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Diskriminierungsfreie Zugänge zum Gesundheitswesen

Rede am 25. April 2013 anlässlich der ersten Lesung des Antrages Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung menschenrechtskonform gestalten (Drs. 17/12712):

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kollegen und Kolleginnen,
liebe Interessierte auf den Bühnen und vor dem Fernseher,

der heute hier im Plenum behandelte Antrag thematisiert den sehr wichtigen Bereich einer inklusiven Gesundheits- und Pflegepolitik. Wir sind uns alle einig, dass den Bedürfnissen und Bedarfen von Menschen mit Behinderung sehr viel stärker Rechnung zu tragen ist. Von einem inklusiven Gesundheits- und Pflegewesen sind wir noch weit entfernt. Menschen mit Behinderungen brauchen viel mehr medizinische Unterstützung.

Damit diese umfassende Unterstützung im Gesundheitswesen auch geschieht, ist Handeln der Politik angesagt. Nicht nur Menschen mit Behinderungen brauchen mehr als Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen in Sonntagsreden.

Durch die Vielzahl der im Antrag erwähnten Baustellen wird klar, wie wenig die aktuelle Bundesregierung - für den Bereich Gesundheit Bundesminister Daniel Bahr (FDP) - zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention tatsächlich getan hat. Deren Unterzeichnung jährte sich am 26. März 2013 bereits zum vierten Mal. Dabei ist mit der Ratifizierung am 26. März 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland geltendes Recht geworden. Sie verpflichtet insbesondere alle staatlichen Stellen zu mehr Chancengleichheit beim Zugang und zu mehr Teilhabe und Partizipation in allen Bereichen.

Schon unter Rot-Grün wurde bereits der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur selbstbestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft eingeleitet - mit der Einführung des SGB IX, dem Behindertengleichstellungsgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz. Wir haben noch einen langen Weg zur inklusiven Gesellschaft vor uns, in der alle Rechtsansprüche aus der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt sind. Die SPD fordert die Bundesregierung auf, die riesigen Chancen aus der UN-Behindertenrechtskonvention für eine inklusive Gesellschaft wahrzunehmen und ihre Politik der kleinen Umsetzungsschritte aufzugeben. Um die Menschenrechte der behinderten Menschen auf freie Zugänge, auf Selbstbestimmung, auf volle Teilhabe in einer inklusiven Gesellschaft umzusetzen und Rechtsansprüche in allen gesellschaftlichen Bereichen durchzusetzen, hat die SPD in dieser Legislaturperiode bereits mehrere Initiativen gestartet.

Unser großer SPD-Antrag zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention „UN-Konvention jetzt umsetzen - Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ wurde am 09. November 2012 in 2./3. Lesung hier im Deutschen Bundestag debattiert. Wir haben hier  benannt, wo für uns Handlungsbedarf besteht, um allen Menschen mit Behinderung von Beginn an Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Das sind im Bereich von Gesundheit- und Pflege unter anderem:

  • Der Aufbau von medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderung, in Anlehnung an die bestehenden Sozialpädiatrischen Zentren für Kinder.
  • Die Auflage eines Programmes für den barrierefreien Umbau von Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft (z. B. Arztpraxen, Krankenhäuser, Physio- und Ergotherapiepraxen und Rehabilitationseinrichtungen).
  • Aus- und Weiterbildungen für Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte im Themenfeld sollen verpflichtend werden (bisher nur freiwilliges Fortbildungsangebot der Ärztekammer). Nötig sind die Erweiterung der Ausbildungs- und Facharztweiterbildungsordnungen.
  • Die Sensibilisierung zur Gewaltproblematik gegenüber Frauen mit Behinderung sollte in die Grundausbildung von medizinischen und therapeutischen Berufsgruppen aufgenommen werden.
  • Beratungs-, Hilfs- und Betreuungsstrukturen sind behinderungs-, geschlechts- und kultursensibel zu verbessern.
  • Menschen mit geistiger, insbesondere aber mit mehrfacher Behinderung sind umfassend in den Ausbau von Gesundheitsförderung und Prävention einzubeziehen.

Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gilt:

Wir wollen diskriminierungsfreie Zugänge zum Gesundheitswesen, wollen gleiche Patientinnen- und Patientenrechte für alle, so dass Teilhabe und Selbstbestimmung für alle auch im Gesundheitswesen gilt.

Leider ist zu konstatieren: Zwar wollte das Bundesgesundheitsministerium für 2012, gemeinsam mit den Ländern und der gesamten Ärzteschaft, ein Gesamtkonzept vorlegen, um Anreize für einen barrierefreien Zugang oder die barrierefreie Ausstattung von Praxen und Kliniken zu gewährleisten. Zwar steht es so – wie vieles anderes auch - im ersten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vom 15. Juni 2011. Geschehen ist aber wenig bis nichts. CDU/CSU und FDP haben bei der Umsetzung der Rechte aus der UN-Behindertenrechtskonvention, haben bei der Herstellung eines inklusiven Gesundheits- und Pflegewesens versagt.

So rückt beispielsweise das Ziel, in den nächsten 10 Jahren eine ausreichende Zahl an Arztpraxen barrierefrei zugänglich zu machen, in weite Ferne. Das ist schlimm, denn der Handlungsbedarf liegt auf der Hand - allein in Berlin sind rund 80 Prozent der Arztpraxen nicht barrierefrei.

Für Menschen mit Behinderung ist dadurch das Recht auf freie Arzt- bzw. Ärztinnenwahl erheblich eingeschränkt. Als Gesundheitspolitikerin setze ich mich für das Recht auf eine bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung für jede und jeden ein. Nur ein auf dem Gedanken der Solidarität und Beitragsparität organisiertes Gesundheitswesen ist im Interesse von chronisch kranken, älteren, behinderten und pflegebedürftigen Menschen.

Es existieren Barrieren in vielfacher Hinsicht. Diese sind multidimensional und existieren in struktureller, mentaler und kommunikativer Art. Zu den strukturellen Barrieren des deutschen Gesundheitssystems gehören neben nicht barrierefreien Arztpraxen und nicht-behindertengerechten Praxisausstattungen, die ungenügende Assistenz in der stationären Versorgung oder nicht ausreichende Ausbildungscurricula  in den Gesundheits- und Pflegeberufen. Von höchster Bedeutung ist auch die mangelnde Kommunikation zwischen Arzt und Patient, zwischen Ärztin und Patientin: Die einen können sich häufig nicht ausreichend ausdrücken, die anderen haben nicht gelernt, dass Krankheit und Behinderung zwei verschiedene oftmals aber mit Wechselwirkungen versehene Aspekte sind. An eine Anamnese werden vielfache Herausforderungen gestellt, zu denen es besonderer Kompetenzen bedarf.

Völlig unverständlich ist mir, warum nicht von Anfang das Motto „Nichts ohne uns über uns“ umgesetzt wurde, warum die Vertretungen von Menschen mit Behinderung so wenig in den Prozess der Erarbeitung des Gesamtkonzeptes eingebunden sind. Dann wäre mit Sicherheit mehr geschehen und wir wären einer inklusiven Gesellschaft, einem inklusiven Gesundheits- und Pflegewesen sicherlich ein Stück weiter.

Für mich, für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bleibt die grundlegende Herausforderung, für ein grundsätzliches gesellschaftliches und persönliches Umdenken im Gesundheitswesen zu sorgen. Unser Ziel ist es, alle medizinischen und pflegerischen Angebote aus Sicht der Patientenperspektive zu planen und vor Ort anzubieten.

Wir werden den heute vorgelegten Antrag im Ausschuss für Gesundheit weiter beraten. Ich prophezeie, dass Schwarz-Gelb bis zum Ablauf dieser Legislaturperiode aber keine wesentlichen Verbesserungen für die Gesundheitsversorgung der Menschen mit Behinderung umsetzen wird.

Nach der gewonnenen Bundestagswahl werden wir, wird Rot-Grün dieses Thema mit Verve anpacken und zu mehr Teilhabe, zu mehr Selbstbestimmung führen.

Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit.