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Mechthild Rawert | Gleichstellung von Frauen und Männern ist kein ernsthaftes Ziel der schwarz-gelben Regierung

„Ich finde es bewundernswert: 90 Jahre SoVD heißt auch 90 Jahre soziale und sozialpolitische Basisarbeit, heißt, 90 Jahre Hilfe für die sozial Schwachen. „90 Jahre Kampf für die eigenständige wirtschaftliche und soziale Sicherung - das ist seit dem 15. Januar 1919 die Geschichte der engagierten Frauen im Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD), ehemals Reichsbund. 90 Jahre engagierte sozial- und geschlechtergerechte Politik. Das hat mich erneut überzeugt: Da will ich mitmachen. Ich werde Mitglied“, äußert sich Mechthild Rawert, Bundestagsabgeordnete aus Tempelhof-Schöneberg, Mitglied des Gesundheitsausschusses und langjährige Berliner Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen im Anschluss an die Veranstaltung „Gleichstellung von Frauen und Männer - die Herausforderung in der neuen Legislaturperiode? - 90 Jahre frauenpolitisches Engagement im Sozialverband Deutschland“. Der Festakt fand am 26. Oktober vor den zahlreich erschienenden RepräsentantInnen des SoVD  in der Senatsverwaltung für Inneres statt.

"Von der Reservearmee in den Niedriglohnsektor?"

Als eine der Festrednerinnen nahm Dr. Ursula Engelen-Kefer, Vorsitzende des Arbeitskreises Sozialversicherung des Sozialpolitischen Ausschusses des SoVD-Bundesvorstandes, in ihrem Vortrag "Von der Reservearmee in den Niedriglohnsektor?" die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen unter die Lupe und erinnerte daran, dass das Verfassungsziel der Gleichstellung für Frauen und Männer bis heute noch nicht erreicht sei. Der Staat sei hier zu besonderen Anstrengungen verpflichtet.

„Wie geht es weiter in der Frauenpolitik vier Wochen nach der Bundestagswahl?“

Unter diesem Motto stand eine Podiums- und Plenumsdiskussion, in der seitens der Moderatorin Frau Susanne Lörx zunächst die Vertreterinnen der Koalition Frau Ingrid Fischbach, MdB, Vorsitzende der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Frau Sibylle Laurischk, MdB, Sprecherin für Integration und Migration, Seniorenpolitik und bürgerschaftliches Engagement, Mitglied im Familienausschuss der FDP-Bundestagsfraktion, um die Darlegung der regierungsamtlichen Gleichstellung gebeten wurden. Nach Aussagen von Frau Laurischk war für die FDP das Feld der Bildung, insbesondere das der beruflichen Bildung als Schlüssel, von hoher Bedeutung. Leider ist hier aber im Koalitionsvertrag keine Gleichstellungspolitisches Instrument benannt. Zu Recht wird auf die bestausgebildetste Frauengeneration hingewiesen; zum Punkt Gleichstellung wird hier aber auf das kleine Kapitelchen „Jungen und Männerpolitik“ verwiesen. Die Herdprämie „sei ein Kompromiss, den die FDP hinnehmen musste“. Als Scheidungsanwältin sei ihr bewusst, dass das Unterhaltsrecht von herausragender Bedeutung gerade auch für Frauen sei. Hinsichtlich der „Überwindung der Entgeltungleichheit“ wird ebenfalls auf den zu entwickelnden Stufenplan erwiesen. Bedauerlicherweise fehlten Aussagen zu gleichstellungspolitischen Formen für Migrantinnen – aber sie sind im Vertrag auch nicht enthalten. Letztlich keine konkreten Antworten gibt der Koalitionsvertrag wie denn „die Situation Alleinerziehender in besonderer Weise“ Berücksichtigung finden soll.

(Foto: Herbert Schlemmer)

Im Anschluss kam es zu pointierten Erwiderungen von Mechthild Rawert, Frau Anja Kofbinger, MdA, Frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus Berlin sowie Dr. Barbara Höll, MdB, Stellv. Vorsitzende der Bundestagesfraktion Die Linke.

