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Straßburg ist immer eine Reise wert

Die deutschen Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung des Europarates dürfen einmal im Jahr Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Wahlkreis zu einer politischen Informationsfahrt nach Straßburg einladen. Von dieser Möglichkeit habe ich selbstverständlich Gebrauch gemacht und freue mich, dass während des Zeitraums 17.-20. April 2016 24 MultiplikatorInnen aus Tempelhof-Schöneberg aus der Kinder- und Jugendarbeit, Kulturarbeit, Migration und Frauenarbeit meiner Einladung gefolgt sind. Wir hatten eine wunderbare gemeinsame Zeit in Straßburg.

1. Tag: Die Hinreise

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Alle StraßburgfahrerInnen trafen sich bereits am Sonntagmorgen um kurz nach 6 Uhr am Berliner Hauptbahnhof. Bahntechnisch war der Wurm in dieser Zugreise, aber dennoch erreichten alle gut gelaunt Straßburg. Das Hotel unweit vom Bahnhof lag, konnten die Zimmer schnell bezogen werden. Vor dem gemeinsamen Abendessen war vielen so noch ein Spaziergang in die wunderschöne Altstadt möglich.

2. Tag: Besuch im Europäischen Parlament, Stadtrundgang, Rundfahrt auf der Ill, Astronomische Uhr

Bereits um 8.30 Uhr war die Gruppe am nächsten Morgen mit der Tram zum Europäischen Parlament unterwegs. Nach dem obligatorischen Sicherheitscheck wurde die Gruppe durch das Gebäude geführt. Dabei wurde die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments erklärt. Auch einen Blick in den verwaisten Plenarsaal konnten meine BesucherInnen werfen. Anders als im Deutschen Bundestag sehen die Sitzreihen im Plenarsaal keine Trennung nach Fraktionen vor, für die Gruppe ungewöhnlich.

Anschließend fand ein Informationsgespräch mit einer Mitarbeiterin des Europäischen Parlaments statt. Anhand eines kurzen Films erklärte sie die Highlights der vorausgegangenen Plenarwoche. Sie veranschaulichte die große Anzahl der unterschiedlichen Themen und die Herausforderungen, hier jeweils politische Kompromisse zu finden. Die jeweiligen Abgeordneten verfolgen nicht immer ausschließlich die Interessen der Europäischen Union, sondern treffen ihre Entscheidungen auch immer auf der Grundlage der jeweiligen nationalen Interessen ihres Heimatlandes und ihrer Fraktionen.

Die Gruppe hatte viele politische Fragen u.a. wie das EU-Parlament das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen sehe. Die Mitarbeiterin konnte hierzu keine große Einigkeit der Fraktionen und Nationen im Europäischen Parlament feststellen. Auch der Unterschied zwischen einer Verordnung und einer Richtlinie interessierte: Eine vom Europäischen Parlament beschlossene Richtlinie ist im Ziel für alle Mitgliedsstaaten verbindlich. Sie gibt den Rahmen einer Regelung vor, welchen die nationalen Parlamente durch nationales Recht umzusetzen haben. Eine Verordnung gilt hingegen sofort und unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten.

Der anschließende Stadtrundgang begann am Platz der Republik und führte zur Kathedrale. Madame Arnold, die Stadtführerin, erläuterte anhand einer Schautafel ausführlich den über 800 Jahre dauernden Erweiterungs- und Umbau. Die in den Portalen enthaltenen steinernen Bilder stellen die wichtigsten Begebenheiten des Alten Testamentes dar. Die Stadtführung wurde nach dem Mittagessen in einem Restaurant in der Altstadt mit einer Schiffsrundfahrt auf der Ill fortgesetzt.  Weiterer Höhepunkt des Kennenlernens von Straßburg war die astronomische Uhr im Straßburger Münster. Die Astronomische Uhr, ein Meisterwerk aus der Renaissance, ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Mathematikern und Technikern. Uhrmacher aus der Schweiz, Bildhauer, Maler und Automatenhersteller arbeiteten hier Hand in Hand. Offizieller Tagesabschluss war das gemeinsame Abendessen.

