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25 Jahre Welt-AIDS-Tag - Erfahrungen und Ausblicke

Der 1. Dezember 2012 hatte seine eigene Premiere: 25 Jahre, nachdem 1988 die Weltgesundheitsorganisation den 1. Dezember zum Welt-AIDS-Tag erklärt hat, fand im Deutschen Bundestag auf meine Initiative im Namen der SPD-Bundestagsfraktion die Veranstaltung „25 Jahre Welt-AIDS-Tag - Erfahrungen und Ausblicke“ im Europasaal des Paul-Löbe-Haus statt.

Der 1. Dezember als Tag der Erinnerung
Seit dem ersten erkennbar verstärkten Auftreten opportunistischer Erkrankungen 1981 haben viele von uns Freundinnen und Freunde durch die chronische Erkrankung AIDS verloren. Den Verstorbenen wurde in einer Schweigeminute gedacht. Niemand ist vergessen, solange wir uns an den Menschen erinnern. Auch wir wollen wie die Franziskaner-Schwestern und  Ehrenamtlichen im Hospizdienst Tauwerk e.V. AIDS verstanden wissen als Annahme - Interesse - Dialog - Solidarität. Ein spontanes Dankeschön für die geleistete Arbeit von Tauwerk e.V. stellte die Sammlung von 170 Euro dar, die Schwester Hannelore für die Arbeit mitgegeben werden konnten.

Der 1. Dezember als Tag des Engagements
Es handelte sich um die erste Veranstaltung dieser Art im Deutschen Bundestag. Besonders an der Veranstaltung war zweierlei: Zum einen die enge Zusammenarbeit mit der Community - ganz konkret mit den Schwestern der Ewigen Lebensfreude. Ich danke allen für ihr Engagement, insbesondere Novizin Mary-Clarence, die für einige Monate in meinem Bundestagsbüro tätig ist. Hintergrund der Veranstaltung war mein Sommerfrühstück mit VertreterInnen der Queer-Community in der Reihe „Auf ein Wort Frau Rawert“ in der Berliner Aidshilfe e.V.

Kein anderes Präventionsthema wird von einem solch fraktionsübergreifenden Konsens getragen wie die Prävention zu HIV/AIDS. Im Ablauf der Veranstaltung wurde die thematische Kooperation mit anderen Fraktionen besonders deutlich.

Ich danke Daniel Meixner und Lisa Monschein, die als GebärdendolmetscherInnen für mehr Barrierefreiheit agierten. Ich danke für diese Solidarität.

Dieser Bericht soll einen Eindruck von den Diskursen der sehr gut besuchten und lebendig diskutierenden Runde geben:

Gegen Zwangstests
Viele von uns haben u.a. im „TAGESSPIEGEL“ gelesen, dass Sachsen-Anhalt „künftig Zwangstests auf Hepatitis und HIV-Infektionen bei sogenannten Risikogruppen“ - gemeint sind „Homosexuelle, Drogenabhängige, Obdachlose und Ausländer“ - einführen will. Die Maßnahme soll dem Schutz von Personen dienen, die wegen ihres Berufs (PolizistInnen, SanitäterInnen, etc.) einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt sind. Nicht mehr die Zustimmung der/des Betroffenen ist Voraussetzung, sondern wenn bestimmte Umstände erhöhte Infektionswahrscheinlichkeiten begründen. Sturm dagegen läuft bereits die Aids-Hilfe und der LSVD. Als Gesundheitspolitikerin verwehre ich mich gegen diese Stigmatisierung sehr großer Bevölkerungsgruppen. Ich halte diese Maßnahmen sowohl aus ethischen als auch medizinischen Gründen für nicht gerechtfertigt. Sie fördern vielmehr Stigmatisierungen und Diskriminierungen. Ich werde die Bundesregierung nach ihrer Haltung hierzu befragen.

Dank an die Freiwilligen in der Community
Ich möchte den vielen Engagierten und den vielen Ehrenamtlichen in und aus der Community in unser aller Namen danken. Danken möchte ich vor allem auch den ReferentInnen, die das Gelingen der Veranstaltung erst möglich machten.

