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Ein weiter so darf es nicht geben! Das Flughafen-Asylverfahren gehört abgeschafft

„Das Flughafen-Asylverfahren gehört abgeschafft“ - so der Tenor der sehr lebhaften und engagiert geführten Debatte auf der Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Flughafen-Asylverfahren auf dem Prüfstand“ der Landesgruppe Berlin in der SPD-Bundestagsfraktion am 31. Oktober im Rathaus Treptow-Köpenick.

Anstoß für die Veranstaltung ist der Offene Brief des Integrationsausschuss Treptow-Köpenick gewesen. In diesem offenen Brief sprechen sich die Mitglieder des Integrationsausschusses eindeutig gegen das Flughafen-Asylverfahren auf dem neuen Flughafen Berlin Brandenburg aus. Als Landesgruppensprecherin der Berliner Abgeordneten in der SPD-Bundestagsfraktion habe ich diese Initiative zusammen mit Kolleginnen und Kollegen gerne aufgegriffen. Es ist wichtig, dass eine breite öffentliche Debatte über das Flughafen-Asylverfahren geführt wird. Da ich mich seit Jahren für eine menschlichere Flüchtlingspolitik einsetze, habe ich gern die Moderation unserer Veranstaltung übernommen. Sehr gefreut habe ich mich über die Anwesenheit zahlreicher engagierter VertreterInnen von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen und aus dem kirchlichen Bereich.

Häufig gezielte Panikmache anstelle sachlicher Information

„Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um über das Flughafen-Asylverfahren zu diskutieren“ begrüßte Wolfgang Thierse die Gäste. Der „Gewahrsam“ auf dem Gelände des neuen Flughafens BER ist bereits eingerichtet, um einreisende Flüchtlinge durch das Flughafen-Asylverfahren zu schicken. Für Thierse ist klar: „Das Flughafen-Asylverfahren auf dem Flughafen BER fußt auf falschen Zahlen, es ist ineffektiv und teuer.“ Er kritisiert auch die kurzen Verfahrensfristen: „In so kurzer Zeit können traumatisierte Flüchtlinge keinen strukturierten Asylantrag stellen.“

„Die Diskussion kann nicht ohne Emotionen geführt werden“, betont Sven Schmohl, Integrationsbeauftragter des Bezirkes Treptow-Köpenick. Ziel des Flughafen-Asylverfahrens sei allein die Abschreckung von Flüchtlingen. Deutschland soll aber Menschen Schutz geben, die von Verfolgung bedroht sind. Die öffentliche Debatte ist vielfach durch völlig falsche Informationen geprägt: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet auf dem Flughafen BER zukünftig 300 Asylsuchende pro Jahr - eine völlig überzogene Schätzung. Die Antwort der Bundesregierung auf meine Schriftliche Frage belegt: 2011 sind in Schönefeld lediglich 11 Flüchtlinge gelandet, bis Anfang Oktober sind es 9 Flüchtlinge.

Für Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst stellt das Verfahren eine Freiheitsentziehung dar. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst ist seit 1995 in Deutschland tätig und betreut Flüchtlinge in Abschiebehaft. Habbe kritisierte, dass Flüchtlinge durch das Verfahren kriminalisiert und stigmatisiert werden. Vor allem werden sie in Unsicherheit gelassen über ihren weiteren Weg. Allein im September gab es 5 Suizidversuche in der Einrichtung in Frankfurt/Main.

Das Flughafen-Asylverfahren sieht lediglich 2 Tage für die Anhörung der Flüchtlinge und nur drei Tage Widerspruchsfrist im Falle der Ablehnung vor. Dadurch kommt es immer wieder zu krassen Fehlentscheidungen. Als exemplarisches Beispiel dafür nannte Habbe das Schicksal von zwei Deserteuren aus Eritrea. Deren Asylanträge wurden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Nach ihrer Abschiebung nach Eritrea wurden sie dort sofort gefangen genommen und unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Dennoch gelang ihnen erneut die Flucht. Ihr erneuter Antrag auf Asyl ist in Deutschland dann anerkannt worden. Wie viel Leid hätte diesen beiden nun schwer traumatisierten Flüchtlingen erspart bleiben können, wenn ihr Asylbegehren richtig geprüft worden wäre!

Weiterhin kritisierte Habbe, dass das Flughafenverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Auf dem Gelände des Flughafens ist noch nicht einmal eine Mahnwache als Zeichen der Solidarität mit den Flüchtlingen erlaubt worden.

Ein weiter so des Flughafen-Asylverfahrens darf es nicht mehr geben. Diese Position wird auch in der gemeinsamen Stellungnahme von zahlreichen Migrations- und Flüchtlingsorganisationen deutlich.

Auch Willy Brandt war Flüchtling

Daran erinnerte Aziz Bozkurt, Landesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt der SPD Berlin. Willy Brandt flüchtete unter falschem Namen und Papieren vor den Nationalsozialisten von Deutschland nach Norwegen. Nach dem heute geltenden Recht hätte er in Deutschland kein Asyl erhalten.

Bozkurt führte aus, dass das Flughafen-Asylverfahren mit dem Asylkompromiss von 1993 eingeführt wurde, um den Luftweg als „letztes Einfallstor“ zu schließen. In Anspielung auf den neuen Flughafen BER meinte er: „Die Schweiz hat eine Marine, aber keine Küste. Wir haben noch keinen neuen Flughafen, aber bereits ein fertiges Gebäude zur Durchführung des Flughafen-Asylverfahren“. Das Bundesinnenministerium behaupte bei Anfragen nach der Sinnhaftigkeit des Verfahrens immer: Das Flughafen-Asylverfahren ist notwendig, falls die Zahlen Asylsuchender wieder steigen. Meine Meinung: Vielleicht erhält die Schweiz ja auch noch einmal eine Küste.