Für Mechthild Rawert macht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die kommenden vier Jahre eines wirklich deutlich: Um Gleichstellung zwischen Frauen und Männern gehe es der Regierung wirklich nicht. Es gäbe keine einzige konkrete Maßnahme, die Frauen wirklich diene und diese vor allem bei den großen Lebensrisiken wie Krankheit, Existenzsicherndes Einkommen, Altersarmut besserstellen würde oder ihnen die Möglichkeit gibt, diskriminierende Verfahren besser zu besehen.

Für Mechthild Rawert ist nach Durchsicht des Koalitionsvertrages auch klar:

  • Die Teilhabe von Frauen an Führungspositionen ist nicht gewollt. Das beste Beispiel ist die Regierung selber, in der der Anteil der Ministerinnen unter einem Drittel liegt - weniger als in den vorherigen Regierungen.
  • Wer den gesetzlichen Mindestlohn nicht will, versündigt sich an den Frauen, verwehrt ihnen die Chance auf ein Existenz sicherndes Einkommen aus Vollzeitarbeit. Wer nichts unternimmt, um den Niedriglohnsektor einzuschränken und um das sogenannte Normalarbeitsverhältnis zu stärken, will die fast 70 Prozent der Frauen dort lassen, wo sie sind: im Niedriglohnsektor!
  • Diese Regierung setzt auf Steuerentlastungen auf Pump. Frauen sind dabei die Verliererinnen, da sie kaum von der Steuerentlastung partizipieren werden. Änderungen des Ehegattensplittings sind für diese Regierung kein Thema. Auch mit der Aufwertung der sogenannten frauentypischen Berufe wird es schwierig werden: Wer den öffentlichen Haushalten - vor allem auf Länder- und kommunaler Ebene - das Geld entzieht, kann nicht davon ausgehen, dass diese als Arbeitgeber die Löhne und Gehälter steigern.
  • Die Koalition will keinen erweiterten Antidiskriminierungsschutz. Nicht eingeführt wird ein stärkeres Klagerecht, um bei Benachteiligungen die Beweislast umzudrehen bzw. im Falle von Kündigungen die Rechte der ArbeitnehmerInnen zu stärken. Das ist ein Freifahrtsschein für Unternehmen. 
  • Wer die Gesundheitspolitik so umsteuert, dass überwiegend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Lasten tragen, benachteiligt Frauen, zumal viele von ihnen im unteren Einkommensbereich tätig sind. Die gesundheitliche Versorgung der Frauen wird sich nicht verbessern: Kein Wort wird im Koalitionsvertrag darüber verloren, dass eine gender orientierte Forschung und Gesundheit von Nöten ist, um bestehende Benachteiligungen und Fehlentwicklungen zu stoppen.

Weitere Themen der Auseinandersetzung um die Frauenpolitik, Kritikpunkte und Lösungsvorschläge von Mechthild Rawert:

