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Bundesverbandstagung der Frauengesundheitszentren: Mehr „Frau“ in die Umsetzung des Präventionsgesetzes bringen!

An einem geschichtsträchtigen Ort, der Fabrik Osloer Straße, einem Zentrum für soziale und kulturelle Arbeit in Berlin-Wedding, versammelten sich am 16. April 2016 Mitarbeiterinnen aus der ganzen Bundesrepublik zur diesjährigen Bundesverbandstagung der Frauengesundheitszentren. Eines der Themen war der Stand der Umsetzung des 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes und was dieses für die Gesundheit von Frauen bringen kann. Ein Fazit: Sich landespolitisch einmischen, ist eine Devise.

 

Entstehung und Entwicklung des Präventionsgesetzes unter Frauenaspekten

Ich danke den Mitarbeiterinnen des in Berlin-Schöneberg angesiedelten Feministischen Frauen Gesundheits Zentrum e.V.  für die Einladung, einen Input zur Entstehung und Entwicklung des Präventionsgesetzes unter Frauenaspekten auf Bundesebene geben zu können. In meinem Vortrag bin ich auf die langjährige politisch bewegte Geschichte des am 25. Juli 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz - PrävG), seine Bedeutung für ein so lang als möglich gesunderhaltendes Leben und die daraus resultierenden Gesundheitsziele und Schwerpunkte eingegangen. Prävention und Gesundheitsförderung sollen und können im Alltag auf die jeweiligen Anforderungen und Bedürfnisse der Geschlechter und ihrer jeweiligen Lebenslagen in ihren geschlechtsspezifischen Lebenswelten eingehen, u.a. in dem die betriebliche Gesundheitsförderung sich auch auf „typische“ Frauen- und Männerberufe bezieht. Der neue „Gesundheitsreport 2016 - Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten. Schwerpunkt: Gender und Gesundheit“ analysiert, warum Männer und Frauen anders krank sind und dass es dezidierte Unterschiede bei der Teilnahme an Präventionsmaßnahmen - Männer nehmen seltener Vorsorgeuntersuchungen wahr - gibt.

Die SPD und Frauen-, Gender- und Gleichstellungs-Engagierte haben lange dafür gekämpft, dass diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden ausdrücklich Rechnung wird und diese bei den Leistungen der Krankenkassen, sowohl bei Präventionsmaßnahmen als auch der Krankenbehandlung, nun durch den neu in das SGB V eingefügten Paragrafen 2b fest verankert werden. „Bei den Leistungen der Krankenkassen ist geschlechtsspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen.“

“Make the healthier way the easier choice“

Dies ist deshalb auch so wichtig, weil gerade die Verhältnisprävention ein sehr wichtiger Schlüssel im Kampf gegen soziale Ungleichheit bei den Gesundheitschancen und bei der ungleichen Lebenserwartung aufgrund der sozialen Lebenslage ist. Es geht um gute und gesunde Lebensjahre, es geht um Lebenserwartung an sich. Ich möchte vor allem betonen: Die gesunde Lebenserwartung ist die Differenz zwischen Oben und Unten. Sie beträgt 14 Jahre. Das ist ein sozialpolitischer Skandal! Gestärkt werden muss die gesundheitliche Chancengleichheit, die Fähigkeit Gesundheitsproblemen im Alltag vorzubeugen. Wichtig dabei ist: Gesundheitsförderung ist ein mehrdimensionaler Politikansatz. Alle Menschen müssen in die Lage versetzt werden: „Make the healthier way the easier choice

Diejenigen, die - laut statistischer Durchschnittsgrößen - mit der kürzeren Lebenserwartung zu rechnen haben, sind vor allem: alleinerziehende Menschen, Familien mit vielen Kindern, Arbeitslose, Menschen mit niedriger fomaler Bildung und Menschen mit Migrationsbiographie.

