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Bereitschaft zur Organspende stärken

Rede am 22. März 2012 anlässlich der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz und der Ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes: 

 

 

 

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Auch ich hoffe, dass wir es schaffen, eine Reform des Transplantationsgesetzes bis zur Sommerpause über die Bühne zu bringen. Bis dahin wünsche ich mir, dass jede und jeder schon jetzt einen Organspendeausweis ausfüllt und bei sich trägt.

Schon jetzt kann ich einen Organspendeausweis ausfüllen. Ich verlese einfach einmal das, was auf dem Organspendeausweis steht:

Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Gewebe zur Transplantation in Frage kommt, erkläre ich:

Erste Möglichkeit:
JA, ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden.

Zweite Möglichkeit:
JA, ich gestatte dies, jedoch nur für folgende Organe/Gewebe:

Dritte Möglichkeit:
NEIN, ich widerspreche einer Entnahme von Organen und Geweben.

Vierte Möglichkeit:
Über JA oder NEIN soll dann folgende Person entscheiden:...

Ein solcher Ausweis kann schon heute ausgefüllt werden. Ich denke, das wäre zusätzlich zur heutigen Debatte schon mal ein erster Schritt, um den 12 000 Patientinnen und Patienten zu helfen, die auf ein Spenderorgan warten.

Ich bin keine Medizinerin. Ich bin auch keine Juristin. Ich war aber als Angehörige einmal in einer Situation, in der eine Organspende vorgenommen wurde. Ziemlich genau vor zwei Jahren ist mein Schwager plötzlich bei einer Tätigkeit, die er schon tausendmal durchgeführt hatte, aus mehreren Metern Höhe gefallen und mit dem Kopf auf dem Asphalt aufgeschlagen.

Trotz Hubschrauber, trotz sofortiger Operation war nichts mehr daran zu ändern: Das Gehirn war „kaputt“. Da liegt also ein großer stämmiger Mann im Krankenhaus, und nichts anderes schien ihm passiert zu sein, keine sichtbaren Schrammen, keine Gipsverbände, nichts weiter.

Die Situation war die: Meine Schwester und mein Schwager hatten eine Patientenverfügung und auch einen Organspendeausweis. Es gab fünf Kinder im Haus: Vier waren bereits erwachsen, und eins war minderjährig.

Es war wie in zwei Filmen gleichzeitig: Einerseits gab es im Krankenhaus das „Glück“ - das sagt meine Schwester heute noch -, auf medizinisches und pflegerisches Personal zu stoßen, das die Ruhe und Zeit hatte, sich dem Schmerz der Angehörigen zu widmen, aber auch klar und verständlich mitzuteilen, was ein Hirntod ist, was vorher und nachher organisatiorisch passiert, damit die Organe entnommen werden können.

Über wenige Tage wurden Untersuchungen gemacht, ob der Körper noch Reflexe zeigt oder nicht. Erst dann wurde der Hirntod festgestellt. Andererseits fragten sich zu Hause alle voller Trauer und im Schock: Wie kann so etwas sein?

Meine Familie lebt heute ruhig mit der Entscheidung für die Organspende. Für die minderjährige Tochter war es sogar ein großer Trost, dass der Vater, wenn das Schicksal es denn so wollte, mit seinem Tod zumindest anderen helfen konnte.

Ein zweites Beispiel aus meiner Familie verbinde ich mit der Bitte um eine entsprechende Diskussion. Wir fordern zu Recht eine Verbesserung der arbeitsrechtlichen Regelungen für Lebendspender und -spenderinnen.

Was ist aber mit denjenigen, die für Leukämie-Kranke spenden? Sie fallen nicht unter dieses Gesetz. Aber auch diese Spender und Spenderinnen sind häufig mehrere Tage nicht erwerbsfähig. Ich finde, hier darf es keine Hierarchisierung geben.

Das bitte ich in der Diskussion mit zu berücksichtigen.

Über das kommende gesetzgeberische Prozedere ist schon intensiv gesprochen worden. Ich denke, wir brauchen insbesondere in den Krankenhäusern eine neue Sterbekultur. Niemand darf Angst haben, dass die Hochleistungsmedizin auf Dauer gesehen immer wieder alles macht, was machbar ist.

Denn dann wird man noch zu einem Zeitpunkt am Leben erhalten, an dem es eigentlich kein Leben mehr ist, weder für den Betreffenden oder die Betreffende noch für die Angehörigen. Auch das Sterben braucht Zeit.

Zeitgleich braucht Mensch die Beruhigung, dass der eigene Körper nicht nur ein Ersatzteillager ist und Dritten dient.

Das Sterben ins Leben zurückzuholen, das haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein Stück weit verloren. Ich plädiere für ganz neue Diskussionen über dieses Thema.

Das wäre angesichts einer älter werdenden Gesellschaft eine große Unterstützung für viele Familien und auch für uns selbst. Ich denke, das ist eine große Herausforderung, der wir uns alle zu stellen haben.

 

Danke schön.