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PsychVVG: Vor der Verabschiedung des Gesetzes den Rat von vor Ort einholen

Seelische Erkrankungen werden heutzutage häufiger behandelt als früher - und das ist gut so. Damit sind aber auch neue Herausforderungen für das Versorgungssystem verbunden. Seit dem 5. September liegt dem Deutschen Bundestag der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) vor. Die 1. Lesung fand am 22. September 2016 statt. Dieses Gesetz ist notwendig, damit die vorhandene Qualität der gesundheitlichen Versorgung bei einer steigenden Zahl seelisch kranker Menschen gesichert und bei Bedarf verbessert wird. Nach langem Ringen mit der Union haben wir SozialdemokratInnen eine patientInnenorientierte Weiterentwicklung der Vergütung in der stationären psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung durchgesetzt: Behandlungen mit hohem Aufwand werden künftig besser vergütet werden als Behandlungen mit weniger hohem Aufwand.

Rat einholen vor Ort: Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter, St. Joseph Krankenhaus

Mir ist es bei allen anstehenden Gesetzgebungsverfahren wichtig, mit den ExpertInnen, den Betroffenen und weiteren AkteurInnen in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg in den Dialog zu treten. In mir vorliegenden Stellungnahmen wurde darauf verwiesen, dass die Finanzierung der Behandlung von Kindern und Jugendlichen noch einer stärkeren Aufmerksamkeit bedarf.

Das St. Joseph Krankenhaus in Tempelhof verfügt über eine Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter. In enger Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin werden hier durch ein multiprofessionelles Team psychosomatisch erkrankte Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren im Rahmen eines in der Regel sechs bis acht Wochen andauernden stationären Aufenthalts behandelt. Ich bedanke mich sehr bei Dr. Hans Willner, Chefarzt der Klinik für seelische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter, Dr. Beatrix Schmidt, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, und Tobias Dreißigacker, Geschäftsführer, herzlich dafür, dass sie sich am 28. Oktober viel Zeit für diesen Dialog genommen haben.

Es gibt Kritik am PsychVVG

Dr. Willner äußerte seine Bedenken zum Gesetzesvorhaben. Er bemängelte, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht „extra“ aufgeführt wird. Schließlich sei die psychiatrische und psychosomatische Versorgung von Kindern und Jugendliche aufwendiger als die der meisten Erwachsenen. Aufgrund der geplanten PEPP-Kategorisierung befürchtet er ein starkes Ansteigen des Dokumentationswesens. Damit werde die Transparenz nicht verbessert, dies führe lediglich zu einer Mehrbelastung des Personals.

Herr Dreißigacker, der als Geschäftsführer neben der guten PatientInnenversorgung auch die Konkurrenzfähigkeit seines Hauses im Blick hat, befürchtet, dass die Einzelverhandlungen mit den Krankenkassen zu einer Ungleichheit der Finanzierung der einzelnen Häuser führen werde – und dass auch dann, auch wenn diese nicht vergleichbar seien. Denn Krankenkassen könnten in den Verhandlungen auf immer noch „billigere Häuser“ verweisen. Er verwies zudem darauf, dass schon jetzt die Personalkostenstruktur beim „Ist-Stand“ nicht ausreichend berücksichtigt werde. In einem Krankenhaus, das wie das St. Joseph nach Tarif zahle, käme es dadurch zu einer kontinuierlichen Unterfinanzierung. Es sei auch nicht hinnehmbar, dass die Dokumentation nicht extra vergütet werde, sondern unfinanzierte Mehrarbeit sei.

Hinsichtlich der Personalkostenstruktur und der tariflichen Bezahlung sind wir SozialdemokratInnen im regen Austausch mit ver.di, da uns diese für Beschäftigte so relevanten Punkte sehr am Herzen liegen. Hier ist das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Ich bedauere es immer wieder, dass die Tarifbindung in den Sozial- und Gesundheitsberufen sehr gering ist. Wir wollen einen Personalmindestschlüssel. Dieser ist bei einer Ausfinanzierung der vorgeschriebenen Stellen selbstverständlich leichter umsetzbar und ggf. kann damit auch flexibler auf die Nachfrage reagiert werden.

Dr. Willner würde es begrüßen, wenn die Finanzierungsausgestaltung in das PsychVVG aufgenommen wird, damit eine gerechte Verteilung des vorhandenen Budgets vorgenommen werden kann. Herr Dreißigacker machte auch auf ein landesrechtliches Problem aufmerksam: Der Krankenhausplan werde nur alle 5 Jahre angepasst, was bedeute, dass nicht schnell genug auf Entwicklungen wie die wachsende Stadt reagiert werden könne. Folge sei, dass eine Überauslastung nicht ausreichend finanziert werde.

