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Schmerz im Alter - eine Herausforderung in allen Versorgungsbereichen

Schmerz - geht uns alle an!

Etwa 17 % aller Deutschen sind von lang anhaltenden, chronischen Schmerzen betroffen - insgesamt also mehr als 12 Millionen Menschen deutschlandweit. Erhebungen zeigen, dass die Zahlen in der Gruppe der älteren und alten Menschen geradezu hier explosionsartig nach oben schnellen. 

Das Phänomen Schmerz wird in akut und chronisch eingeteilt und kann in Stärke, Intensität, Qualität und Dauer individuell sehr unterschiedlich sein. Egal ob akut oder chronisch - Fakt ist: Schmerz mindert in ganz erheblicher Weise die Lebensqualität der Betroffenen. Nur ca. 20% der Schmerzpatient*innen erhalten eine ausreichende Versorgung, obwohl eine adäquate Schmerztherapie unerlässlich ist. Ein geplantes und gut organisiertes Schmerzmanagement mit angemessener Schmerztherapie sollte grundsätzlich wesentlicher Bestandteil einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung sein. Angesichts des demographischen Wandels und der damit einhergehenden Zunahme von Krankheitsfällen muss der Prävention chronischer Schmerzen und dem Versorgungsnetzwerk deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden (vgl. Chronische Schmerzen im Alter und Chronischer Schmerz: Daten, Fakten, Hintergründe).

Im Rahmen des parlamentarischen Frühstücks unter dem Thema „Schmerz im Alter - eine Herausforderung in allen Versorgungsbereichen“ am 25. November 2016 diskutierten zahlreiche Wissenschaftler*innen, Verbandsvertreter*innen, viele Praktiker*innen mit den Politiker*innen. Ziel dieser Zusammenkunft war das Aufzeigen der aktuellen Versorgungssituation von betagten und hochbetagten Schmerzpatient*innen sowie die nachhaltige Sensibilisierung der Vertreter*innen der Politik und des Gesundheitswesens für diesen so wichtigen Zweig der Gesundheitsversorgung.

Eine entscheidende Frage: In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, was, wie, wann, durch wen politisch angestoßen werden muss und welche Akteur*innen zusammenwirken müssen, um zukünftig eine flächendeckende, wirklich angemessene und hochwertige Versorgung der Schmerzpatient*innen voranzutreiben und perspektivisch sicherzustellen. Debattiert wurde über die Probleme in Hinblick auf die Schmerzversorgung und die damit in Zusammenhang stehende ausbaufähige Qualitätssicherung in Kliniken, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sowie die Versorgung durch niedergelassene Ärzt*innen und Psychologische Psychotherapeut*innen.

Denn - eines ist sicher: Dass, was wir heute für die Schmerzpatient*innen leisten und erreichen können, ist am Ende die Gestaltung der eigenen Zukunft.

Aktuelle Zahlen und Trend

Laut den Referent*innen und Fachvertreter*innen sind deutschlandweit über 13 Mio. Schmerzpatient*innen nicht ausreichend versorgt. Besonders defizitär ist die Versorgung von betagten und hochbetagten Menschen: Ein erheblicher Teil von Schmerzpatient*innen geben an, mit der bisherigen Schmerztherapie unzufrieden zu sein, wobei in Pflegeheimen eine besonders hohe Unzufriedenheit auftritt.

Je älter und multimorbider die Patient*innen, desto unzureichender ist häufig die Versorgung. Das kann und darf nicht sein! 

Ein besonderes Problem für die Therapie und die Pflege stellen Patienten*innen dar, die Schmerz nicht mehr selbstständig angeben können, wobei von Demenz betroffenen Menschen hierbei eine besondere Bedeutung zukommt. Dies lässt sich damit begründen, dass Demenzerkrankte häufig nicht mehr wissen, was Schmerz ist, diesen nicht ausdrücken können, so dass Schmerzen bei diesen Patient*innen zum Teil nur noch über „Grimassieren“ erhoben werden können. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels wird diese Problematik und die damit in Zusammenhang stehende Zunahme von älteren und alten, multimorbiden und/ oder dementiell erkrankten Menschen perspektivisch immens an Bedeutung gewinnen. Vergleicht man bspw. die Altersverteilung innerhalb von Deutschland von 1999 mit der erwarteten im Jahr 2020, stellt man fest, dass der Anteil von Menschen über dem 65% um insgesamt 10% zunehmen wird (Publikation: Pflegebedürftige heute und in Zukunft).

Für den Bereich der Schmerztherapie bedeutet dies, dass auch hier eine Zunahme von Betroffenen zu erwarten ist (vgl. hierzu: Der alte Patient wird zum Normalfall - Dtsch Arztebl 2013; 110(21)).   

