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Wo stehen wir und wie geht es weiter in der Pflege? - Die Reform der Sozialen Pflegeversicherung

Alle Menschen wollen in Würde und die meisten möglichst im gewohnten Umfeld alt werden. Veränderte Altersbilder, veränderte Bedürfnisse und Bedarfe verlangen nach Wandel und Weiterentwicklung des Pflegesystems. Ein Jahr nach der Bundestagswahl ging die Arbeiterwohlfahrt Berlin im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung den Fragen „Wo stehen wir und wie geht es weiter in der Pflege?“ und „Was wurde bei der Reform der Sozialen Pflegeversicherung erreicht?“ nach. Ich danke der Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Mitglied des „Bündnis für gute Pflege“ noch heute dafür, dass die zahlreichen und bedeutsamen KooperationspartnerInnen während des Bundestagswahlkampfes „der Politik Beine gemacht machen“, damit Pflege ins Zentrum des politischen Agierens kommt. Mir ist ihre fachlich-politische Begleitung wichtig.

Der Reformstau in der Pflege geht zu Ende

Es wurde eine diskussionsreiche Veranstaltung an diesem 29. November 2014 in den Räumen der AWO Berlin in der Blücherstraße 62. Nach der Begrüßung durch den Geschäftsführer des AWO Landesverband Berlin e.V. Hans-Wilhelm Pollmann, stellte ich in meiner Präsentation „Pflege ist Zukunft - zur aktuellen Pflegereform“ das Pflegestärkungsgesetz 1 vor. Anschließend gab ich einen Ausblick auf die weiteren geplanten Gesetze zur Verbesserung des Pflegewesens: das Familienpflegezeitgesetz, das Pflegestärkungsgesetz 2 mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sowie das Pflegeberufegesetz. Daraufhin nahm Claus Bölicke, Referent für Altenhilfe beim AWO Bundesverband, umfassend und profunde dazu Stellung. Er begrüßte die zahlreichen Leistungsverbesserungen für die Pflegebedürftigen und die pflegenden Angehörigen. Nach für die Pflege verlorenen Jahren in der vergangenen Legislaturperiode, könne von dieser Koalition gesagt werden, dass die „Pflege auf der politischen Agenda angekommen ist“. Das sei angesichts der Anzahl von ca. 2,5 Millionen pflegebedürftigen Menschen auch mehr als notwendig gewesen. 

Nach dem Lob folgte das „Ja, aber“. Viele der Kritikpunkte sind von der AWO schon während der Öffentlichen Anhörung im Bundestag vorgetragen worden. Dazu gehören: eine unzureichende Dynamisierung der Leistungen, noch nicht festgelegte Zeitpläne für die weiteren Vorhaben, der Vorgriff von Leistungen auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, eine unzureichende Abgrenzung zwischen den Herausforderungen der Pflege bzw. der Hauswirtschaft. Diese Forderungen kann ich nachvollziehen, weisen sie doch auf noch vorhandene Strukturmängel hin.

Hinsichtlich der zu Recht gestellten künftigen Finanzierungsfrage sage ich: Wer mehr Geld für die soziale Pflegeversicherung oder auch für den Ausbau einer Pflegeinfrastruktur auf kommunaler Ebene haben möchte, muss am Tage der Bundestagswahl entsprechend wählen: Die SPD wird 2017 erneut mit dem Konzept der Solidarischen Bürgerversicherung in den Wahlkampf gehen. Wir werden erneut für Konzepte werben, die eine gesetzliche Umlagefinanzierung im Gegensatz zu mehr privater Vorsorge in den Mittelpunkt stellen. Niemand in der SPD erhebt Anspruch auf das Urheberrecht für den gerade verabschiedeten Pflegevorsorgefonds. Es stimmt: Die Abführung von 0,1 Prozentpunkt - entspricht rund 1,2 Milliarden Euro – dient nicht der Leistungsverbesserung in der Pflege, sondern soll der Beitragssenkung ab 2034 dienen. Ob dieses Ziel mit diesem politischen Schritt überhaupt erreicht wird, wird von vielen, auch von mir, in Zweifel gezogen. 0,2 Prozentpunkte, rund 2,4 Milliarden Euro, gehen aber in die Leistungsverbesserungen in der Pflege.

Die SPD konnte als zusätzlichen Verhandlungspunkt über die Koalitionsvereinbarung hinaus erreichen: Tariflöhne sind nicht mehr als „unwirtschaftlich“ abzulehnen. Das Geld muss auch bei den Beschäftigten ankommen. Ich erwarte nun eine entsprechende Umsetzung in den Pflegesatzverhandlungen! Noch liegen keine Umsetzungsergebnisse aktueller Verhandlungen vor, aber die AWO fragt sich und damit auch die Politik: Werden Träger, die tarifgebunden sind und bereits heute häufig übertariflich bezahlen, auf Dauer marktfähig sein? Notwendig sei ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für den sozialen Bereich. Dieser Forderung, die auch im SPD-Wahlprogramm enthalten war, stimme ich uneingeschränkt zu. Leider ist es nicht gelungen, diese Forderung im Koalitionsvertrag zu verankern. Es gehören halt immer zwei dazu. Laut AWO finde der Preiswettbewerb der Träger erst dann ein Ende und der Wettbewerb um Qualität könne gestärkt werden.