Berliner SPD für Abschaffung des Flughafen-Asylverfahrens

Aziz Bozkurt verwies auf die aktuellen Beschlüsse auf dem Landesparteitag der Berliner SPD am 27. Oktober: „Die SPD-Fraktion Berlin wird dazu aufgefordert, zeitnah eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung von Asylflughafenverfahren nach § 18a Asylverfahrensgesetz zu initiieren. Darüber hinaus wird der Senat dazu aufgefordert, sich gegen die Inbetriebnahme des „Asylgewahrsams“ am neuen Flughafen BER zu stellen und damit zu verhindern, dass das Asylflughafenverfahren durchgeführt werden kann, um somit schutzsuchenden Menschen ihr Recht auf ein faires Asylverfahren zu gewähren.“

Weiterhin wurde der Antrag „Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen!“ beschlossen: „Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Landesregierungen auf, sich geschlossen für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes einzusetzen und in diesem Sinne die parlamentarischen Wege über Bundesrat und Bundestag auszuschöpfen“. Dieser Antrag ist weitergeleitet an den Parteikonvent. Er formuliert deutliche Erwartungen an die SPD-Bundestagsfraktion, für die ich mich stark mache.

SPD-Bundestagsfraktion: Für eine humanere Flüchtlingspolitik

Das Interesse der Anwesenden ging weit über das Flughafen-Asylverfahren hinaus. Sie wollten wissen, was die SPD bei der kommenden Regierungsübernahme für AsylbewerberInnen und für Flüchtlinge tun will. Ich habe auf mehrere Punkte verwiesen:

  1. In unserem Antrag „Mehr Bewegungsfreiheit für Asylsuchende und Geduldete“ vom 25. Mai 2012 (17/5912) fordern wir als SPD-Bundestagsfraktion die Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerberinnen und Asylbewerber. Die Bundesregierung ist aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, um den räumlichen Aufenthalt von AsylbewerberInnen und Geduldeten nicht länger zu beschränken.  
  2. Wir wehren uns angesichts des augenblicklichen Ansteigens der Asylanträge aus Serbien und Mazedonien energisch gegen die von Bundesminister Friedrich propagierten Maßnahmen gegen einen „Asylmissbrauch“. Die Zahlen seines eigenen Hauses belegen: Seit mehr als 20 Jahren fallen die Zahlen der AsylbewerberInnen beständig - von 438.000 im Jahr 1992 auf 27.649 im Jahr 2009. Zwischen Januar und Ende September 2012 haben bundesweit lediglich 4160 Menschen aus Serbien und 2613 aus Mazedonien einen Asylantrag gestellt. Insgesamt haben in 2012 bis jetzt rund 49.000 Menschen Asyl in Deutschland beantragt. Zahlen die deutlich machen, dass Dramatisierung völlig fehl am Platz ist.
  3. Für uns gilt in unserem Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte. Das Asylrecht ist für unseren Rechtsstaat zentral und lebensrettend für viele Betroffenen.
  4. Wir verwehren uns gegen jede Form von Rassismus. Wir verteidigen die Demokratie und verwehren uns gegen Vorschläge von Bundesinnenminister Friedrich, wie er sie am 13. Oktober in der „Bild“ vorgestellt hat:  Hier spricht er sich für eine Verkürzung der Asylverfahren, für schnelle Rückführungen und die Wiedereinführung der Visumpflicht für Serbien und Mazedonien aus. Dass letzteres verfassungswidrig ist, ficht ihn nicht an. Friedrich will Asylbewerberleistungsgesetz ergänzen: Wer aus sicheren Staaten kommt, solle weniger Barleistungen erhalten. Dieses wiederum widerspricht glasklar dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli. Die RichterInnen haben entschieden: Die bisherigen Leistungen für AsylbewerberInnen und Kriegsflüchtlinge sind menschenunwürdig. Sie müssen ab sofort ungefähr auf das Niveau von Sozialhilfe und Hartz IV erhöht werden. Das Existenzminimum darf nicht aus migrationspolitischen Erwägungen gekürzt.
  5. Die Verfahren im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes dauern häufig zu lang. Aus diesem Grunde muss das Personal entsprechend aufgestockt werden. Die Bringschuld liegt hier beim Staat. Die lange Dauer der Verfahren ist nicht den Flüchtlingen anzulasten.
  6. Eine langfristige Herausforderung liegt darin, die sozialen Bedingungen, die Armut in den Herkunftsländern zu verbessern.
  7. Wir beachten die strikte Trennung der Inanspruchnahme der aufenthaltsrechtlichen Freizügigkeitsrechte durch EU-Bürgerinnen und die asylrechtliche Situation von BürgerInnen aus Drittstaaten. Dies betrifft im Augenblick vielfach die Gruppe der Roma und Sinti aus verschiedenen südosteuropäischen Ländern. Diese werden in ihren Heimatländern sehr häufig diskriminiert und viele leben in bitterer Armut. In unserem Antrag „Die Integration der Sinti und Roma in Europa verbessern“ (Drs. 17/6090 ) haben wir Vorschläge zur Integration der Roma in Europa gemacht. Wir brauchen gemeinsame europäische Lösungen.

Wir werden diese Debatten zusammen mit den Organisationen und Initiativen fortsetzen.

v.l.n.r. Wolfgang Thierse, Heiko Habbe, Mechthild Rawert, Aziz Bozkurt, Sven Schmohl