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Deutscher Pflegetag: Pflegende Angehörige im Mittelpunkt

"Mehr Zeit, mehr Beratung, mehr Entlastung?!" war das Motto der Veranstaltung des AOK-Bundesverbandes auf dem Deutschen Pflegetag.
Hier standen am 11. März 2016 in der "STATION Berlin" die pflegenden Angehörigen im Mittelpunkt. Unsere umfangreichen Pflegereformen sollen gerade die pflegenden Angehörigen unterstützen.


Themen dieser Diskussion waren insbesondere

  • die Entlastungs- und Unterstützungsangebote für die die pflegenden Angehörigen
  • die Frage, ob die Geflüchteten eine Chance für die Pflege darstellen
  • die Frage, wie der Beruf bereits ab der Ausbildung attraktiver gestaltet werden kann.

Relevanz für Berlin

Die meisten Pflegebedürftigen werden von Angehörigen zu Hause betreut. Laut dem Berliner Familienbericht 2011 engagieren sich ungefähr 170.000 BerlinerInnen in der Betreuung und Pflege von Angehörigen. Mehr als 20 Prozent der pflegenden Angehörigen sind erwerbstätig, viele davon sogar in Vollzeit.

Ich weiß, dass jedes Pflegesetting individuell ist – deshalb unterstütze ich neben direkten Entlastungs- und Unterstützungsangeboten gerade auch qualitativ hochwertige Beratungsangebote für die pflegenden Angehörigen. In Berlin gibt es viele Angebote: Pflegestützpunkte, Fachstellen für spezifische Bereiche der häuslichen Pflege, spezielle Beratungsangebote wie Pflege in Not, niedrigschwellige Betreuungsangebote, ambulante Pflegedienste, Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen und die Kontaktstellen Pflege-Engagement. Und dennoch muss auch in Berlin die sozialräumlich orientierte Pflegeinfrastruktur noch weiter ausgebaut werden. Es geht darum, die pflegenden Angehörigen zu entlasten und sie gleichzeitig als aktive AkteurInnen noch stärker in die politischen und fachlichen Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

"Mehr Zeit, mehr Beratung, mehr Entlastung?! - Was ändern die Pflegereformen für pflegende Angehörige?"

So umfangreich wie heute wurde die Pflegeversicherung seit ihrer Einführung 1995 noch nie reformiert. Was bedeuten die politischen Neuerungen für den Alltag der Betroffenen? Haben pflegende Angehörige am Ende mehr Zeit, mehr Beratungsmöglichkeiten und mehr Unterstützungsangebote?

Die Veranstaltung begann mit Statements der BerichterstatterInnen der Koalitionsfraktion, die „Produkte“ der gesetzlichen Neuregelungen wurden vorgestellt von Birgit Burmeister, Teamleiterin Pflegeberatung/Pflegestützpunkte AOK Nordost - Die Gesundheitskasse. Anschließend fand eine offene Frage-Antwort-Runde unter aktiver Teilhabe der pflegenden Angehörigen statt. Die Moderation hatte Raiko Thal, Journalist und bekannt als Moderator der Sendungen "rbb PRAXIS" und "rbb AKTUELL".

SPD: Gesagt. Getan. Gerecht.

Als SPD haben wir versprochen, gerade die pflegenden Angehörigen stärker zu entlasten. Wir SozialdemokratInnen haben vieles erreicht, von dem die pflegenden Angehörigen direkt und indirekt profitieren:

1.    Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ab dem 1. Januar 2015

  • Wir haben einen Rechtsanspruch auf eine kurzfristige 10-tägige Freistellung mit Lohnersatzleistung durchgesetzt: Angehörige erhalten in dieser Auszeit mit dem      Pflegeunterstützungsgeld eine Lohnersatzleistung. Die soziale Pflegeversicherung bezahlt als Bruttoleistung bis zu 90 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts.
  • Es gibt den Rechtsanspruch auf Pflegezeit mit zinslosem Darlehen: ArbeitnehmerInnen haben einen Rechtsanspruch auf maximal 6 Monate unbezahlte volle oder teilweise Freistellung von der Arbeit zur Pflege eines nahen Angehörigen.
  • Es gibt die Familienpflegezeit als Rechtsanspruch mit zinslosem Darlehen: Beschäftigte haben einen Rechtsanspruch auf eine teilweise Freistellung - die Mindestarbeitszeit beträgt 15 Stunden - von bis zu 24 Monaten für die Pflege eines nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung.  
  • Möglich ist auch eine Kombination aus Pflegezeit und Familienpflegezeit: Die Pflegezeit und die Familienpflegezeit können zusammen bis höchstens 24 Monaten miteinander verzahnt werden. Dauert die Pflege länger als 24 Monate hin, können auch mehrere Angehörige die Pflegezeit oder Familienpflegezeit nehmen - nacheinander oder parallel.
  • Die Begleitung in der letzten Lebensphase wird besser ermöglicht: Angehörige haben einen Rechtsanspruch darauf, in der letzten Lebensphase des pflegebedürftigen Familienmitglieds drei Monate lang weniger zu arbeiten oder auch ganz auszusetzen. Auch sie haben einen Anspruch auf das zinslose Darlehen.