In den letzten Verhandlungen konnte ich noch eine externe Evaluation des mit dem Pflegestärkungsgesetz 1 erweiterten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote in der häuslichen Pflege durchsetzen. Niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote dienen der Betreuung und Unterstützung von Pflegenden und entlasten die Angehörigen. Wir bauen sie aus und erweitern sie auf alle Pflegebedürftigen. Leider dauert diese länger als von mir angestrebt. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass Claus Bölicke erwähnte, dass die Wohlfahrtsverbände vereinbart haben, bereits jetzt in ihren Reihen mit einer Evaluation dieses Beschäftigungssektors zu beginnen. Vermieden werden muss hier die Schaffung eines Tätigkeitsfeldes im „Graubereich“.

Generalistische Pflegeausbildung

Ich bedauere es, dass die AWO und die SPD-Bundestagsfraktion bei der Neugestaltung eines Pflegeberufegesetzes augenblicklich nicht an einem Strang ziehen. Im Gegensatz zu anderen Liga-Verbänden spricht sich die AWO gegen eine generalistische Ausbildung aus. Die stellvertretende Leiterin Fachschulen, Qualifizierung & Professionalisierung der Stiftung SPI, Beate Swoboda, erläuterte diese Haltung. Sie forderte auch bessere Rahmenbedingungen für das hochkomplexe Arbeiten in der Altenpflege, forderte eine bessere Bezahlung, forderte einen besseren Personalschlüssel. Einigkeit besteht darin, dass die Ausbildung ein wichtiges Instrument gegen den Fachkräftemangel ist. Das Thema Schulgeld wurde durch eine Teilnehmerin herausgestellt: Derzeit müssten Berufsfachschulen zur Ausbildung für Altenpflege von den Auszubildenden Schulgeld nehmen, da den Privatschulträgern nicht 100 Prozent der Kosten erstattet würden.

Eine Bund-Länder-Kommission berat derzeit über die Weiterentwicklung der Pflegeberufe. Ziel der Berufsreform ist es, den bundesweiten Flickenteppich in der Altenpflegeausbildung sowie  der Gesundheits- und (Kinder-)krankenpflege zu beenden. Mit einer breit angelegten Ausbildung soll auch den zahlreichen Veränderungen in den diesen Arbeitsfeldern begegnet werden. Die Attraktivität des Berufes soll ebenso steigen wie die Verweildauer im Beruf. Die vorherige Kommission hat 2012 „Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs einen neuen Pflegeberufegesetzes“  vorgelegt. Eine große Herausforderung der derzeitigen Kommission ist die Sicherstellung einer bundeseinheitlichen Finanzierung - wir reden von ca. 300 bis 350 Millionen Euro pro Jahr. Hierzu liegen noch keine abschließenden Ergebnisse vor.

Zuständig für die Umsetzung des Pflegeberufegesetzes sind die Bundesministerien Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Gesundheitsministerium. Eine frühzeitige Abstimmung mit den Ländern ist erforderlich, damit nach der Verabschiedung des Berufsgesetzes eine rasche Umsetzung der landesrechtlichen Regelungen erreicht wird. Angestrebt wird ein bundesweit einheitliches Finanzierungsinstrument unter angemessener Beteiligung der Länder, der nicht ausbildenden Einrichtungen sowie der privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Die Ausbildung soll für die Auszubildenden kostenfrei sein. Ihnen muss auch eine angemessene Ausbildungsvergütung zukommen. Die Ausbildung schließt mit einem einheitlichen Berufsabschluss ab, der die Grundlage für einen universellen Einsatz in allen allgemeinen Arbeitsfeldern der Pflege bildet. Die jeweilige Pflegeschule trägt die übergeordnete Verantwortung für die gesamte Ausbildung. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die duale Ausbildung mit Ausbildungsbetrieb und Schule. Ermöglicht werden soll eine stärkere vertikale und horizontale Durchlässigkeit. Das neue Berufsgesetz enthält auch rechtliche Grundlagen für die praxisgerechte Umsetzung von Substitution und Delegation ärztlicher Leistungen. Geplant ist, das Gesetz zum 1. Januar 2016 in Kraft zu setzen, um damit den Vorgaben der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie zu entsprechen.

Einrichtung einer Pflegekammer

Auch hinsichtlich des Themas „Pflegekammer“ wurde kontrovers mit Beate Swoboda diskutiert. Dass die Pflegekammer aktuell die Gemüter bewegt, ist kein Wunder: Augenblicklich werden die Berliner Pflegefachkräfte im Rahmen der „Studie zur Akzeptanz einer Pflegekammer im Land Berlin“ befragt, wie sie sich fachpolitisch vertreten lassen wollen. Diese wird im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales durch die Alice Salomon Hochschule Berlin erstellt. Noch bis März 2015 finden repräsentative Befragungen von Pflegefachpersonen in ambulanten Pflegediensten, Pflegeheimen und Krankenhäusern statt. Ich bin der Meinung, dass eine Pflegekammer der Interessensvertretung der Pflegefachkräfte dient und ein weiterer Baustein in der Professionalisierung der Pflege ist.

Würdevolle Pflege für alle

Geäußert wird die Befürchtung, dass angesichts sinkender Rentenbeiträge und einer als „Teilkaskoversicherung“ konzipierten Sozialen Pflegeversicherung zunehmend mehr Menschen auf „Hilfe zur Pflege“ angewiesen sind. Bei der „Hilfe zur Pflege“ handelt es sich um eine Sozialhilfeleistung des SGB XII. Alle Anwesenden teilten die Haltung, dass jeder Mensch das Recht auf eine würdevolle Pflege unabhängig vom eigenen Geldbeutel hat. Dafür setzen wir uns alle gemeinsam ein.

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Zahlen_Daten_Fakten_Pflege Stand 30 05 14.pdf143.62 KB
Präsentation_Mechthild_Rawert_Pflege.pdf330.13 KB