Aktuelle Versorgungslage - wo die Defizite liegen

Werden Patient*innen im ambulanten Bereich versorgt, so sind hier häufig die Hausärzt*innen Ansprechpartner*innen. In den niedergelassenen Praxen stellt die fehlende Fachexpertise der Ärzt*innen für den Bereich Schmerzmanagement und erfolgreicher Schmerztherapie oftmals das größte Problem dar. Damit Betroffene den Umgang mit Schmerz lernen können, bedarf es oft einer Behandlung bzw. Therapie bei und durch Schmerzpsychotherapeut*innen. Auch in diesem Bereich ist eine deutliche Unterversorgung erkennbar, da aktuell nur 220 Schmerzpsychotherapeut*innen zur Verfügung stehen, jedoch 1500 nötig wären. Im ambulanten Bereich bedarf es deutlich mehr Schmerzzentren und Schmerzpraxen, im stationären Bereich einer ausreichenden Anzahl an Kliniken, welche Schmerzdienst anbieten.

Im stationären, klinischen Bereich stellen akute (postoperative) Schmerzen ein großes Problem dar. Leider verfügen nur 50 Prozent aller Kliniken über einen Schmerzdienst, welcher explizit auf  Schmerzbehandlung und Schmerztherapie ausgerichtet ist. Akuter Schmerz, insbesondere nach Operationen, stellt einen Risikofaktor für Komplikationen, Folgeerkrankungen sowie chronische Schmerzen dar. Akuter Schmerz kann zu Komplikationen, wie postoperatives Delir, Thrombosen, Lungenentzündungen und Durchblutungsstörungen führen. Darüber hinaus kann daraus eine längere Rehabilitation, verbunden mit verlängerter Liegedauer oder eine anschließende Pflegebedürftigkeit resultieren.

Für die Betroffenen bedeutet dies Leid, einhergehend mit einer Verminderung der Lebensqualität, für das Gesundheitssystem immense Folgekosten.

Innerklinisch mangelt es oftmals nicht nur an einer adäquaten Schmerztherapie durch entsprechendes Fachpersonal, sondern an der kontinuierlichen Anwendung von Assessmentinstrumenten zur Erfassung von Schmerz (Schmerzskalen), einem kontinuierlichen Austausch und einer fachbereichsübergreifenden Zusammenarbeit.

Ein weiteres grundlegendes Problem ist die Finanzierung von Schmerztherapien in Kliniken. Schmerzbehandlungen seien zumeist breit und längerfristig angelegt, verursachen Kosten. Das Fallpauschalen-Finanzierungssystem hingegen ist auf kurze stationäre Behandlungszeiten ausgerichtet und berücksichtigt den Kostenfaktor der Schmerztherapie unzureichend. Es bedarf demnach einer besseren Finanzierung einer wirkungsvollen Schmerztherapie.

Um alle Patient*innen, Bewohner*innen, Pflegeempfänger*innen besser und zukünftig angemessen versorgen zu können, bedarf es Veränderungen. Politik und alle an der Gesundheitsversorgung beteiligten Akteur*innen müssen hierbei unterstützen, initiieren, vorantreiben und vor allem im Sinne der betroffenen Menschen zusammenarbeiten.

Eine angemessene Versorgung - was brauchen wir - gehen wir es an

Angesichts der Tatsache, dass über die Hälfte der älteren Menschen unter chronischen Schmerzen leiden, ist es dringend erforderlich, sich differenzierter mit dem Thema Schmerz im Alter auseinanderzusetzen. Die Referent*innen plädierten für ein strukturiertes, flächendeckendes Versorgungskonzept, welches alle Elemente umfasst und alle behandelnden Therapeut*innen vernetzt. Hierzu müssen Strukturen im bestehenden Gesundheitssystem verändert werden. Zudem müssten gesundheitspolitische und wirtschaftliche Reglementierungen aufgehoben werden, andere Honorarregelungen gelten. Die Vergütung der (speziellen) Schmerztherapie sei in den verschiedenen Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigung höchst unterschiedlich, eine einheitliche Regelung sei nötig.

Zur Sicherung der Fachexpertise soll die Einführung eines Moduls „Schmerzpsychotherapie“ zukünftig ausdrücklich Bestandteil Psychologischen Psychotherapeutenausbildung sein. Darüber hinaus sollten Mediziner*innen für den Bereich der Schmerztherapie zumindest bedarfsorientiert Fort- und Weiterbildungen für diesen Bereich absolvieren. Die Entwicklung und Einführung klarer Qualitätsindikatoren sowie der verbindliche Einsatz von entsprechenden Leitlinien muss das Anliegen aller sein.

Eines ist sicher: Wenn wir für die betroffenen Schmerzpatient*inneneine umfassende und angemessene Versorgung sichern, können wir langfristig Kosten reduzieren, die durch Komplikationen, Folgeerkrankungen, verlängerter Rehabilitation und längerer Liegedauer sowie häufig eintretender Pflegebedürftigkeit und (möglicher) ungewollter Immobilität.

Packen wir es gemeinsam an. Schaffen wir gemeinsam Bedingungen für eine gute und angemessene Versorgung aller Schmerzpatient*innen.