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Das Bundesverfassungsgericht schafft Klarheit: Die bisherige Bemessung der Regelsätze ist menschenunwürdig. Die Zukunft von Kindern darf nicht von der Dicke des Portemonnaies der Eltern abhängen

Familien klagen vor dem höchsten Gericht Deutschlands gegen zu geringe soziale Leistungen und bekommen Recht. Am 9. Februar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerG) entschieden, dass das Grundgesetz den Staat verpflichtet, die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur „Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind“. Die bisherigen Regelleistungen sowohl des Arbeitslosengeldes II für Erwachsene als auch des Sozialgeldes für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres genügen dem Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht.

Mit seinem Urteil nimmt das BVerG zwar nicht unmittelbar Stellung zur Höhe der jetzt gezahlten Leistungen, beanstandet aber die Willkürlichkeit der Berechnung der Bedarfssätze. Eine transparente und sachgerechte Ermittlung des Bedarfs für Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, soll bereits Ende dieses Jahres vorliegen. Das schließt eine Neubestimmung der Regelsätze für Kinder und Jugendliche mit ein.

Nach den vorliegenden Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind insbesondere Frauen und alleinerziehende Frauen mit Kindern betroffen. Frauen arbeiten überdurchschnittlich viel in Niedriglohnbeschäftigungen und in Teilzeitjobs und sind wegen fehlender Betreuungsangebote überdurchschnittlich oft arbeitslos oder durch schlechte Entlohnung eher als Männer auf die ergänzende Hilfe durch die Bundesarbeitsagentur angewiesen.

Alleinerziehende, zu 90,1 % Frauen, haben keine große Lobby. Schließlich bleibt zwischen Job oder Arbeitssuche, zwischen Kindern und Haushalt nicht viel Zeit und Kraft, sich für politische Vorstellungen und die Durchsetzung der eigenen Ansprüche zu engagieren. Gleiches gilt für die vielen Frauen, die im Niedriglohnsektor und mit Minijobs weit unter dem bezahlt werden, was ihnen eigentlich für ihre Arbeit zustehen würde.
Deshalb ist es um so wichtiger, gerade auch diese Gruppen bei den nun beginnenden politischen Verhandlungen nach Neubestimmung der Regelsätze und durch eine nachdrückliche Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn zu unterstützen. Hierin liegt für die Mitgliedsorganisationen des LandesFrauenRats und seinen Vorstand ein drängendes gleichstellungspolitisches Erfordernis.

Das Urteil schafft vor allem für Kinder Klarheit. In Berlin lebt jedes dritte Kind von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld. Ihre Zukunft darf nicht von der Dicke des Portemonnaies der Eltern abhängen. Die statistische Bemessung der Regelsätze für Kinder darf nicht nur eine mathematische Ableitung der Regelsätze für Erwachsene sein.

Natürlich ist die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern mehr als eine Geldleistung, doch Geld macht Vieles erst möglich: Schon das Schulbedarfspaket in Höhe von 100 Euro pro Schuljahr für bedürftige SchülerInnen bis zur 13. Klasse, welches die SPD gegen den anfänglichen Widerstand der Union durchgesetzt hat, war ein Ansatz, die unzulänglichen Regelsätze zu ergänzen. Aufgrund einer Sonderauswertung zum kinderspezifischen Bedarf wurde für 6 bis 13jährige auch ab dem 01. September 2009 der Grundsicherungsbezug um 35 Euro pro Monat erhöht. Wir wollen ein Gemeinwesen, eine Infrastruktur, die allen Kindern und Jugendlichen dient. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag dient allen Kindern. Die in vielen sozialdemokratisch regierten Bundesländern schon vorhandene oder geplante Gebührenfreiheit für die Kitas, das kostenlose warme Mittagessen, die Lernmittelfreiheit, die Gebührenfreiheit für das Studium, all das kommt Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zugute. Wir SozialdemokratInnen nehmen nicht hin, dass Besserverdienende über den Kinderfreibetrag mehr Geld für ihre Kinder erhalten als Normalverdienende. Das ist unsozial und inakzeptabel.

Beitrag von Mechthild Rawert für die Mitgliederzeitung "Mitgestalten" der SPD Tempelhof-Schöneberg, Ausgabe 2, März 2010