Ein freundliches und anregendes Ambiente hilft

Vor dem Gespräch fand ein Rundgang durch die sehr freundlich eingerichtete Abteilung für Psychosomatik statt. Hier gibt es u.a. ein Therapiezimmer, ein gemütlicher Freizeitraum, eine eigene Küche und eintoller Lichthof, der von den Kindern und Jugendlichen zu einem Entspannungsgarten mit Hollywoodschaukel, Hängematten und Pflanzecken zum Selberpflanzen ausgestaltet wurde. Die Pflanzen, die dort wachsen, gaben dem Garten ihren Namen: Färbergarten.  Und damit nicht genug: Zusammen mit den Sozial- und ErlebnispädagogInnen wurde auf dem Gelände der Klinik ein Sinnesgarten mit Strandkorb - ein bei wärmeren Temperaturen heiß begehrter Rückzugsort – angelegt.

Inhalte des PsychVVG

Mit der Gesetzesnovelle sollen die speziellen Erfordernisse der Kliniken, die zur Versorgung die Versorgung psychisch kranker Menschen notwendig sind, besser an angepasst werden. Das pauschalierende Entgeltsystem für Leistungen psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen (Psych-Entgeltsystem) wird weiterentwickelt, wobei das jetzige System PEPP, das seit 2013 auf freiwilliger Basis eingesetzt wird, ein Jahr länger genutzt werden kann und auch künftig für die Kategorisierung genutzt werden soll.

Auf ein landeseinheitliches Preisniveau der Kliniken wird künftig jedoch verzichtet. Stattdessen können psychiatrische und psychosomatische Kliniken auch in Zukunft ihr Budget einzeln verhandeln, um regionale oder strukturelle Besonderheiten besser zu berücksichtigen. Basis für die Kalkulation in den Kliniken soll der jeweilige tatsächliche Aufwand sein.

Die therapeutische Behandlung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung ist ein sehr personalintensiver Bereich. Anzahl und Qualifikation des therapeutischen Personals bedingen hier in einem besonderen Maße die Versorgungsqualität. Daher wird der Gemeinsame Bundesausschuss beauftragt, in seinen Qualitätsrichtlinien ab 2020 verbindliche Mindestvorgaben zur personellen Ausstattung festzulegen. Diese sollen zu einer leitliniengerechten Behandlung der PatientInnen beitragen. Unter der Bedingung, dass die Mindestvorgaben zur Personalausstattung erfüllt werden, erfolgt die Kalkulation des Entgeltsystems dann auf der Grundlage des Aufwands tatsächlich erbrachter Leistungen.

Um die sektorenübergreifende Versorgung zu stärken, wird eine psychiatrische Akutbehandlung im häuslichen Umfeld als Krankenhausleistung eingeführt. Umgekehrt sollen psychiatrische Kliniken mit psychosomatischen Fachabteilungen PatientInnen, die eine ambulante Versorgung brauchen, auch behandeln können. Das Behandlungsangebot "Home-Treatment" führt für die Betroffenen zu geringeren Einschnitten in ihrem Alltagsleben und ermöglicht eine stärkere individuelle Ausrichtung der Behandlung auf ihr jeweiliges persönliches Lebensumfeld. Durch die "Krankenhausbehandlung ohne Bett" im häuslichen Umfeld können stationäre Aufenthalte vermieden oder verkürzt werden.

Mit dem Psychiatrie-Gesetzentwurf soll zugleich die geplante zusätzliche Finanzspritze für die gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro beschlossen werden. Das Geld wird aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds entnommen und den Kassen zugeleitet. 500 Millionen Euro dienen dazu, um die Telematikinfrastruktur der Kassen aufzubauen. Grundsätzlich findet die Entnahme des Geldes aus dem Gesundheitsfonds nicht die Zustimmung sozialdemokratischer Gesundheits- und SozialpolitikerInnen, auch wenn wir den Ausbau der Telematikinfrastruktur forcieren wollen. Denn die übrige Milliarde Euro dient dazu, die Gesundheitsversorgung der Geflüchteten zu finanzieren, die einen Aufenthaltsstatus haben, aber noch nicht erwerbstätig sind. Wir sind der Überzeugung, dass dieses nicht Aufgabe der BeitragszahlerInnen, sondern eine mit Steuern zu finanzierende gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Da aber die Schäuble´sche „schwarze Null“ laut Union haushaltspolitisch unbedingt weiter gelten muss, darf es zu keinen Steuererhöhungen kommen.

Die meisten Regelungen sollen zu Jahresbeginn 2017 in Kraft treten.