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen plädiert für eine intersektorale präventive Gesundheitspolitik. Warum? Er verweist darauf, dass die medizinische Versorgung im engeren Sinne nur 10 bis 40 % zur Gesundheit beiträgt, gemessen an Indikatoren wie verlorenen Lebensjahren. Deshalb ist Prävention so bedeutsam. Wir haben mit dem  Präventionsgesetz den neuen § 20 Absatz 1 „Primäre Prävention und Gesundheitsförderung“ in das SGB V eingefügt. Jetzt steht hier unter anderem: „Die Leistungen sollen insbesondere zur Verminderung sozial bedingter sowie geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen.“

Die Nationale Präventionskonferenz verabschiedete Bundesrahmenempfehlungen

Mit dem Präventionsgesetz haben wir ein wichtiges Gremium eingesetzt: die Nationale Präventionskonferenz. Ihre Träger sind die gesetzliche Krankenversicherung, die Unfallversicherung sowie die Renten- und Pflegeversicherung. Beteiligt sind aber auch VertreterInnen von Bundes- und Landesministerien, kommunalen Spitzenverbänden, der Bundesagentur für Arbeit, Sozialpartnern, PatientInnenorganisationen sowie die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung. Von diesem Mehr an kooperativem Engagement sollen insbesondere benachteiligte soziale Zielgruppen, deren Gesundheitschancen häufig schlechter sind, profitieren.

Die Nationale Präventionskonferenz hat am 19. Februar 2016 nun erstmalig bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen verabschiedet. Die lebensweltbezogene Prävention definiert die Ziele „gesund aufwachsen“, „gesund leben und arbeiten“ und „gesund im Alter“. Die Bundesrahmenempfehlungen sind die Grundlage von Ländervereinbarungen. In den Bundesländern sollen nun Ziele und Maßnahmen unter Berücksichtigung der regionalen Strukturen und Programme und der jeweiligen Bedarfe der verschiedenen Zielgruppen und Sozialstrukturen entwickelt werden. So sind in Berlin die Gesundheitsversorgung und Pflege im hohen Alter - 80plus - ein Schwerpunkt.

Geschlechterbezogene Prävention und Gesundheitsförderung

Ich begrüße es, dass in den Bundesrahmenempfehlungen die Kategorie „Geschlecht“ grundsätzlich bei allem zu berücksichtigen ist – auch wenn ich mir noch mehr explizites Herausstellen gewünscht hätte. Ich wünsche mir ausdrücklich in allen Programmen und Strukturen eine explizite und durchgängige Berücksichtigung von geschlechtsbezogenen Aspekten - von Frauen, Männern, und sex-/gender-diversen Personen. Ich unterstütze mit Nachdruck die „Forderungen des Nationalen Netzwerks Frauen und Gesundheit zu den Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz nach § 20d Abs. 3 SGB V“:

  • Bedarfsermittlungen sowie Angebote/Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung müssen durchgängig und systematisch geschlechtsbezogene Aspekte berücksichtigen.
  • Geschlechterstereotypien - insbesondere in Präventionsangeboten in Settings - sind kritisch zu reflektieren und ihrer fortgesetzten Anwendung ist entgegen zu wirken.
  • Vorhandene Ergebnisse geschlechtsbezogener Gesundheitsforschung sind in den Angeboten und Maßnahmen zu berücksichtigen.
  • Auf allen Stufen der Umsetzung des Präventionsgesetzes, zum Beispiel bei der Entwicklung von Rahmenempfehlungen und Qualitätskriterien, müssen ExpertInnen mit Erfahrung und Fachlichkeit in Bezug auf „geschlechtsbezogene Besonderheiten“ einbezogen und AkteurInnen entsprechend qualifiziert werden. Frauen, Männer und sex-/gender-diverse Personen müssen in den Beratungs- und Entscheidungsgremien angemessen repräsentiert sein.
  • Im Rahmen der Dokumentations- und Berichtspflicht ist das Ziel „Verminderung sozial bedingter sowie geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen“ explizit zu berücksichtigen. Auch der für 2019 geplante Präventionsbericht muss darauf Bezug nehmen. Die evidenz- und qualitätsbasierte Umsetzung einer geschlechtersensiblen Prävention und Gesundheitsförderung ist voranzutreiben. Grundlage dafür können die „Leitfragen zur Stärkung der Querschnittsanforderung Gesundheitliche Chancengleichheit“ zum Thema Geschlecht (Gender) (gesundheitsziele.de) sein.