 2.    Stärkung der sozialversicherungsrechtlichen Situation der pflegenden Angehörigen ab dem 1. Januar 2017

Auch im Leistungsrecht gibt es Verbesserungen einen deutlich erweiterten Kreis von pflegenden Angehörigen:

  • für einen sehr viel größeren Personenkreis entrichtet die Pflegeversicherung Rentenbeiträge
  • der Schutz im Bereich der Arbeitslosenversicherung wird deutlich erweitert
  • es finden Verbesserungen auch im Bereich der Unfallversicherung statt

Eine Voraussetzung ist, dass die Pflege mindestens 10 Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche erbracht wird und dass die pflegebedürftige Person mindestens den Pflegegrad 2 hat.

3.    Erhöhte und mehr Leistungen für Pflegebedürftige

Keine pflegebedürftige Person erhält durch die neuen Leistungsregelungen im Pflegestärkungsgesetz II niedrigere Leistungen, die meisten erhalten mehr - unabhängig davon, ob es sich um eine ambulante oder eine (teil-)stationäre Pflegeleistung handelt.

  • die Leistungen können besser nach dem individuellen Bedarf zusammengestellt werden - was auch den pflegenden Angehörigen nutzt
  • die Beratung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen wird verbessert
  • Angehörige und nahe stehende Personen erhalten erstmals einen eigenen Anspruch auf Pflegeberatung.

Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes

Ein Baustein der Attraktivitätssteigerung ist die Schaffung eines neuen modernen Pflegeberufsbildes unter anderem durch die generalistische Ausbildung. Vorgesehen ist, dass die Anteile, welche die PflegefachschülerInnen bzw. Studierenden, in Betrieben verbringen, sind hoch und betragen mindestens 50 Prozent. Damit entfällt auch in vielen Bundesländern - unter anderem in Berlin - das Schulgeld für Auszubildende in der Altenpflege. Vor allem wird auch die Durchlässigkeit innerhalb der Aus-, Fort- und Weiterbildung und im Arbeitsfeld selbst gesteigert.

Ein weiterer zentraler Hebel zum Abbau des Fachkräftemangels ist die Emanzipation der Altenpflege. Mit dem Pflegeberufereformgesetz wird ein Abhängen der Altenpflege vermieden.

Auf Druck der SPD haben wir mit dem Pflegestärkungsgesetz 1 durchgesetzt, dass tarifliche Löhne nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. An Instrumenten für eine weitere bessere Bezahlung arbeiten wir SozialdemokratInnen intensiv.

Geflüchtete - ein weiterer zentraler Hebel zum Abbau des Fachkräftemangels

Wir müssen die geflüchteten Menschen so früh wie möglich auf dem Arbeitsmarkt integrieren. Dazu brauchen wir einen Integrationsförderplan für Deutschland, in dem alles zusammenpasst: Sprachkurse, berufliche Bildung, Arbeitsmarktzugang, Wohnen, Werte- und Demokratievermittlung, usw. Wir SozialdemokratInnen haben schon 2014 beschlossen, dass das Arbeitsverbot für Asylsuchende und Personen mit Duldung auf drei Monate herabgesetzt wird, zuvor bestand ein Arbeitsverbot von 9 bzw. 12 Monaten für diese Gruppen. Dies war ein erster Schritt. Die SPD will auch erreichen, dass die Vorrangprüfung, d.h. die Bevorzugung von EU-InländerInnen bei der Arbeitsvermittlung, befristet aufgehoben wird.