3. Tag: Besuch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und Diskussion mit Mechthild Rawert, MdB; Besuch des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Erneut begann der Tag für meine Gäste früh. Da es nur einen Eingang in das Gebäude des Europarates gibt, mussten alle BesucherInnengruppen auf die Ankunft der erwarteten Plenargäste Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, und Ahmet Davutoğlu, Ministerpräsident der Republik Türkei, warten. An diesem Dienstag war das Sicherheitsaufgebot groß: Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten führte zu Protesten, am Freitag zuvor hatten Demonstrierende bereits den Europarat gestürmt.

Von der Besuchertribüne konnte meine Gruppe noch einen Teil der Rede von Jean-Claude Juncker zum Flüchtlingsabkommen hören und die Fragen der Abgeordneten sowie den Antworten Junckers folgen. Sie fanden es faszinierend, wie Juncker die Fragen der Abgeordneten mal in englischer, mal in deutscher und mal in französischer Sprache beantwortete. Das Reglement ist streng: Zum Fragen werden 30 Sekunden Zeit eingeräumt; da bleibt kaum Zeit, die Frage mit einem Statement zu versehen.

Es ist gute Tradition, die BesucherInnengruppen im Anschluss an den Besuch der Plenarsitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) zu einem gemeinsamen Gespräch einzuladen. Unser Gespräch fand in einem Sitzungssaal des Europarates statt. Die PACE setzt sich nach einem festen Schlüssel aus entsandten Abgeordneten der nationalen Parlamente der 47 Mitgliedsstaaten zusammen. Hier bin ich Mitglied des Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung sowie des „Sub-Committee on Disability and Inclusion“. Außerdem bin ich für Deutschland die Botschafterin im Parlamentarischem Netzwerk "Gewaltfreies Leben für Frauen".

Die „Juncker-Rede“ war allen sympathisch, insbesondere auch die Feststellung, dass wir EuropäerInnen nur 4 Prozent der Weltbevölkerung sind. Wir tragen Verantwortung, sind aber auch nicht der Nabel der Welt.

Die Fragen meiner BesucherInnen waren sowohl politischer als auch organisatorischer Natur: Wir alle teilen die Sorge über den sich in Europa ausbreitenden Rechtsruck, der auch im Europarat zu spüren ist.

Gefragt wurde auch nach meinen derzeit größten Aufgaben: Das ist zum einen die Erstellung eines im Auftrag der PACE zu erstellenden Berichtes zum Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen und zum anderen die Durchsetzung des vom Europarat erstellten „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - kurz Istanbul-Konvention“. Deutschland hat diesen völkerrechtlichen Vertrag bereits 2011 unterschrieben, wegen fehlender Rechtsanpassung u.a. im Sexualstrafrecht in Deutschland ist sie aber noch nicht ratifiziert, also noch nicht in Kraft. Am 28. April fand die 1. Lesung zur geplanten Sexualstrafrechtsreform statt. Ich bin mit dem vorgelegten Entwurf nicht einverstanden, da dieser nicht auf der Nein-heißt-Nein-Lösung der Istanbul-Konvention beruht. Ich freue mich darüber, dass es mir gelungen ist, für den 12. Mai 2016 eine Sitzung des Netzwerkes und des Gleichstellungsausschusses zur Umsetzung der Istanbul-Konvention auch bei der anstehenden Istanbul-Konvention in den Deutschen Bundestag zu holen.

Auf Nachfrage zu Beschlüssen für die Queer-Community konnte ich unter anderem auf den hervorragenden Bericht „Diskriminierung von Trans*Menschen in Europa“ meiner maltesischen Kollegin Deborah Schembri verweisen. Wir werden in Kürze auch einen eigenen Beauftragten für die LGBTTI wählen.  

