Die Flüchtlingssituation bestimmte die Debatten auf der Herbstsitzung (28.9. bis 3. 10. 2015) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. So wurde in der Aktualitätsdebatte eine umfassende humanitäre und politische Antwort auf die Migrations- und Flüchtlingssituation in Europa gefordert. Die Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union sind in dieser Hinsicht entscheidend. Die derzeitige Migrationskrise auf unserem Kontinent ist „ein europäisches Problem, das kein einzelner Staat alleine meistern kann“, erklärte Laura Boldrini. Die Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer betonte, „es ist jetzt Zeit, geschlossen zu handeln. Die EU ist gerade dabei, Schritte zu einer wirklichen gemeinsamen Asylpolitik zu unternehmen. Und die Europäische Kommission versucht dafür zu sorgen, dass die Mitgliedsstaaten der EU die Notwendigkeit anerkennen, die Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtlingen gemeinsam zu tragen“
Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, betonte, dass Europa auch schon früher mit großen Flüchtlingskrisen konfrontiert war. Als Beispiel benannte er die Ankunft von 200 000 Flüchtlingen in Österreich im Jahr 1956. „Europa war zu dieser Zeit viel ärmer und weniger gut organisiert. Doch wir haben es geschafft. Warum sollten wir heute nicht in der Lage sein, dieses Problem zu bewältigen?“
Gerade für RepräsentantInnen von Nicht-EU-Länder bietet die Parlamentarische Versammlung eine gute Gelegenheit ihre politischen Standpunkte vorzutragen und mit den ParlamentarierInnen zu diskutieren. So erklärte der Vorsitzende des Ministerrats von Bosnien und Herzegowina, Denis Zvidzić, für Bosnien und Herzegowina „gibt es keine Alternative zur europäischen Integration. Der serbische Ministerpräsident, Aleksandar Vučić, betonte in seiner Rede vor der „wir wollen ein stabiles Land schaffen, das innerhalb der europäischen Organisationen verankert ist, besonders der EU“.
Meine Aktivitäten
Ich habe die Herbstsitzung genutzt, um Planungen für eine Veranstaltung des Parliamentary Network Women Free from Violence, dessen Kampagnenleiterin ich für Deutschland bin, im nächsten Jahr voranzutreiben.
Des Weiteren habe ich die Motion “The political rights of persons with disabilities: a democratic issue” in den Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung eingebracht. Hier geht es um die Stärkung der politischen Partizipationsrechte von Menschen mit Behinderung. Mein Ziel ist es, hierzu einen Bericht über die Lage in den Staaten des Europarates zu verfassen.
Besonders gefreut habe ich mich, meine BesucherInnengruppe aus Berlin begrüßen zu können. 30 Menschen von Vereinen, Gewerkschaften, AWO und der SPD waren aus Berlin nach Straßburg gefahren, um sich über die Arbeit des Europarates zu informieren. Dazu mehr im Bericht der TeilnehmerInnen.
Ljudmila Alexejewa erhält Václav-Havel-Menschenrechtspreis 2015
Die langjährige russische Menschenrechtsaktivistin Ljudmila Alexejewa erhielt den dritten Václav-Havel-Menschenrechtspreis. Mit dem Preis wird herausragendes Engagement der Zivilgesellschaft zur Verteidigung der Menschenrechte gewürdigt Der mit 60 000 Euro dotierte Preis wurde auf der Eröffnungssitzung der Parlamentarischen Versammlung am 28. September 2015 feierlich verliehen.
PACE-Präsidentin Anne Brasseur, die auch Vorsitzende des Auswahlgremiums war, erklärte bei der Übergabe des Preises: „Ljudmila Alexejewa hat einige Generationen von Aktivisten in Russland, aber auch im Ausland, dazu motiviert, sich dem Kampf für Gerechtigkeit anzuschließen. Im Laufe ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit wurde sie verfolgt und bedroht, sie verlor ihre Beschäftigung und musste ihr Land verlassen, um weiter über Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion reden zu können. Heute ist sie Vorsitzende der Moskauer Helsinki-Gruppe, einer Organisation, die als freidenkende Nichtregierungsorganisation häufig angefeindet wird, jedoch weiterhin Menschenrechtsverletzungen aufzeigt und den Opfern Hilfe anbietet.“.
Ljudmila Alexejewa, die mittlerweile 88 Jahre alt ist, ist eine bekannte Menschenrechtsaktivistin in ihrem Geburtsland Russland. In ihrer Jugend hat sie eine vielversprechende akademische Karriere aufgegeben, um sich der sowjetischen Dissidentenbewegung anzuschließen. Sie wurde dann auch Gründungsmitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe. Nachdem sie 1977 gezwungen war, in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, kehrte sie 1989 nach Russland zurück, um ihre Arbeit fortzusetzen. Sie wurde Vorsitzende der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte und schließlich Mitglied im Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten. Unermüdlich hat sie sich für den Schutz und die Förderung der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt.
Europaratsbericht über Menschenrechtslage in Deutschland
Der Menschenrechtskommissar des Europarates Nils Muizniek sieht menschenrechtlichen Handlungsbedarf in Deutschland. In seinem Bericht fordert er unter anderem Konsequenzen aus dem Behördenversagen nach den NSU-Morden, Maßnahmen gegen Racial Profiling und Änderungen in der Flüchtlingspolitik.
