Verzerrung, wenn nicht alle Schulen erhoben werden, wenn ein Großteil nicht berücksichtigt werde?
  3. Unklar sei auch die Form der (Aus-)Bildungsberatung. Wir können die künftigen Auszubildenden sich objektiv eine Meinung darüber bilden, welche Ausbildung für sie die „sinnvollere“ ist? Immerhin sei ja zu erwarten, dass der Ausbildungsträger Einfluss nehmen wird.
  4. Der von Christine Vogler erwähnte Hinweis auf die NANDA Pflegediagnosen (PD) sei absolut richtig. Allerdings müsse beachtet werden, dass es auch spezielle PD gibt, welche für die Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpflege entwickelt wurden, wie bspw. die Eltern-Kind-Beziehung. Darüber hinaus würden noch nicht alle Einrichtungen und Häuser mit Pflegediagnosen arbeiten. In der praktischen Pflege seien NANDA Pflegediagnosen häufig noch nicht angekommen und es würden auch nicht alle Schulen das Arbeiten mit Pflegediagnosen ausbilden.
  5. Notwendig seien zentrale Prüfverfahren, die flächendeckend die Qualität in der Ausbildung durch einheitliche Bewertungsmaßstäbe, Erwartungshorizonte, einheitliche Prüfungen sichern helfen. Diese sollten wenigstens landesweit, noch besser bundesweit, zentralisiert durchgeführt werden. Aktuell gäbe es große Unterschiede in den Ausbildungs- und Prüfungsniveaus, noch einmal erschwert durch die aktuelle Dreiteilung der Pflegeberufe.
  6. Zu einer Veränderung von Pflege führen auch die Digitalisierung und der verstärkte Einzug innovativer Techniken. Hierauf hat Ausbildung zu reagieren. Bei deren Nutzung für die Pflegesettings stehen wir erst am Anfang, seien es Sensor-Shirts oder Sensormatten usw., sei es die Abgabe von Medikamenten in Pflegeeinrichtungen mit Perfusoren und oder Infusiomaten.

Dank an die SPD für ihren Einsatz für die generalistische Ausbildung

In meinem Schlusswort habe ich erneut eindringlich darauf verwiesen, dass sich professionell Pflegende organisieren sollen, in Berufsverbänden, in Gewerkschaften, in Pflegekammern. Pflege braucht eine selbstbestimmte eigene Lobby. Die hier Beschäftigten müssten auch einen politischen Beitrag zur Ermöglichung der Aufwertung der SAHGE-Berufe leisten – beispielsweise durch ihre Wahlentscheidungen. Für sich selbst eintreten. Dritte unterstützen, damit die Gehalts- und Versorgungslücke im Alter geschlossen werden, erfordert politische Positionierung.

Ich bin dankbar, dass die Institutionen und Organisationen in der Pflege sehr genau wissen, dass die Ablehnung des Pflegeberufereformgesetzes durch die CDU/CSU-Fraktion erfolgt ist. Es stimmt: Wir Sozialdemokrat*innen setzen uns sehr für die generalistische Ausbildung ein.

Hintergrund zum Pflegeberufegesetz

Seit Jahrzehnten wird über die Neustrukturierung der Ausbildung im Heilbereich Pflege diskutiert, wurden über die letzten Jahre zahlreiche Modellprogramme durchgeführt und evaluiert. Im Schlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung zum Modellvorhaben „Pflegeausbildung in Bewegung“ werden die Ergebnisse des Modellvorhabens, in dem die Zusammenführung der Ausbildungen der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege in acht umfassend evaluierten Modellprojekten erprobt wurde, präsentiert. Die wissenschaftliche Begleitung gibt die Empfehlung, „die zukünftige Pflegeausbildung als eine vollständig „integrierte Pflegeausbildung mit generalistischer Ausrichtung“ aus den bisherigen drei Berufen der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu regeln. Dies sollte in einem bundeseinheitlichen Pflegeausbildungsgesetz geregelt werden, das eine dreijährige Ausbildung mit einem einzigen Berufsabschluss festlegt. In der praktischen Ausbildung sollte eine Vertiefung in einem Arbeitsfeld erfolgen, das sich die Schülerin bzw. der Schüler als Spezialgebiet gewählt hat. In diesem Bereich sollte auch die praktische Prüfung abgelegt werden. Die gesetzliche Neuregelung der Ausbildung muss flankiert werden von einer Reform der Finanzierungsstrukturen, da diese in ihrer jetzigen Form einer Integration der Pflegeausbildungen entgegenstehen“.

Auf dieser Basis wurde die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Weiterentwicklung der Pflegeberufe ins Leben gerufen, die am 1.3.2012 „Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes“ vorlegte. In einer weiteren Vereinbarung wurden Finanzierungsschlüssel festgelegt.

In ihrem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ vereinbarten CDU/CSU und SPD 2013: „Der Wechsel zwischen den Berufen in der Pflege muss erleichtert werden. Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege etablieren.

Auf dieser Basis wurde von den federführenden Ministerien Gesundheit (BMG) und Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der „Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe und am 13. Januar 2016 vom Bundeskabinett beschlossen. Intendiert war und ist, dass die neuen Pflegefachkräfte

  • haben Fähigkeiten in allen Pflegebereichen
  • können sich spezialisieren
  • lernen von erfahrenen Pflegekräften
  • müssen kein Schulgeld bezahlen und erhalten Lohn
  • können ein wissenschaftliches Pflegestudium anschließen.