Auf „Die Ehrenamtlichen dahinter“ ging Lisa Paus (MdB, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) näher ein. Paus betonte, dass die Pflicht zur Daseinsvorsorge beim Staat bleiben muss und stellte die Frage, warum nicht mehr Prävention von den Krankenkassen gezahlt wird, warum es nicht mehr anonyme Krankenscheine gibt.

Aktuelle Daten zu HIV/AIDS in Deutschland

Dr. Osamah Hamouda vom Robert-Koch-Institut, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention, stellte „Aktuellen Daten zu HIV/AIDS in Deutschland“ vor. In seinen Ausführungen informierte Hamouda, dass die Erkrankung und Sterblichkeitsquote in Deutschland immer noch zu hoch ist. AIDS ist nicht heilbar, darauf ist immer wieder hinzuweisen. Zwar sind die Therapien erfolgreich, aber die Zahl der Medikamente ist begrenzt und zunehmend ist eine Resistenzsituation zu beobachten. Heute erkranken die Menschen an HIV/Aids, „die am Rande der Gesellschaft stehen“. Nicht die Zunahme der Anzahl der Menschen mit HIV sei erschreckend. Diese ist auf die längere Lebensdauer zurückzuführen. Erschreckend sei aber die Zunahme von Syphilis und die Zunahme von frisch erworbenen HIV-Neuinfektionen bei Männern unter 30 Jahren. Hier habe seit 2000 eine Vervierfachung stattgefunden.  

"AIDS und Afrika“

Grundlage für eine gelingende Prävention ist der solidarische Umgang und die Einhaltung der Menschenrechte in allen Regionen der Welt. Menschenrechte sind unteilbar. Stefan Liebich (MdB, Linkspartei) berichtete über „AIDS und Afrika“. Erfreulich ist, dass das südliche Afrika nicht mehr als „verlorener Kontinent“ gilt. Auch in Ländern, in denen die Immunschwächekrankheit besonders stark vertreten war, ist laut Jahresbericht 2012 von UNAIDS, dem Programm der Vereinten Nationen zur Aids-Bekämpfung , "eine neue Ära der Hoffnung" angebrochen. Die Vision von UNAIDS bleibt das dreifache „zero“:

  • Null Neuinfektionen
  • Null Tote durch die Folgen von Aids und
  • Null Diskriminierung.


Ich habe auf die Debatte am 29. November zum Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Für eine Generation frei von Aids/HIV bis 2015 - Anstrengungen verstärken und Zusagen in der Entwicklungspolitik einhalten“ verwiesen. Auch hier gilt die „aidsfreie Generation“ als Leitbild und als Grundelement für die weltweite Verwirklichung von Menschenrechten, von sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand.

"GIB AIDS KEINE CHANCE"

"GIB AIDS KEINE CHANCE" - so lautet das Motto der nationalen AIDS-Präventionskampage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die in diesem Jahr ebenfalls 25 Jahre alt wird. Vor 25 Jahren galt AIDS-Prävention als Tabubruch in Politik und Gesellschaft, zumal es bis dahin eine öffentliche Thematisierung von Sexualität und Kondomen nicht gab. Hier findet ein Wandel statt. Im Rahmen dieser Kampagne ist immer sowohl der Schutz vor HIV als auch vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen thematisiert worden. Kondome sind heutzutage ein normaler Hygieneartikel, emotionale Vorbehalte gegen deren Nutzung haben sich mehr als halbiert. Allerdings gibt es trotz des gesamtgesellschaftlich kontinuierlich ansteigenden Schutzverhaltens immer noch Menschen, die in Risikosituationen kein konsequentes Schutzverhalten praktizieren. Deshalb ist Gesundheitsförderung und AIDS-Prävention nach wie vor erforderlich. Solidarität ist das Thema der neuen Staffel „Positiv zusammen leben“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, in der die Lebenssituation von Menschen mit HIV und AIDS in den Mittelpunkt gestellt wird.

AIDS kann schneller besiegt werden
Fakt ist: Wir müssen nach wie vor existierende Stigmatisierungen in der Gesellschaft abbauen, müssen aktiv dazu beitragen - jede und jeder an seinem Ort -, dass die immer komplexer werdenden Themen angegangen werden. Noch längst werden nicht alle Orte und Zielgruppen in ihrer jeweiligen Spezifität wahrgenommen bzw. sind Teil ausreichender Präventionsmaßnahmen. Hier bedarf es größerer gesellschaftspolitischer Anstrengungen. Denn: „AIDS kann schneller besiegt werden“ meinte Carsten Schatz von der Deutschen AIDS-Hilfe.

