Nun ist Schluss mit der ausschließlichen Angabe von Straße und Hausnummer, um zu beschreiben, wo mein Bundestagsbüro liegt. Jakob Kaiser, Paul Löbe, Marie-Elisabeth Lüders sind bedeutende Politiker*innen, die bereits Namensgeber*innen für drei zum Deutschen Bundestag gehörende Gebäude sind.
Drei weitere Gebäude, die zum Bundestag gehören, waren bisher noch ohne Namen. Sie wurden einfach nach Straßen und Hausnummer benannt, so z.B. Unter den Linden 50 oder Unter den Linden 71. Das Gebäude Unter den Linden 50 war einst das Ministerium für Außenhandel der DDR, während Unter den Linden 71 das einstige Haus des Ministeriums für Volksbildung war. Ein weiterer Bürokomplex, Wilhelmstraße 65, der auch weiterhin ohne Namen bleibt, beherbergte die einstige Außenstelle des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. In den neunziger Jahren saß in diesem Haus nicht nur die Bundestagsverwaltung, sondern auch die Botschaft Afghanistans. Im Augenblick wird es jedoch als Abgeordneten Haus genutzt, um die anderen Parlamentsgebäude zu entlasten und ist über einen unterirdischen Tunnel mit dem gegenüberliegenden Jakob-Kaiser-Haus verbunden.
Otto Wels: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“
Am 84. Jahrestag der legendären Rede von Otto Wels in der Krolloper gegen das von den Nationalsozialisten unter der Führung Hitlers entworfene Ermächtigungsgesetz, ist das zum Deutschen Bundestag gehörende Gebäude Unter den Linden 50 zum Otto-Wels-Haus benannt worden. Hier befinden sich auch meine Büroräume.
Otto Wels gehört zu den bedeutendsten deutschen Politiker*innen der Geschichte. Gemeinsam mit dem späteren Reichskanzler Herrmann Müller war Wels nach dem Ersten Weltkrieg Parteivorsitzender der SPD. Doch die Rede, die ihn berühmt machte, hielt er in seiner Funktion als Fraktionsvorsitzender der SPD. Am 23. März 1933 waren insgesamt 538 Parlamentarier*innen dazu aufgerufen, über das Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten abzustimmen. 444 stimmten mit Ja, nur 94 mit Nein. Zuvor waren bereits etliche Abgeordnete sowie die gesamte Fraktion der KPD in sogenannte Schutzhaft genommen worden oder bereits ins Ausland geflüchtet. Die 94, die gegen dieses Gesetz, welches das Parlament entmachtete und das Ende der Demokratie besiegelte, stimmten, waren die Mitglieder der SPD-Fraktion, die sich noch in Freiheit befanden. Trotz der Gefahr für ihre Freiheit und ihr Leben, ganz nach dem wohl bekanntesten Satz Otto Wels‘ „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, hoben die SPD-Abgeordneten die Hand gegen das Gesetz. Dieser Satz aus seiner mutigen und beeindruckenden Rede, in der er sich zur Sozialdemokratie, zu Menschlichkeit und Gerechtigkeit bekannte, ziert noch heute den Eingang zum Fraktionsaal der SPD, zusammen mit den Namen der 94 Abgeordneten, die damals gegen das Gesetz stimmten, das den Weg zu zwölf Jahren Schreckensherrschaft, Tyrannei und Krieg ebnete, der ca. 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Bis heute haben wir den Auftrag Demokratie und Freiheit vor jenen zu schützen, die sie untergraben und zerstören wollen.
Zu Ehren von Otto Wels hat die SPD Bundestagsfraktion im März 2017 außerdem eine Broschüre „Otto Wels – Mut und Verpflichtung“ herausgegeben.
Matthias-Erzberger-Haus
Gemeinsam mit dem neuen Otto-Wels-Haus wurde das Gebäude Unter den Linden 71 am 23. März zum Matthias-Erzberger-Haus. In diesem Haus residierte 1961 das Ministerium für Volksbildung und nach dem Fall der Mauer gehörte es zu einem der ersten Gebäude im Umfeld des Brandenburger Tors, das der Deutsche Bundestag sanieren ließ. Nun wurde es nach einem ehemaligen Politiker der Deutschen Zentrumspartei benannt, der nicht nur einer derjenigen war, der den Ersten Weltkrieg mit beendete, sondern auch noch das deutsche Steuersystem und Steuerrecht bis in die heutige Zeit hinein maßgeblich geprägt hat. Zwar trat Erzberger am Anfang des Ersten Weltkriegs für einen „Siegfrieden“ ein, änderte jedoch in dessen Verlauf seine Meinung und trat später vehement für einen „Verständigungsfrieden“ ein. Im Juli 1917 forderte er in einer Debatte im Reichstag Deutschland müsse auf Annexionen verzichten und reichte in diesem Sinne eine Friedensresolution ein, der wenige Tage danach mehrheitlich zugestimmt wurde. Ein Jahr später wurde Erzberger durch den damaligen Reichskanzler zum Staatssekretär ohne Geschäftsbereich ernannt und unterzeichnete als Leiter der Waffenstillstandskommission als Erster der vierköpfigen deutschen Delegation den Waffenstillstand von Compiègne, der die Kampfhandlungen endgültig beendete. Damit zog er den Hass der politischen Rechten auf sich. Am 26. August 1921 wurde er von zwei rechtsextremen Offizieren ermordet.
Seine als Erzbergersche Finanzreform von 1919/1920 bekannten Reformmaßnahmen gelten als das umfangreichste Reformwerk der deutschen Steuer- und Finanzgeschichte. Mit Hilfe 16 neuer Reichssteuergesetze sollte eine Zentralisierung der Finanzverwaltung sowie eine einheitliche Steuererhebung verwirklicht werden.