Ich bin guter Hoffnung: Die Träger der Nationalen Präventionskonferenz haben mitgeteilt: Die Bundesrahmenempfehlungen sind ein lernendes System und werden kontinuierlich weiterentwickelt. Dazu gehört meiner Meinung nach auf jeden Fall, dass geschlechtsspezifische Gesundheitsforschung, Krankenbehandlung und Prävention und Gesundheitsförderung mehr Berücksichtigung gebührt.

Sorgen wir in unseren Bundesländern dafür!

Sozialräumliche Orientierung und  Lebensweltorientierung gendern

Die nachfolgende Diskussion wurde kompetent und strukturiert von Martina Schröder, FFGZ, geleitet. Auch sie betonte die Herausforderung für die Frauengesundheitszentren, sich aktuell in die bis zum Herbst auf Länderebene - auf der Basis der Bundesrahmenempfehlungen - zusammenzutragenden Länderempfehlungen und Maßnahmen einzuklinken. In Berlin ist das FFGZ in den Prozess eingebunden. Als auch auf Länderebene federführende Instanzen haben die Sozialversicherungsträger, die gesetzliche Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Renten- und Pflegeversicherung die Aufgabe, ihre Versicherten zu befragen und Maßnahmen zu entwickeln. Auch diese brauchen Impulse und KooperationspartnerInnen – auch die Frauengesundheitszentren. Das Präventionsgesetz sei immer noch sehr krankheitsorientiert. Wir alle wissen aber: Eine gesunde Lebensführung sei nicht zu verordnen. Daher ist die Verpflichtung, dass Prävention passgenau zu sein hat, sehr hoch. Für Anregungen immer zu nutzen ist die Plattform des Kooperationsverbundes „Gesundheitliche Chancengleichheit“.

Von großem Vorteil sei, dass der Selbsthilfeförderung mit dem Präventionsgesetz nun sehr viel mehr Geld zur Verfügung stehe. Auch hier liegen Chancen für die Frauengesundheitszentren. Bedacht werden auch Maßnahmen zur Inklusion.

Die Diskussion beleuchtete u.a. folgende Aspekte:

  • Der Umgang mit den gesundheitsbezogenen Daten wird als schwierig betrachtet.
  • Frauen sollen sich verstärkt in die Strukturen einbringen; Aufforderung, sich an den Sozialwahlen zu beteiligen.
  • Die Resilienz gegen Rassismus müsse in den Lebenswelten, in den jeweiligen Settings immer mitgedacht werden, denn Rassismus macht krank.
  • Die Gesundheitsziele „gesund aufwachsen“, „gesund leben und arbeiten“ und „gesund im Alter“ gendern - aber wie? Es fehlten Aspekte wie health literacy, Patientinnensouveränität und eine unabhängige Patientinnenberatung.
  • Das Gesundheitsziel „gesund aufwachsen“ müsse auch das Thema „Gewaltprävention“ und auch die sexuelle Selbstbestimmung und Aufklärung und Sexualpädagogik aufgreifen – unklar ist, ob und welche Vorschläge die Ende April erscheinende Sinus-Studie 2016 „Wie tickt die Jugend“ dazu macht.

Eine der Teilnehmerinnen berichtete von nicht so erfreulichen Erfahrungen. Sie hätten im Projekt „Gesundes Kinzigtal“ etwas zu Frauengesundheit machen wollen. Sie wären aber in das bereits existierende Netz gar nicht mehr hereingekommen: Dieses besteht vor allem aus ÄrztInnen, die sich gegenseitig die PatientInnen vermitteln würden. In dieser aufgebauten Kette hätten die nicht-akademisch ausgebildeten MitarbeiterInnen das Gefühl gehabt, nicht mehr gewollt zu sein. Und die PatientInnen hätten den Eindruck, sie bekommen nur etwas innerhalb des Systems, außerhalb des Systems würden sie „bestraft“.

Zusammen mit Helga Kühn-Mengel, der für Prävention zuständigen Berichterstatterin, biete ich gerne an, erneut bei den Sozialversicherungsträgern auf die hohe Bedeutung geschlechtsorientierter Prävention und Gesundheitsförderung erneut hinzuweisen. 

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