Schatz erinnerte an die notwendigen Strategien Prävention, Forschung und Selbsthilfe, wie sie bereits 1986 von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock und anderen im Buch „AIDS kann schneller besiegt werden. Gesundheitspolitik am Beispiel einer Infektionskrankheit“ beschrieben ist. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Betroffenen erst dann getestet werden, wenn der Immundefekt bereits weit fortgeschritten ist, müssen die Anstrengungen fortgesetzt werden. Schatz forderte dazu auf, gemeinsam an einer nationalen Strategie zu arbeiten, um AIDS bis 2020 in Deutschland zu beenden. Bausteine dafür seien: Kräfte bündeln, Akteurinnen/Akteure vernetzen, Diskriminierung und Ausgrenzung entschlossen bekämpfen und finanzielle Mittel dafür sicherstellen. „HIV geht uns alle an“ - so sein Plädoyer. Schatz betonte, dass kein „blaming“ der besonders gefährdeten schwulen Männer stattfinden dürfe.

Aktuelle Herausforderungen der HIV-Prävention
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, klärte über die „Aktuellen Herausforderungen der HIV-Prävention“ auf. Er benannte Partizipation, Teilhabe und Inklusion als Bürgerrechte für alle. Diskriminierung erhöht das Risiko zur Infizierung, darüber müssten sich alle klar sein. Nach Jahren der Suchstrategien kommt es nun darauf an, entsprechende Lernstrategien zu identifizieren, damit keine soziale Ausgrenzung erfolgt und ein Leben mit dem Virus als „Selbstgestaltung in einer Bürgergesellschaft“ möglich ist. Die hohen Infektionszahlen beunruhigen ihn nicht, da diese Ausdruck dafür sind, dass Menschen auch mit HIV lange leben können. Der Kampf gegen Diskriminierung ist die Forderung von heute. Gegen Diskriminierung kämpfen, heißt gesundheitspolitisch agieren. Auch verwies er auf die Notwendigkeit, sich stärker als bisher der Bekämpfung von Hepatitis C zuzuwenden.

Rosenbrock forderte die Möglichkeit zu anonymen Tests. Diese müssen aber auch wirklich anonym sein und bleiben. So könnten anonyme Tests als Teil einer Präventionsstrategie ausgebaut werden und „kombinierte Präventionsformen“ in der Community stattfinden. Wir alle kämpfen für die Änderung struktureller Bedingungen und für ein offenes gesellschaftliches Klima.

Angesichts der Erwägungen in Sachsen-Anhalt, Zwangstest auf Hepatitis C- und HIV-Infektionen ohne Zustimmung der Betroffenen durchzuführen, forderte er ebenso wie auch Dr. Osamah Hamouda und Carsten Schatz eine Sondersitzung des Nationalen Aidsbeirates.

Aids und Armut
Das Thema HIV/AIDS und die entsprechende Prävention hat fast immer auch mit spezifischen Lebensverhältnissen, mit den sozialen Lebenslagen zu tun. „Aids und Armut“ hatte Christian Thomes, Geschäftsführer von ZIK - zuhause im Kiez Wohnprojekt für Menschen mit HIV, Aids oder chronischer Hepatitis C, sein Referat benannt. Thomes betonte, dass es eine dramatische Wohnungsnot bei Menschen mit HIV und AIDS gibt. Armut ist Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe und bedeutet häufig Isolation.

Für Thomes ist es ein Skandal, dass die „Berliner Test-Kampagne - Schnelltests zu HIV, Syphilis und Hepatitis C“ nicht durch die Krankenkassen, sondern aus Mitteln der Deutschen Klassenlotterie und Eigenmitteln bezahlt wird. Die anonymen Schnell- und Labortests und eine dazugehörige Beratung wenden sich an schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Hier wird zu Gunsten der Krankenkassen am allgemeinen Zugang zu medizinischer Versorgung gespart. Thomes kritisierte - unter starkem Applaus - diese Regelung und forderte die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen.