  • Die schwarz-gelbe Regierung begreift, dass Gleichstellung mehr ist als Frauenpolitik, auch die Geschlechtsrollen der Männer in den Blickpunkt nimmt. Was ist neu daran? Wer die Diskurse zum Gender Mainstreaming halbwegs offen verfolgt hat, weiß, dass der Begriff seit der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi diskutiert wird. Gender Mainstreaming gilt schon seit dem Amsterdamer Vertrag als das Konzept für das Ziel einer Gleichstellungspolitik der Europäischen Union, die in vielen Bereichen – unabhängig von der Regierungszusammensetzung - als Motor auch für deutsche Gleichstellungspolitik gelten kann. Meine Befürchtung ist, dass Gleichstellungspolitik zunehmend weniger Frauenpolitik beinhaltet und die Förderung vieler Projekte und Initiativen sich dem Ende nähert.
  • Was heißt es schon, wenn seitens der CDU erklärt wird, „die Lücken sollen positiver bewertet werden?“ Die Beschreibung der erworbenen Sozialkompetenz aus der Familie für den beruflichen Sektor bringt die Frauen nicht weiter auf ihrer Arbeitsplatzsuche und bei der Verbesserung ihrer Rentenanwartschaften.
  • Ja es ist richtig, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sich heute auf zwei Tatbestände konzentriert – Familie als Kindererziehung und Familie als Pflege. Wer aber auf die Erhöhung des Kindergeldes bzw. der -freibeträge setzt, erschwert den Frauen die Rückkehr in den Beruf und den Kindern die Teilhabe an frühkindlicher Bildung. Wer die Pflege verstärkt privatisiert, für die häuslichen und die professionell Pflegenden keine wirklich handfesten arbeitrechtlichen Regelungen wie sie z.B. in der Kindererziehung mit den 10 Tagen Fortschreibung bei Erkrankung des Kindes schafft, will letztlich die Frauen doch nur wieder in der Rolle der Fürsorgerinnen der Familie drängen. Das ist keine Form der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dass ist der erneute tradierte Weg zu einer Frau-bleib-zu-Hause Politik. Dabei wird eines immer wieder übersehen: Die Pflegenden von heute sind sehr schnell auch die zu Pflegenden von morgen - der Druck und die Belastung, die Sorge um die eigene Zukunft ist oft zu groß und führt zu einem hohen Erkrankungsrisiko.
  • Überwunden werden soll die Entgeltungleichheit. Werbemaßnahmen in der Wirtschaft werden aber nicht dazu führen, dass die Lohndifferenz von bis zu durchschnittlich 23 Prozent sich schließen wird. Freiwillige Maßnahmen hätten längst greifen können. „Mehr Frauen in Führungspositionen“ – Richtig so! Aber wo bleiben denn die gesetzlichen Regelungen hierzu? Es gibt bereits erprobte Regelungen, um der bestausgebildetsten Frauengeneration zu ihrem Recht zu verhelfen – stattdessen „wird ein Stufenplan, insbesondere zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vorgelegt“. Der aber nur mit verbindlichen Berichtspflichten und transparenten Selbstverpflichtungen“ versehen ist. Als Berliner Gleichstellungspolitikerin weiß ich um die Mühen in der Umsetzung und hätte mir hier sehr viel Konkretes gewünscht. So zweifle ich am Erfolg. Und was heißt bei der „Überwindung der Entgeltungleichheit“ schon, eine Verbesserung der Teilzeitarbeit?
  • Typische Frauenberufe sollen attraktiver für Männer werden. Gut so! Hier allein auf die Anwesenheit von mehr Männern zu hoffen, ist naiv. Die Attraktivität dieser Berufe steigert sich für Frauen und Männer durch bessere Entlohnung, durch bessere Arbeitsbedingungen und durch bessere Arbeitszeitregelungen, die es jungen Menschen ermöglichen, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch in personenorientierten Arbeitsfeldern wie z.B. Erziehung und Pflege überhaupt in Aussicht zu nehmen. 

Ihr Fazit: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden im Interesse der Frauen und letztlich auch der Männer den gleichstellungspolitischen Kahlschlag in jedem Politikfeld auf´s Schärfste an den Pranger stellen. Das haben die Frauen in Deutschland verdient. Wir werden nicht nur bloße Worte sondern konkrete Taten einfordern. Ich hoffe, wir gewinnen damit das Vertrauen der Wählerinnen in den verschiedenen Milieus, in den vielfältigen Lebensphasen und- situationen und in jeder Altersstufe wieder zurück.

Informationen des SoVD-Forderungskataloges zum Koalitionsvertrag von Edda Schliepack, Bundesfrauensprecherin und Präsidiumsmitglied des SoVD, finden Sie im folgenden Anhang.

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Kritik des SoVD am Koalitionsvertrag.pdf59.62 KB