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Erinnerung für die Gegenwart

Ein Mädchen schaut in die Publikumsmenge. Skeptisch. In ihrem Gesicht steht die Frage, was da wohl vor sich geht. Neben ihr das bronzene Gesicht eines anderen Mädchens, das 75 Jahre vor ihr lebte, vertrieben wurde, flüchten musste. Es blickt in die Weite, ein Blick der sich nach Sicherheit sehnt.

Wenige Menschen bleiben am 1. September 2015 stehen, um bei der Veranstaltung am Denkmal „Züge in das Leben – Züge in den Tod“ am Bahnhof Friedrichstraße der Kinderrettungsaktion in der Zeit des Nationalsozialismus zu gedenken. Ich selbst gehe täglich an diesem Denkmal vorbei: sechs Kinder mit ihren Koffer, ihre Gesichter geprägt von angstvollen Blicken. Ich nehme es täglich oft nur wahr, um es zu umgehen. Bei der Gedenkveranstaltung sind 3 Reihen Stühle vor dem Denkmal aufgebaut. Vorangegangen war der dem eine Gedenkveranstaltung in der Französischen Botschaft. Nun sprachen hier  vor dem Denkmal Lisa Sophie Bechner, Vorsitzende der Kindertransport-Organisation Deutschland e.V. und Organisatorin des Gedenktages, der Geschäftsträger der Botschaft des Vereinigten Königreichs und Nordirland, Nick Pickard, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau und Vizepräsidentin der Berliner Polizei, Frau Koppers. Sie reden von der Situation der Geflüchteten in Großbritannien, davon wo Unschuld aufhört und Schuld beginnt, davon, dass Gedenken als Teil der Polizeiausbildung unerlässlich ist für Verstehen und Handeln im Heute. Zwischen ihren Reden Töne des Kammerorchesters des Händelgymnasiums Berlin. ZeitzeugInnen waren geladen, darunter ein Ehepaar. Nie würden Sie ohne ein Tuch an dem Denkmal vorbeigehen, wird dem Publikum erzählt. Um es immer sauber zu halten, damit es nicht in Vergessenheit gerät.

Erinnerung dient der Mitnahme von Vergangenem in die Gegenwart. Wir stehen heute vor der Herausforderung, viele geflüchtete Kinder, die teilweise ohne Eltern nach Deutschland kommen, in Deutschland Sicherheit und Versorgung zu bieten. Damals machte das Engagement in Belgien, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Österreich, Palästina, Polen, Schweden, der ehem. Tschechoslowakei, der USA und der Schweiz das Überleben der Kinder möglich. Diese Länder bedeuteten für 12.500 jüdische und Kinder Sicherheit, die sie in ihrem eigenen Land nicht hatten.

Erinnerung heißt nicht nur Mitnahme von Vergangenem, sondern Lernen für die Gegenwart und Zukunft. Dass dieser Tag mit dem Drängen der Flüchtlingskrise in Europa zusammenfällt, können wir als Chance sehen. Mit einem Tuch an das Denkmal gehen. Bewusst. Nicht wegblicken, um ihm nur ausweichen zu können.

von Sarah Stacy