Studien belegen positive Effekte der Zuwanderung auf die Wirtschaft und die Sozialsysteme, z.B. Szenarioberechnungen des DIW vom vergangenen November. Anfängliche Ausgaben werden zu einer Investition in die Zukunft. Die deutsche Wirtschaft wird profitieren und auch die Sozialsysteme, weil negative Effekte des demografischen Wandels auf sie eingedämmt werden können.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir geflüchtete Menschen für den Pflegeberuf gewinnen können. Wir brauchen eine geförderte Berufsausbildung im Pflegebereich. Ein gutes Beispiel: Das in Tempelhof-Schöneberg ansässige Projekt „bridge - Berliner Netzwerk für Bleiberecht“, http://www.bridge-bleiberecht.de/ ein Zusammenschluss von elf Projektträgern, unterstützt Bleibeberechtigte und Geflüchtete bei der Vermittlung in Ausbildung und Arbeit, bei der Unterstützung beim Nachholen von Schulabschlüssen, der Berufsorientierung und Qualifizierungsmaßnahmen, der individuellen Beratung und Coaching - auch im Pflegeberuf. So sind Geflüchtete aus dem Nahen Osten und Afrika heute examinierte KrankenpflegerInnen beim Vivantes-Humboldt-Klinikums in Berlin. Wir müssen noch daran arbeiten, dass es zu schnelleren Anerkennungen ausländischer Bildungsabschlüsse kommt. Wir SozialdemokratInnen werden auf jeden Fall vermeiden, dass die Geflüchteten „missbraucht“ werden, um Lohndumping und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu steigern.

Anregungen aus der Diskussion: Mehr Wissen und mehr Beratung für die pflegenden Angehörigen

Die Diskussion hat deutlich gemacht, dass die aktuellen gesetzlichen Regelungen vielfältige Entlastungsmöglichkeiten bieten - dennoch bleiben viele der Maßnahmen viel zu oft ungenutzt, da das Wissen darüber noch nicht breit genug in der Bevölkerung angekommen ist. Beratung tut not!

Wie schwer und wie umfangreich die Pflege eines nahen Angehörigen - Ehefrau, Ehemann, das eigene Kind, die Mutter oder den Vater, die Großeltern oder die Geschwister - zu Hause ist, machten die Schilderungen einzelner TeilnehmerInnen deutlich. Viele sehen sich außerstande, neben der Pflege überhaupt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat selbstverständlich gravierende Auswirkungen für das Familieneinkommen - gerade auch in Berlin.

Frank Schumann von der Fachstelle für pflegende Angehörige, Diakonisches Werk Berlin Stadtmitte e.V, fordert eine Nachbesserung des § 37 SGB XI, wohl wissend, dass auch das Thema Pflege föderalen Bedingungen und Zuständigkeiten unterliegt.

Deutlich wurde auch, dass bei vielen Arbeitgebern - unabhängig ob Privatunternehmen oder öffentliche Verwaltung - das Thema Pflege noch kein Bestandteil der Unternehmenskultur ist. Ausnahme sind die Bundesverwaltungen, die von Frau Burmeister explizit gelobt wurde. Hier liegen auch die Grenzen gesetzgeberischer Entscheidungen: Es ist Aufgabe der Arbeitgeber, der Gewerkschafter und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure dafür zu sorgen, dass große und vor allem auch kleinere und mittelständische Unternehmen Kompetenzen erwerben, mit den Herausforderungen pflegender Angehöriger auch gehen zu können. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es hierzu mehr Betriebsvereinbarungen geben würde. Leider fehlen aber in den meisten Tarifverträgen und Sozialvereinbarungen Klauseln, die es pflegenden Angehörigen leichter machen würden, Pflege und Beruf zu vereinbaren - dabei wird diese Herausforderung mit Sicherheit zunehmen.

Hinzu kommen gerade in Berlin die ohnehin schon geringen Einkommen. Jeder vierte Beschäftigte in der Stadt ist NiedriglöhnerIn und verdient trotz Vollzeitarbeit nur rund 1000 Euro netto im Monat, viele noch weniger. Davon jahrelang nur noch 75 Prozent zu erhalten, dürfte für viele Geringverdienenden keine ernstzunehmende Option sein.

Gesellschaftliche Wertschöpfung der pflegenden Angehörigen

Ende 2013 wurden laut Statistischem Bundesamt mehr als zwei Drittel der 2,63 Millionen pflegebedürftigen Menschen zu Hause versorgt. Der damalige AOK-Chef Jürgen Graalmann betonte, dass die gesellschaftliche Wertschöpfung der pflegenden Angehörigen sich auf mindestens 29 Milliarden Euro pro Jahr belaufe – sie also schon allein deshalb jede Unterstützung verdient haben. Ich stimme ihm voller Überzeugung zu.