Zugleich lobte er die enormen Anstrengungen Deutschlands zur Unterstützung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, insbesondere aus Syrien, und die ermutigende Unterstützung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung. Erforderlich sind jedoch weitere Fortschritte zur Förderung der Verbesserung der Aufnahmebedingungen, zur Beschleunigung fairer Asylverfahren und zur Integration der Flüchtlinge.
Der Menschenrechtskommissar unterstrich die Bedeutung, durchgehend angemessene Aufnahmebedingungen zu bieten. Zu diesem Zweck empfahl er den Bundesbehörden, national verbindlich geltende Minimalstandards für das Betreiben von Aufnahmeeinrichtungen zu verabschieden und ihre Unterstützung der Länder und Kommunen im Hinblick auf die Kosten dieser Aufnahme zu erhöhen. Er stellte ebenfalls fest, dass weitere Schritte ergriffen werden sollten, um den Zugang der Asylsuchenden zu einer medizinischen Versorgung zu verbessern. Der Menschenrechtskommissar forderte die deutschen Behörden des Weiteren auf, die Anforderungen an eine Familienzusammenführung von Flüchtlingen und anderen Personen mit internationalem Schutzanspruch zu erleichtern und ihre Integration zu fördern, insbesondere durch einen Ausbau der Sprachkurse.
Der Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates bezieht sich auf seine Deutschlandreise im Mai 2015. Am 6. Mai 2015 hatten wir Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates den Menschenrechtskommissar Nils Muiznieks zu einem Informationsaustausch während seiner Deutschlandreise getroffen.
Nils Muizniek begrüßt die für das Deutsche Institut für Menschenrechte gefundene rechtliche Grundlage als Voraussetzung für den Erhalt des A-Status. Dagegen äußert er sich sehr kritisch zur finanziellen und personellen Ausstattung der Nationalen Anti-Folter-Stelle.
Der Bericht fordert nachdrücklich Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Intoleranz. Aus dem NSU-Skandal müssten vielfältige Konsequenzen gezogen werden. Das Strafgesetzbuch wurde bereits geändert, so dass bei der Strafbemessung nun auch rassistische Motive berücksichtigt werden können. Nötig sei aber auch eine bessere Koordinierung polizeilicher und nachrichtendienstlicher Aktivitäten und ein transparenter Informations- und Datenaustausch über Rechtsextremismus. Hier gibt es in der Praxis noch viel zu tun.
In Deutschland wächst die Zahl rechtsextremistischer und fremdenfeindlicher Übergriffe. Muizniek fordert die Polizei auf, genau zu prüfen, ob es sich um politisch motivierte Hassverbrechen handelt. Sie richteten sich vor allem gegen Flüchtlinge, dunkelhäutige Menschen und Muslime. Diese Gruppen werden auch auffällig oft ohne nachvollziehbare Gründe von der Polizei kontrolliert. Es ist ein rassistisch motiviertes Verhalten der Strafverfolgungsbehörden (Racial Profiling), das gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.
Es ist wichtig, dass die Menschenrechtslage in Deutschland immer wieder von außen kritisch überprüft wird. Fast zeitgleich mit der Vorstellung des Europaratsberichts wird im Bundestag über den 11. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung debattiert.
Migrantenfeindliche Ressentiments nahmen in Deutschland schon vor dem Flüchtlingszustrom zu
Die rassistischen Pegida-Aufmärsche beunruhigen auch den Europarat. Laut einer neuen Stellungnahme des beratenden Ausschusses zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten haben migranten- und muslimfeindliche Ressentiments sowie Angriffe auf Asylsuchende schon vor Beginn des aktuellen Zustroms von Flüchtlingen aus dem vom Krieg gezeichneten Syrien und anderen Teilen des Nahen Ostens und Afrikas nach Deutschland zugenommen.
Die Stellungnahme wurde bereits im März verabschiedet und am 1. Oktober 2015 gemeinsam mit einer ersten Reaktion der deutschen Regierung veröffentlicht. Es wurden Daten aus dem Zeitraum zwischen 2010 und 2015 ausgewertet; daraus geht ein Anstieg der Ressentiments gegenüber Moslems, MigrantInnen und Asylsuchenden hervor. In der Stellungnahme werden außerdem die Aufmärsche kritisiert, an denen Tausende teilnahmen, etwa unter dem Banner der sogenannten „Pegida“.
Ungeachtet dieser Entwicklungen würdigt der Ausschuss die Antidiskriminierungsstelle des Bundes „für ihre beträchtlichen Bemühungen“, die unternommen wurden, um die Bevölkerung gegenüber den geltenden Antidiskriminierungsgesetzen zu sensibilisieren.
Der Ausschuss fordert Deutschland auf, die Praxis der Personenkontrollen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit („Ethnic Profiling“) zu beenden und Maßnahmen zu ergreifen, um das Vertrauen zwischen Angehörigen von Minderheiten und der Polizei wiederherzustellen. Den Strafverfolgungsbehörden wird empfohlen, rassistische Aspekte von Straftaten systematisch zu berücksichtigen.
In der Stellungnahme werden auch andere Themen behandelt, darunter die Notwendigkeit, die sozioökonomische Gleichheit der Sinti und Roma durch gezielte Maßnahmen, in Absprache mit deren VertreterInnen und auf Basis genau definierter Kriterien zu fördern. Zudem werden Schritte gefordert, um Minderheitensprachen in ganz Deutschland, etwa Friesisch und Dänisch, zu stärken.