Gefragt wurde auch nach dem Sitzungsrhythmus des Europarates und der Sitzordnung hier: Es gibt vier Sitzungswochen, eine pro Quartal. Die Vorbereitung der Ausschüsse findet allerdings in Sitzungen zwischendurch statt. Für mich bedeutet dieses ab und zu eine eintägige Reise nach Paris. In der PACE sitzen die Abgeordneten nicht gemäß Fraktionszugehörigkeit sondern nach dem Alphabet. Das ist für uns deutsche ParlamentarierInnen ungewöhnlich.

In einem Restaurant im ältesten Park Straßburgs, dem Orangerie-Park, wurde zu Mittag gegessen. Hier haben schon mehr als 800 Storchenküken das Licht der Welt erblickt. Der Storch ist das Sinnbild des Elsass und kann hier zu allen Jahreszeiten bewundert werden.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Über den roten, für den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, der an diesem Nachmittag ebenfalls den Gerichtshof besuchte, ausgerollten Teppich gelangten meine TeilnehmerInnen ins Gerichtsgebäude, um als erstes erneut den Sicherheitscheck zu absolvieren.

Ein Jurist des Gerichtshofes hielt einen sehr informativen Vortrag:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ein Organ des Europarates und wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen.

Die Berufung der RichterInnen erfolgt durch die Parlamentarische Versammlung des Europarats. Jedes Mitgliedsland stellt für eine Amtszeit von 9 Jahren eine RichterIn. Eine Wiederwahl erfolgt nicht. Das Wahlverfahren sieht vor, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten der PACE eine dreiköpfige Vorschlagsliste vorstellen, aus der dann eine RichterIn gewählt wird. Die RichterInnen gehören dem Gerichtshof in ihrer persönlichen Eigenschaft an und sind keine VertreterInnen ihrer Staaten. Sie dürfen keine Tätigkeit ausüben, die mit ihrer Unabhängigkeit, ihrer Unparteilichkeit oder mit den Erfordernissen der Vollzeitbeschäftigung unvereinbar ist. Ihre Amtszeit endet spätestens mit Vollendung des 70. Lebensjahrs.

„Mit der Post, Faxe nehmen wir nicht an.“ - Diese Antwort auf die Frage: „Wie kommen die Klagen an den Gerichtshof?“ rief einen Lacher hervor, denn der Gruppe war klar, dass nach der Klagebefugnis, also den Voraussetzungen für das Anstrengen einer Klage am Gerichtshof gefragt worden war. Damit sich der Gerichtshof mit einer Beschwerde befassen kann, müssen insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllt sein: alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe müssen erschöpft sein und die endgültige innerstaatliche Entscheidung in dem Verfahren darf nicht länger als sechs Monate zurückliegen.

Wichtig zu wissen: Jede Person, die geltend macht, selbst Opfer einer Konventionsverletzung zu sein, kann direkt eine Beschwerde beim Gerichtshof in Straßburg einlegen mit der Behauptung, eines ihrer durch die Konvention garantierten Rechte sei durch einen Mitgliedstaat verletzt worden. Beschwerden können sich gegen einen oder mehrere der Staaten richten, die die Konvention ratifiziert haben.

Gemäß seiner Verfahrensordnung ist der Gerichtshof in - derzeit fünf - Sektionen eingeteilt. Deren für drei Jahre bestehende Zusammensetzung ist geographisch und hinsichtlich der Repräsentation der Geschlechter ausgewogen. Damit wird den verschiedenen Rechtssystemen der Mitgliedstaaten Rechnung getragen.

Mit vielen Informationen reicher verließ die Gruppe den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Nachmittag stand der Gruppe zur Erkundung der Stadt zur Verfügung. Unser gemeinsames Abendessen in einem Restaurant in der Nähe des Straßburger Münsters hat mir viel Freude gemacht.

4. Tag: Abschied nehmen

Am Mittwoch hieß es Abschied von Straßburg und von Madame Arnold, die sich liebevoll um die Gruppe gekümmert hat, nehmen. Au revoir Strasbourg!

Im kommenden Jahr kommt die nächste Gruppe aus Berlin-Tempelhof-Schöneberg.