Die mit der neuen generalistischen Pflegeausbildung erreichten Kompetenzen reagieren damit auf die Veränderungen in den pflegerischen Versorgungsstrukturen und damit an das Pflegepersonal. In den Krankenhäusern steigt der Anteil älterer, demenziell erkrankter Patient*innen, in den Pflegeheimen nimmt der medizinische Behandlungsbedarf der Bewohner*innen zu. Der ambulante Pflegebereich wird immer wichtiger und ist in besonderer Weise auf breit qualifizierte und flexibel einsetzbare Pflegekräfte angewiesen. Die neue Ausbildung soll auf einen Einsatz in allen Arbeitsfeldern der Pflege vorbereiten, einen Wechsel zwischen den einzelnen Pflegebereichen erleichtern und den Pflegekräften selbst damit zugleich wohnortnahe Beschäftigungsmöglichkeiten und zusätzliche Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen.

Der „Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG)“ wurde dem Bundestag zugeleitet. Es handelt sich um ein Gesetz, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Es hat zum Inhalt:

  • die Reform und Zusammenführung der bisherigen drei Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu einer neuen und generalistisch ausgerichteten beruflichen Pflegeausbildung mit einem einheitlichen Berufsabschluss,
  • die Berücksichtigung der Vorgaben der novellierten EU-Berufsanerkennungsrichtlinie,
  • die Erleichterung des Wechsels zwischen den einzelnen Pflegebereichen,
  • zusätzliche Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten,
  • die Neuordnung der Finanzierungsgrundlagen,
  • einen jeweiligen Landesausbildungsfonds zur Sicherstellung einer wohnortnahen qualitätsgesicherten Ausbildung,
  • die Prüfung der Anpassung des Prozentsatzes der Direktzahlung der sozialen Pflegeversicherung,
  • die Verpflichtung zur Berichterstattung alle drei Jahre,
  • die Schaffung einer bundesgesetzlichen Grundlage für eine primärqualifizierende hochschulische Pflegeausbildung ergänzend zur fachberuflichen Pflegeausbildung,
  • die Einpassung in ein gestuftes und transparentes Fort- und Weiterbildungssystem,
  • die Gründung einer Fachkommission für die Erarbeitung von Rahmenlehr- und -ausbildungsplänen,
  • die kostenfreie Ausbildung für Auszubildende in allen Bundesländern,
  • die Einführung einer Ausbildungsvergütung.

Mit diesem neuen Pflegeberuferefomgesetz müssen Folgeänderungen in 7 Gesetzen und 6 Rechtsverordnungen erfolgen. Mit dem Datum des Inkrafttretens tritt das augenblicklich gültige Altenpflegegesetz und Krankenpflegegesetz außer Kraft.

Die 1. Lesung des Pflegeberufereformgesetzes fand am 18. März 2016 und die gemeinsame Öffentliche Anhörung der beiden Ausschüsse Gesundheit und Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 30. Mai 2016 statt.

CDU/CSU hielten sich dann aber nicht mehr an den Koalitionsvertrag und an die erarbeiteten Zusagen - zum Entsetzen vieler Berufsverbände, der beiden SPD- und CDU-geführten Ministerien und vor allem auch von uns SPD-Politiker*innen. Auf Seiten der CDU/CSU hat sich meiner Meinung nach bei vielen ihrer Politiker*innen „Masse statt Klasse“ und eindeutig der Verwertungsgedanke der Auszubildenden als Arbeitskraft durchgesetzt. Persönlich halte ich diesen Ansatz zur Behebung des bereits jetzt zu beobachtenden Fachkräftenotstandes für keine gute Richtung. Der Gesetzentwurf wurde seitdem kontrovers diskutiert, blieb über ein Jahr einfach liegen, konnte von uns Sozialdemokrat*innen in den Ausschüssen nicht weiterbehandelt werden.

Das hat natürlich auch viele Fachleute irritiert, die sich von der neuen Gesetzgebung eine bessere Kompetenzentwicklung der Pflegefachkräfte versprochen haben.

Am 6. April 2017 einigten sich die Spitzen der CDU/CSU- und SPD-Bundestagsfraktion hinsichtlich des vorliegenden fachlichen Kompromiss auf einen politischen Kompromiss: Die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflege wird durch eine generalistische Pflegeausbildung ersetzt. In der Alten- und Kinderkrankenpflege wird nach einer zweijährigen generalistischen Grundausbildung übergangsweise eine Wahlmöglichkeit zwischen separaten oder generalistischen Abschlüssen eingeführt. Ergibt eine Evaluation nach sechs Jahren, dass sich mehr als 50 Prozent der Auszubildenden für den generalistischen Abschluss entscheiden, werden die separaten Abschlüsse abgeschafft. Nach dem zweiten Ausbildungsjahr wird es die Möglichkeit geben, den Abschluss zur Pflegeassistenz zu absolvieren. Außerdem gibt es eine hochschulische Ausbildung zur Pflegefachfrau oder -mann. Die Finanzierung erfolgt unterschiedslos über einen gemeinsamen Ausbildungsfonds. So der Stand bei der Durchführung der Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Der Pflegeberuf hat Zukunft attraktiv – durchlässig – modern – qualitätsgesichert“.

AnhangGröße
Einführungsreferat Mechthild Rawert.pdf314.16 KB
berblick Pflegeberufereform BGLS.pdf234.39 KB