Für die von ZIK betreute Zielgruppe gibt es in Berlin Leistungsbeschreibungen in der Eingliederungshilfe. Das ist noch nicht bundesweiter Standard. AIDS-Kranken fehlt häufig der angemessene Wohnraum. „Wohnen mit eigenem Haustürschlüssel ist in Deutschland schon längst nicht mehr ‚normal‘“, so Thomes. Deshalb hat ZIK in verschiedenen Berliner Wohngebieten modellhafte Betreuungskonzepte entwickelt, die auf die sehr verschiedenen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt sind. Wohnen, Begleiten, Arbeiten, Pflegen - der gleichberechtigte Zugang zu all diesen vier Bereichen ist unabdingbar. Thomes kritisierte, dass noch zu wenig spezialisierte Pflegedienste existieren, die allen einen Zugang zur ambulanten Pflege ermöglichen. Hier muss ein Ausbau stattfinden. Zugang zur Pflege bedeutet Inklusion.

Schwarz-Gelb spart an Prävention
Im Rahmen sozialdemokratischer Regierungsverantwortung für das Ressort Gesundheit waren die Gelder zur HIV-Prävention von 9,2 Millionen Euro auf 13,2 Millionen Euro angestiegen. Fakt ist: Die Investition in eine adäquate Prävention ist nicht nur menschlich notwendig, sondern auch finanziell sinnvoll: Erkrankt mensch in jungen Jahren an HIV/Aids treten für die Lebensdauer Kosten in Höhe von rund 500.000 Euro auf. Ich finde eine Investition von rund 15.000 Euro in Prävention weitaus klüger.

Was aber macht Schwarz-Gelb? Die Mittel werden gekürzt: Von 13,2 Millionen auf jetzt 12,3 Millionen in 2012 und für 2013 auf 12,2 Millionen Euro. Angesichts steigender Neuinfektionszahlen ein absolut falsches Signal! Prävention ist heutzutage eine zunehmend komplexer werdende Herausforderung. Diese bei reduzierten Mitteln bewältigen zu können, ist ein Irrglaube.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat die aktuellen Zahlen zum Anlass genommen, die umfassende Kleine Anfrage „Prävention und Bekämpfung von HIV und AIDS in Deutschland“ (Drs. 17/11734) zu formulieren, in der sie die Bundesregierung nach der Ausrichtung ihrer HIV/AIDS-Politik und der Zukunft der AIDS-Prävention fragt. Noch steht eine Antwort aus.

Prävention und Politik: Rahmenbedingungen gelungener Aufklärung“

Zu „Prävention und Politik: Rahmenbedingungen gelungener Aufklärung“ berichtete Helmut Metzner vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes. Für ihn liegt die Verantwortung für eine Gesundheitsförderung nicht allein bei der Gesundheitspolitik sondern bei allen Politikbereichen. Gesundheitsförderung und Prävention zielen über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden. Politik hat dafür Sorge zu tragen, dass die Verwirklichung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit auch durch eine fortlaufende Überprüfung und Anpassung bestehender gesetzlicher Regelungen gewährleistet wird. Eine hohe Verantwortung trägt bei der Förderung der Akzeptanz von sexueller Vielfalt das Bildungswesen. Metzner erwartet von der Bundesregierung eine stärkere Kooperation mit der Community, eine stärkere Förderung der entsprechenden Nichtregierungsorganisationen. Es geht um sexuelle Gesundheit für alle.

"Mauern überwinden“
In weiser Voraussicht hatte Schwester Aura Scortea Beneficia von den Schwestern der Ewigen Lebensfreude ihren Beitrag „Mauern überwinden“ benannt. Noch ist es notwendig, vielfältige Mauern einzureißen, damit Chancengleichheit, Teilhabe und Partizipation für alle möglich ist.

Diese Veranstaltung war ein Baustein dazu, Gesicht zu zeigen gegen Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV-Positiven, von Aids-Erkrankten. Wir werden den Weg gemeinsam weiterbeschreiten und hoffen hierdurch Menschen, Gruppen und Organisationen in ihrer Auseinandersetzung mit HIV/AIDS inspirieren und motivieren zu können.

Fotos: Wolfgang Andres, Jürgen Finke und Kai von Rattenhusen

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Vortrag von Mechthild Rawert.pdf156.87 KB
Vortrag von Lisa Paus.pdf41.63 KB
Vortrag von Stefan Liebich.pdf31.27 KB
Vortrag von Carsten Schatz.pdf19.13 KB